Waffenhandel und Pressefreiheit

Seit mehr als 30 Jahren beobachtet Jürgen Grässlin die Firma Heckler & Koch. Zeitweilig wohnte der Lehrer und Buchautor sogar in der Nähe der Waffenfabrik im Schwarzwald. Sein Verdacht seit Langem: Die Firma verkauft ihre Schusswaffen in Krisen- und Kriegsgebiete und verstößt damit gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Schließlich zeigt Grässlin die Firma bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft an und legt Beweismittel bei. Nach langem Zögern klagt Staatsanwalt Peter Vobiller sechs Angestellte der Firma an. Ein Erfolg nach vielen Jahren! Aber kürzlich wird bekannt, dass derselbe Staatsanwalt Vorermittlungen gegen Grässlin und mehrere Journalisten aufgenommen hat.

„Im Frühjahr 2009 meldete sich ein Mitarbeiter von Heckler & Koch telefonisch bei mir, er sagt, er hält das nicht aus, was in seiner Firma passiert, er sei Christ“, erzählt Jürgen Grässlin. „Wir haben uns dann sofort getroffen und später noch oft an verschiedenen Orten. Erst war ich misstrauisch, es hätte ja auch eine Falle der Firma sein können. Der Mann übergab mir Dateien, Fotos, Filme, und ich stellte fest: Der ist ein Maschinen-Mensch, er kennt sich aus bis ins kleinste Detail mit den Waffen. Es stimmt, was er sagt.“

In den Dokumenten des Whistleblowers geht es um den Export von mehr als 10.000 Sturmgewehren des Typs G 36 an Mexikanische Polizeieinheiten ab dem Jahr 2006. Damals hat der Drogenkrieg in Mexiko gerade an Fahrt aufgenommen, Drogenbosse unterwandern den Staat, etliche korrumpierte Polizeitruppen unterstützten das organisierte Verbrechen. Das Außenministerium in Berlin warnt vor Waffenlieferungen in einige Mexikanische Bundesstaaten.
Aber Heckler & Koch liefert dennoch. In den Dokumenten, die er von dem Whistleblower bekam, sei nicht nur der Export selbst gut erkennbar, sondern auch die Rolle der Behörden, sagt Grässlin. Das Bundeswirtschaftministerium und das Bundesausfuhramt hätten die Geschäfte nicht nur geduldet, sondern mit konkreten Tipps erst möglich gemacht.

15 Angestellte von Heckler & Koch beschuldigt Grässlin in seiner Anzeige im April 2010. Acht Monate lässt der Staatsanwalt sich Zeit, bis er eine Hausdurchsuchung bei dem Unternehmen anordnet. Ende 2012 legt Grässlin nach und erstattet über seinen Anwalt Holger Rothbauer Anzeige gegen eine Abteilung des Bundeswirtschaftsministeriums.

Im September 2015 wird das Mexiko-Geschäft von Heckler & Koch einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die ARD strahlt eine Fernsehdokumentation und einem Spielfilm aus, beide von dem Filmemacher Daniel Harrich.
Jürgen Grässlin war als fachlicher Berater dabei. In der Dokumentation wird ein Verbrechen aufgegriffen, das weltweit Schlagzeilen machte: 43 Studenten waren in der Stadt Iguala im September 2014 von Polizisten entführt und dann von Kriminellen ermordet worden. Viele Polizisten hätten dabei G 36-Gewehren von Heckler & Koch getragen, heißt es in der TV-Dokumentation, die eine bemerkenswerte Quote von etwa sechs Millionen Zuschauern erreicht. Gleichzeitig erscheint das Buch „Netzwerk des Todes“ von Jürgen Grässlin und anderen Autoren zum selben Thema.
Bis dahin sind mehr als fünf Jahre seit der Anzeige Grässlins gegen Heckler & Koch verstrichen, solange hat der Stuttgarter Staatsanwalt sich Zeit gelassen. Erst wenige Wochen nachdem die Fernsehbeiträge ausgestrahlt und das Buch erschienen ist, reicht der Staatsanwalt die Anklageschrift beim Stuttgarter Landgericht ein. Darin klagt er sechs Mitarbeiter der Waffenfirma an. Die Vorwürfe Grässlins gegen die Bundesbehörden lässt er allerdings bei Seite. Es bestehe kein ausreichender Anfangsverdacht, teilt die Pressestelle mit.

Im April dieses Jahres bekommen Jürgen Grässlin, der Filmemacher Daniel Harrich und weitere Beteiligte an der Mexiko-Recherche den Grimme-Preis für besondere journalistische Leistungen. Kurz davor hat Staatsanwalt Peter Vobiller ihnen Wasser in den Wein gegossen. Er hat Vorermittlungen gegen sie aufgenommen, weil sie gegen § 353 d des Strafgesetzbuchs verstoßen hätten. Demnach wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldbuße bestraft, wer Schriftstücke eines Verfahrens „öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind.“
Grässlin räumt ein, dass er und seine Mit-Autoren in ihrem Buch aus Dokumenten zitiert haben, die sich in den Akten des Staatsanwalts befinden. „Aber das Absurde ist, dass wir die Dokumente großenteils dem Staatsanwalt zuvor gegeben haben.“

Sein Rechtsanwalt Holger Rothbauer regt an, diesen Paragraphen abzuschaffen. Der solle nämlich allein sicherstellen, dass Richter und Schöffen von der öffentlichen Berichterstattung nicht beeinflusst werden. Das sei weit weniger wichtig als die Meinungs- und Informationsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes, die Rothbauer durch die Vorermittlungen des Staatsanwalts verletzt sieht. „Richter und Staatsanwaltschaften sollten in ihrer Fähigkeit, sich ein umfassendes und unvoreingenommenes Bild von einem Fall zu machen, so gefestigt sein, dass sie durch eine Berichterstattung, die dem öffentlichen Interesse dient, nicht beeinflusst werden“, findet auch Cornelia Haß, Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di.

„Jetzt geht es nicht mehr nur um Waffenhandel, sondern auch um Pressefreiheit“, sagt auch Jürgen Grässlin, „dieser Fall könnte zu einem Präzedenzfall werden.“ Sein Anwalt kündigt an, damit notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen.

Die Ermittlungen wurden vor wenigen Tagen von der Stuttgarter auf die Münchener Staatsanwaltschaft übertragen. Um Staatsanwalt Vobiller etwas zu entlasten, vermutetet Rechtsanwalt Rothbauer.
Seit einem halben Jahr liegt die Anklageschrift gegen sechs Angestellte von Heckler & Koch nun schon bei der Wirtschaftskammer des Stuttgarter Landgerichts. Wird es zu einem Strafverfahren kommen? Das hat die Kammer noch nicht entschieden, sie lässt sich Zeit. Ein siebenter Angeklagter, der Vertriebsleiter der Firma, ist inzwischen verstorben. Grässlin: „Ich will nicht sagen, dass er auf unserer Seite war. Aber er hat beim Staatsanwalt umfänglich ausgesagt und hätte, allein um seinen Kopf zu retten, vor Gericht Fakten über die beiden ehemaligen Geschäftsführer geliefert, die mit angeklagt sind.“
Gleich zwei Geschäftsführer des schwäbischen Waffenbauers auf der Anklagebank! Das hat es in der Firmengeschichte noch nicht gegeben. Einer der beiden, Peter Beyerle, war Präsident des Landgerichts Rottweil, ehe er zu Heckler & Koch wechselte. Sein Aufgabengebiet dort: Kontakt zur Bundesregierung und zu den Behörden.

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