Kein anderer Satz wird in Deutschland so stark mit der Flüchtlingssituation in Verbindung gebracht wie Angela Merkels „Wir schaffen das.“ Dass dieser Ausspruch eine derartige Resonanz hervorrufen würde, konnte niemand ahnen, sagte Dr. Annekatrin Gebauer am 27. Februar beim Mediensalon in Berlin. Gebauer war bis zum vergangenen Jahr Sprecherin der Bundesregierung und arbeitet heute als Beraterin für strategische Kommunikation bei Hering Schuppener.
Die Politiker seien mit ihrer Sprache vorsichtiger geworden, so Gebauers Beobachtung. Formulierungen würden genau überprüft, und es werde darauf geachtet, wie die Aussagen in der Öffentlichkeit wirken. Das habe zugenommen, „zumindest bei dieser Kanzlerin“, so Gebauer. Das liege auch an den „neuen Meinungsräumen“ in den sozialen Medien, in denen die Aussagen der Regierung häufig ins Negative gedreht würden.
Das große Unternehmen Aufklärung
„Alte und neue Influencer: Wieviel Macht haben Medien bei politischen Entscheidern?“, war der Titel dieses Mediensalons im Vodafone Institut in Berlin-Mitte. Gebauers „Wir schaffen das“- Anekdote war einer der wenigen Momente, an denen der Abend diesem Titel gerecht wurde. Das lag weniger an den Diskutanten, als an den Fragen von Moderator Johannes Altmeyer (Welt), die vor allem um den Arbeitsalltag und die Zukunft der Medienhäuser in Zeiten der Digitalisierung kreisten.
Mit wenigen Ausnahmen: „Wie viel Macht hat Zeit Online?“ „Wie viel Macht hat der Tagesspiegel?“, wollte Altmeyer von Monika Pilath und Mathias Müller von Blumencron wissen. Pilath ist Chefin vom Dienst am Newsdesk von Zeit Online, Müller von Blumencron ist Chefredakteur des Tagesspiegels. Pilath: „Alte Influencer sind in der Pflicht, sich neu zu erfinden.“ Bei Zeit Online stelle man sich die Frage, wie man die veränderten Kommunikationsbedingungen aufnehmen könne – ein Ergebnis sei das Format „Deutschland spricht“, dessen Idee es ist, Menschen mit unterschiedlichen politischen Meinungen an einen Tisch zu bringen. Blumencron: „Wir haben nur eine Chance, wenn wir an den klassischen Aufgaben unserer Profession festhalten.“ Da sei – nach Rudolf Augstein – „das große Unternehmen Aufklärung“, Inspiration und Unterhaltung gehörten ebenfalls dazu. Beim Tagesspiegel gehe es nicht um die Frage, wie mächtig man sei, oder etwa darum, welchen Minister man als Nächstes stürzen könne.
Kontroverse Diskussionen erwünscht
Stefan Mauer, Hauptstadtkorrespondent von Xing News, gab Einblick in die Arbeit seiner Redaktion, bei der man viel Wert lege auf die Kommunikation mit den Lesern. Auch kontroverse Diskussionen seien ausdrücklich erwünscht. Wenn Leser*innen in Debatten besonders hervorstechen, ermuntere man sie, eigene Artikel zu verfassen, die dann das Redaktionssystem durchlaufen und veröffentlicht werden.
Wie aber steht es um das Verhältnis von Medien und Politik? Es war schließlich eine Zuhörerin aus dem Publikum, die eine Kernfrage zum Thema des Abends stellte: „Print oder digital – wie informieren sich politische Entscheider?“
Printmedien first
Print sei immer noch entscheidend, sagte Gebauer. In der Presseauswertung werde vor allem auf Veröffentlichungen in den Print-Medien geschaut, wobei die „Edelfedern, die Intellektuellen und die Chefredakteure besondere Aufmerksamkeit bekommen“. Dabei, so Gebauer, hätten diese Medien deutlich weniger Leser*innen als früher, aber noch immer das gleiche Gewicht für die Entscheider in der Politik. Social Media werde durchaus wahrgenommen, aber nicht als Teil der Presseauswertung, sondern als „politischer Faktor“, der Probleme bereite, „weil dort sehr viele Querulanten unterwegs sind, die die Legitimität unseres Systems in Frage stellen“. Es werde nicht geschaut: „Was wird diskutiert, wie kommt das an, was wir tun?“ Für die politischen Akteure seien die medialen Influencer noch immer die Printmedien und das Fernsehen.
„Vielleicht ist das auch ein Zeichen für den Zustand der Politik in diesem Land“, wandte Müller von Blumencron ein. Seine Erfahrung sei, dass es durchaus gestandene Politiker gebe, „die erkannt haben, dass sie über digitale Distribution, über Interviews mit führenden digitalen Medien eine hohe Reichweite erzielen – eine viel höhere, als über Print, und damit auch einen langfristigeren Einfluss haben“. Die Politik, meinte Müller von Blumencron, müsse sich schnellstens stärker auf die neuen Ebenen einlassen: „Ich glaube nicht, dass es auf Dauer eine gute Strategie ist, nur auf die Holzmedien zu gucken.“
Eine offene Beziehung mit Twitter
Immerhin, so Pilath, fange der Bundestag jetzt an zu twittern und bei Facebook präsent zu sein. Es sei eine „nachholende Entwicklung“. Das Verhältnis von Politik und Medien habe sich von der klassischen Paarbeziehung zu einer eher offenen Beziehung gewandelt. Medien hätten beispielsweise über Twitter viel mehr Möglichkeiten, Zitate zu bekommen und Gesprächspartner zu finden. Politische Akteure wiederum könnten selbst in den sozialen Medien aktiv werden, was bei einigen Politikern bereits Alltag sei.
Um Einfluss auf Agenda Setting und politische Themen kämpfen auch Vertreter aus der PR- Branche – darauf wies eine Journalistin aus dem Publikum hin. Sie bezog sich auf ihren Vorredner, der sich vorgestellt hatte als „Parlamentskorrespondent von Reemtsma“. Sie beobachte, dass Berater und Lobbyisten zunehmend als Kollegen von Journalisten auftreten. „Ich komme aus einer Zeit, da war das kein Korrespondent, sondern ein PR-Berater“, sagte sie.