Verwertung kreativer Werke – eine Analyse

Collage: Petra Dreßler unter Verwendung von Shutterstock

Was hat Forschung mit der Wirklichkeit kreativen Wirtschaftens zu tun? Und wie sind Verwertungsgesellschaften (VG) für die Zukunft gerüstet? Eine gerade erschienene Sammlung wissenschaftlicher Analysen zum Thema gibt Antworten. M nimmt auch die tatsächlichen Arbeitsweisen zweier real existierender deutscher Gesellschaften in den Blick: Die VG Wort und die VG Bild-Kunst. Sie sind für Journalist*innen und Autor*innen vieler Kreativ-Gattungen besonders wichtig.

Sind Verwertungsgesellschaften wirklich „Monopole im medienindustriellen Komplex?“ So jedenfalls lautet der Titel des von Georg Fischer, Stephan Klingner und Malte Zill herausgegebenen aktuellen Buchs. Darin versucht eine ganze Reihe fachkundiger Autor*innen, „Verwertungsgesellschaften gestern, heute, morgen“ zu analysieren. Ein wichtiges Werk. Denn bislang waren diese Organisationen kaum im Blickfeld wissenschaftlicher Forschungen.

Die Beiträge sollen vor allem – so beschreibt es schon Monika Dommann im Vorwort – „Einblicke abseits des Scheinwerferlichts des Starsystems ermöglichen. Wer profitiert vom Schutz der Copyrights? Welche Kulturen sind überhaupt im Tantiemen-System erfasst und welche bleiben außen vor?“

Dabei sein oder nicht dabei sein: Das ist das eine Themenfeld für potenzielle Einnahmen Kreativer. Doch das andere ist zumindest genauso schwerwiegend: Welche Urheber*in kennt eigentlich die Verwertungsgesellschaften (VG)? Dabei nehmen die für sich in Anspruch, die Rechte aller Urheber*innen zu vertreten.

Hier ist gerade der Blick in die Nachbarrepublik Tschechien entlarvend. Den erlauben uns die Autoren Rudolf Leška, Michal Tomčík und Pavel Zahrádka in ihrer Untersuchung „Sozial-, Kultur- und Bildungsdienstleistungen der tschechischen Verwertungsgesellschaften aus der Perspektive ihrer Benefizient*innen“. Dort erkennen die drei ein „Imageproblem der VG: In Bezug auf die kollektive Wahrnehmung von Schutzrechten konnte ein verhältnismäßig geringes Wissen der Kreativschaffenden festgestellt werden.“ Ein Interviewter aus der Kreativszene antwortete beispielsweise auf die Frage: „Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn von einer „kollektiven Wahrnehmung“ geredet wird?“ mit: „Nichts. Ich habe keine Ahnung.“ Als konkret nach INTERGRAM gefragt wurde, der immerhin zweitgrößten tschechischen VG mit einem Umsatz von umgerechnet etwa 25 Mio. Euro im Jahre 2019, fragte der Interviewte zurück: „Meinen Sie vielleicht Instagram?“

Unterschiedliche Verwertungsgesellschaften registriert

Das ist hierzulande sicher nicht viel anders. Denn aktuell sind immerhin 13 VG beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) registriert. Ganz klare Abgrenzungen sind nicht sofort erkennbar. Die Aufsichtsbehörde DPMA wacht vor allem über deren korrektes Verhalten. Oder wie es die Herausgeber formulieren, über den „Idealzustand einer VG. Der liegt in der möglichst reibungslosen juristischen, technischen und organisatorischen Überwachung von oftmals sehr kleinteiligen Lizenzgefügen.“

Die älteste, die „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (GEMA) ist wohl auch die bekannteste, und mit knapp einer Milliarde Euro Jahreseinnahmen die umsatzstärkste VG in Deutschland. Die GEMA vertritt die Urheberrechte von Komponist*innen, Textdichter*innen und deren Verlage. Doch wem ist bekannt, dass es mit der VG Musikedition eine kleine VG gibt, die fast dieselben Urheber-Gruppen vertritt? Hier zeigt sich: Die Aussage der Buch-Herausgeber: „Innerhalb ihrer jeweiligen medienindustriellen und -rechtlichen Bereiche agieren VG im Wesentlichen monopolistisch und konkurrenzlos“, ist nicht immer haltbar.

Anders bei VG Wort und VG Bild-Kunst. Journalist*innen und Autor*innen aller Tätigkeitsfelder kennen – hoffentlich – diese beiden VG, die aktuell ihre Urheberrechte vertreten: Jahreseinnahmen durchschnittlich gut 200 Mio. Euro (Wort) bzw. 100 Mio. Euro (Bild-Kunst). Über die GVL, die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten, sind sie sogar in einer gemeinsamen VG mit der GEMA verbunden.

Schnittmengen und Friktionen

Fabian Rack hat sich mit „Verwertungsgesellschaften und Open Content – Schnittmengen und Friktionen“ auseinandergesetzt. Darin wird klar: Gerade Wissenschaftler*innen legen oft weniger Wert auf vollständige Lizenzierung; sie wollen eher eine weite Verbreitung ihrer Erkenntnisse erreichen. Deshalb lizenzieren viele Forschende ihre Werke als „Open Access“, lassen so nicht nur den Zugang, sondern auch die Nutzung zu bestimmten Bedingungen kostenfrei zu. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat sogar schon 2014 einen Appell zur Nutzung offener Lizenzen formuliert.

Bild: M/Dreßler

Dennoch lassen wissenschaftlich tätige Urheber*innen ihre Rechte vor allem von der VG Wort wahrnehmen. Die im Rahmen gesetzlicher „Schrankenregelungen“ eingenommenen Lizenzgebühren werden unter anderem an solche Autor*innen verteilt.

Open Access gibt es aber beispielsweise auch in anderen Bereichen. Denn der Gesetzgeber hat die VG verpflichtet, „Open Content zu ermöglichen“, stellt Rack klar. Doch in der Praxis sehen die Wahrnehmungsverträge beispielsweise für die Bereiche Musik und Text völlig unterschiedlich aus: Der GEMA hält die Rechte exklusiv. „Die VG Wort hingegen nimmt primär gesetzliche Vergütungsansprüche wahr, die durch gesetzlich erlaubte Nutzungen – den Schranken des Urheberrechts – ausgelöst werden“. Grundlage dafür ist das Gesetz Verwertungsgesellschaft (VGG). Danach dürfe die jeweilige VG die genauen Lizenz-Bedingungen mit den Urhebenden vereinbaren.

Die Wahlmöglichkeit ist da, aber…

Andererseits aber hat jede*r Kreative auch die Möglichkeit, sich die VG auszusuchen, welche die individuellen Rechte am besten vertritt. Zwar haben „VG haben Quasi-Monopolcharakter. Es gibt bisher kaum Erfahrung mit dem Wettbewerb unter VG“, heißt es von Konstantin Hondros.

Anders war es im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts: Da konkurrierten die GDT (Genossenschaft Deutscher Tonsetzer) und die GEMA aggressiv miteinander. Das soll sogar „negative Folgen für Urheber*innen gehabt haben“, so Hondros. Theoretisch könnte es künftig wieder zu Konkurrenzkämpfen kommen. Denn seit einer EU-Richtlinie von 2014 ist es in Europa möglich, die VG unabhängig vom Herkunftsland zu wählen. Genauso, wie sich in Deutschland Alternativ-VG zu bestehenden gründen könnten. Natürlich müsste das DPMA auch diese zulassen, bevor sie tätig werden dürfen.

Ob das im Musikbereich klappen könnte, scheint fraglich. Denn hier nimmt Platzhirsch GEMA bereits neben der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) musikalische Nutzungsrechte wahr. Zudem stellt Hondros Überschneidungen fest: „Die GEMA generiert die größten Einnahmen und dient in vielen Fällen der GVL auch als Inkassoorgan.“ Daneben kümmern sich hierzulande die VG Musikedition um die Nutzung von Musiknoten, die GWVR  (Gesellschaft zur Wahrnehmung von Veranstalterrechten) um Konzertmitschnitte. Fakt ist laut Hondros: „VG-Alternativen entwickeln spezifische Angebote und kümmern sich vornehmlich um bestimmte Teilbereiche des Musikgeschäfts.“ Konkurrenz zu teils über viele Jahrzehnte etablierten VG seien sie also kaum.

Im Zielland besser aufgehoben?

Mihail Miller und Stephan Klingner gehen genauer auf die Zweigleisigkeit „Internationale Expansionen und Mitgliedschaften vor Ort“ ein. Das Urhebergeschäft werde immer internationaler. Deshalb werden gerade Musikverlage inzwischen oft direkte Mitglieder der jeweiligen Landes-VG, statt sich wie bislang üblich durch die Heimat-VG auch im Ausland per Kooperationsabkommen vertreten zu lassen.

„Technologiegetriebene, administrative Musikverlage profitieren bereits in hohem Maße von der Möglichkeit direkter Mitgliedschaften in zahlreichen VG“, haben Miller und Klingner herausgefunden. „Je höher der Anteil des Fremdgeschäfts am Gesamtgeschäft einer VG ist, desto höher ist das Änderungspotential für eine VG durch direkte Mitgliedschaften.“

Selbst für „kleine“ Verlage könne das Modell lukrativ sein. Dafür wäre es am besten, wenn sie kooperieren. Die Autoren begründen das vor allem so: VG arbeiten offiziell uneigennützig. Sie seien zwar „nicht gewinnorientiert“, geben die Autoren zu. Doch „der Eigennutz einer VG als Wirtschaftseinheit verbirgt sich hinter fehlendem Leistungswillen mangels Konkurrenz und dem Einkommensinteresse der Mitarbeiter*innen“, so die Kritik von Miller und Klingner.

Noch nicht ganz fit für das digitale Zeitalter

Das betriebswirtschaftliche „Reifegradmodell“ von Sabine Richly passt dazu wie die Faust aufs Auge. Sie sieht in der „Aufgabe, auch zukünftig eine angemessene Vergütung für diese Nutzungen für die Urheber*innen und Verlage durch digitale Transformation sicherzustellen, die vielleicht größte strategische Herausforderung in der Geschichte der beteiligten VG“. Denn, so meint die Syndikusanwältin: „Die VG ruhen sich auf dem Erreichten aus, weil sie ihre Monopolstellung kennen.“ Damit meint sie vor allem die Text- und Bild-VG. Hier sei die Digitalisierung noch weit weniger vorangeschritten als im Musik- oder Filmbereich, ausgenommen vielleicht bei der Wissenschaftsliteratur. Es gebe noch keine digitale Bibliothekstantieme. Und lägen Kopien in der Cloud, bekämen Urheber*innen ebenfalls keine Vergütungen.

Richly muss es wissen: Schließlich war sie bis vor kurzem bei der VG Wort angestellt. Auch wenn sie betont, der Aufsatz sei ihre eigene, nicht die VG-Meinung. Auf jeden Fall fordert sie, dass gerade wegen der europäischen DSM-Richtlinie (Digital Single Markt) dringend „das Urheberrecht fit für das digitale Zeitalter“ gemacht werden müsse. Vor allem aber müssten die Text- und Bild-VG die dadurch in erheblichem Umfang möglichen „neuen Einnahmequellen verhandeln, realisieren und administrieren“. Würden nicht „durch digitale Kollektivlizenzen Vergütungen generiert“, kämen die multinationalen Online-Konzerne ohne die gesetzlich gewünschten Nutzungsgebühren davon. Doch bislang fehlten „auf operativer Ebene Werk-, Nutzungs- und Beteiligungsdatenbanken sowie digitale Melde- und Verteilungssysteme“, weiß Richly. Aber was genau wissen die Urheber*innen über diese ihnen bislang nicht zugänglichen Einnahmequellen?

Gerechtes System lebt von der Partizipation aller

Solch drängenden Nachbesserungsbedarf bei der Öffentlichkeitsarbeit hat auch die Erhebung über die tschechischen VG von Leška, Tomčík und Zahrádka „bestätigt: Verwertungsgesellschaften haben ein PR-Problem und müssen die Kommunikation über ihre Aktivitäten verbessern.“ Das ist dort wie in Deutschland so.

Dabei sind VG überall äußerst wichtig für die kollektive Rechtewahrnehmung aller Kreativen. Dazu stellt Monika Dommann eindeutig fest: „Eines lehrt die Geschichte: Gewisse Akteursgruppen sind besser organisiert als andere. Ein gerechtes System zur Verteilung von Kulturtantiemen ist auf die Partizipation aller angewiesen.“

Zumindest bei der VG Wort steht derzeit dieses solidarisch-partizipative System auf der Kippe. Wieder einmal. Denn seit der letzten Wahl des Verwaltungsrats nimmt eine kleine Interessengruppe für sich in Anspruch, für über 100.000 heterogen aufgestellte Text-Urheber*innen verschiedenster Gattungen zu sprechen. Die Zweigliederung – eine sehr große Zahl Wahrnehmungsberechtigte auf der einen, wenige stimmberechtigte VG-Mitglieder auf der anderen Seite – hat diese Machtkonzentration auf eine Minderheit ermöglicht. Bei der VG Bild-Kunst sind grundsätzlich alle Wahrnehmungsberechtigten auch stimmberechtigte Mitglieder. Dort ist eine solch einseitige Ausrichtung kaum vorstellbar.

Oder wie es VG-Wort-Insiderin Sabine Richly treffend formuliert: Transparenz und Vertrauen in das Handeln und in die Strategie der VG sind entscheidende Faktoren für das Gelingen der digitalen Transformation. Das ganze Konstrukt lebt ja eigentlich von einer Diskussion und von Menschen, die durchaus auch unterschiedliche Ansätze haben und auch sehr unterschiedliche Brillen aufhaben.“


 

Georg Fischer, Stephan Klingner, Malte Zill (HG.)

„Monopole im medienindustriellen Komplex?

Verwertungsgesellschaften gestern, heute, morgen“

271 Seiten, 14,5 x 20,5 cm, Klappenbroschur

ISBN 978-3-96317-292-2 (Print)

29,00 € (Print)

ISBN 978-3-96317-838-2 (ePDF)

24,00 € (ePDF)

Büchner-Verlag, Marburg, März 2023

 

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