Wie Journalismus durch Krisen helfen kann

Moderatorin Birgit Langhammer und die Expert*innen Alexandra Borchardt, Adrian Feuerbacher, Birgitta Schülke, Korinna Hennig und Ellen Heinrichs (v.l.n.r. Screenshot)

Klima, Corona, Krieg in der Ukraine – angesichts der vielen Krisen interessiert sich das Medienpublikum immer weniger für Nachrichten, denn diese machen mit ihren Negativschlagzeilen mutlos und zeigen kaum Handlungsoptionen. Der Druck auf Journalist*innen wächst, ihre Berichterstattung stärker auf die Bedürfnisse der Menschen auszurichten. Wie konstruktiver Journalismus dazu beitragen kann, diskutierten Wissenschaftler*innen und Medienpraktiker*innen auf einer Fachtagung von NDR Info und Hamburg Media School.

Nach dem Digital News Report 2022 interessieren sich 57 Prozent der deutschen Internetnutzer*innen für aktuelle Informationen, bei den Jüngeren nur noch 31 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr sind das zehn bis fast 20 Prozent weniger, so Charlotte Horn, Reporterin bei NDR Info in Hamburg. Ihre Umfrage im Vorfeld der Tagung bestätigt diese Nachrichtenmüdigkeit. Da schaut einer nur am Sonntag Nachrichten, andere meinen: „Krieg, Energiekrise – alles ist schrecklich, man sieht die Lösung nicht, das zieht einen runter.“ Man fühle sich machtlos und wünsche sich positivere Nachrichten und ein „bisschen neutraler“ – etwa wenn über Aktionen der Letzten Generation berichtet werde, aber nicht über ihre Ziele: „Man hört, die haben einen Krankenwagen blockiert, aber nicht, die wollen die Welt retten!“

Für Haltung und Selbstkritik im Journalismus

Die Medienkritik teilte Alexandra Borchardt, Leiterin des Journalism Innovators Program an der Hamburg Media School in ihrer Keynote zum Klimajournalismus. Berichtet werde über den „katastrophalen“ Klimagipfel in Ägypten, Proteste der Letzten Generation, aber kaum über Zuversichtliches, das es durchaus gebe: Technisch ist Klimaschutz kein Problem, die Energiepreise sinken. Da bleibe „nur noch ein politisches Problem“, das man gemeinsam lösen könne.

„Viele Unternehmen haben eine Klimastrategie, der Journalismus nicht“, kritisierte sie. Klima werde weiterhin als ein Thema unter vielen missverstanden. Nur eine Handvoll Redaktionen beschäftige sich strategisch mit dem Thema – aus Angst als parteiisch und aktivistisch wahrgenommen zu werden. Dabei sei der Schutz unserer Lebensgrundlagen eine Haltung, der sich Journalist*innen verpflichtet fühlen sollten, genauso wie der Demokratie und den Menschenrechten. Borchardt plädierte dafür, journalistische Praktiken zu hinterfragen – im Sinne einer wirkungsvollen Klimaberichterstattung. Das bedeute, sich bei der Problembeschreibung auf das Jetzt und Hier zu konzentrieren, dort wo die Menschen leben. Dabei ersetze Faktenfülle nicht Empathie. Statt nebensächlicher Details gelte es, mehr Tiefe, Recherche, starke Bilder von Lösungen zu präsentieren und nicht ständig „Bilder von Männern in Anzügen“. Um für die Zielgruppe glaubwürdig zu sein, müsse eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie gelebt werden, etwa durch klimaneutrale Medienhäuser oder Entwicklung energiesparender Formate. „Warum muss alles in HD gesendet werden“, fragte Borchardt. Konstruktiver Klimajournalismus könne die Branche zukunftsfähig machen!

Ellen Heinrichs und Pauline Tillmann referieren über konstruktive Kriegsbericherstattung (v.l.n.r.). Screenshot

Wie auch Kriegsberichterstattung konstruktiver gestaltet werden kann, damit das Publikum nicht abschaltet, demonstrierten Ellen Heinrichs und Pauline Tillmann. Mit steigender Tendenz meide das deutsche Publikum Nachrichten. Nach 100 Tagen Ukrainekrieg-Berichterstattung sei das Interesse weiter gesunken, so Heinrichs, Geschäftsführerin des Bonn Institutes. Das sei psychologisch eine gesunde Reaktion, um sich vor Stress zu schützen. In einer aktuellen Studie ihres Instituts wird untersucht, wie eine Kriegsberichterstattung aussieht, die Menschen „als gelungen erleben“.

Osteuropa-Journalistin Pauline Tillmann hat zwischen Mai und Juli dieses Jahres zusammen mit Katja Ehrenberg als wissenschaftlicher Beraterin 16 Mediennutzer*innen befragt. Sie wurden nach Geschlecht, Wohnort und Alter ausgewählt – unter ihnen auch einige, die Krieg selbst erlebt hatten. Ergebnis: Die Menschen wollten „mehr Repräsentanz und Perspektivenvielfalt“.

Gegen Ohnmachtserleben und „erlernte Hilfslosigkeit“

Es sollten häufiger „normale Bürger“ zu Wort kommen – etwa aus der Bevölkerung in Kriegsgebieten. Viele wünschten sich außer persönlichen Geschichten auch Lösungsansätze: Wie kann man den Krieg am schnellsten beenden? Was wird für den Frieden getan? Was kann ich selber machen? Sie wollten mehr Hintergrundinfos, mehr Transparenz, Links zu überprüften Quellen und einen sensibleren Umgang mit Bildern und Sprache, weg vom Militärjargon. Die Informationen seien zu oft „auf einer hohen politischen Ebene, fern vom Alltag“, so Tillmann. Man müsse mehr tatkräftige Menschen zeigen, sonst übertrage sich das Ohnmachtserleben dort auf die Mediennutzer*innen hier und führe zu „erlernter Hilflosigkeit“ – bei Einzelnen, aber auch der gesamten Gesellschaft – genauso wie in der Klimaberichterstattung.

NDR-Hörfunk-Chef Adrian Feuerbacher betonte, es sei der Job von Journalist*innen und eine Frage der Medienqualität, „das ganze Bild zu zeigen“, also nicht nur Problematisches, sondern auch Lösungen. Das könne sie nicht in jedem Bericht, so Birgitta Schülke, die für die Deutsche Welle aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine berichtet. Aber sie versuche, differenzierter zu informieren: „Auch im größten Leid wird gelacht“ und Menschen unterstützen sich gegenseitig. So habe sie etwa mobile Post-Teams begleitet, die nach Charkiw gingen, um alten Leuten an der Frontlinie ihre Renten auszuzahlen. Außer Geld brächten sie ihnen Infos und Hoffnung. Um solche Geschichten zu erzählen, brauche es aber mehr Sendezeit und Ressourcen.

Die hat NDR-Redakteurin Korinna Hennig vom Team des Podcasts „Coronavirus-Update“, der ein breites Publikum erreichte – durch alle Alters- und Bildungsgruppen. Mit dem Ziel „Empowerment durch Information“ lieferte die Sendung komplexe Antworten in einfacher Sprache, Fachwörter wurden erklärt. Heute kenne jeder das Wort „Inzidenz“, so Hennig. Wegen der guten Erfahrungen mit dem Format gibt es nach Auskunft von Feuerbacher nun auch einen Podcast zum Ukrainekrieg: „Streitkräfte und Strategien“.

In den Diskussionen, aber auch Publikumsfragen wurde deutlich, dass konstruktiver Journalismus sich stärker auf den Alltag der Menschen fokussieren sollte als auf den Schlagabtausch in der Politik. Alexandra Borchardt warnte vor einem „He said, She said“- Journalismus, dem es darum geht, Politker*innenzitate aufzuschnappen. Medienvertrauen sei „an politische Institutionen gekoppelt“, das heißt bei vielen Konflikten – Brexit oder Gelbwesten-Proteste – sinke das Vertrauen in eine Berichterstattung, die ständig Streit in der Politik widerspiegele. Adrian Feuerbacher hielt dagegen, dass Konfrontation und Kompromiss „Triebfeder der Demokratie“ seien und „Wurzel des Fortschritts“, um Probleme in der Gesellschaft zu meistern. Dennoch plädierte er für mehr „social listening“. So wussten Hörer*innen besser Bescheid über die „Flickenteppiche“ der Corona-Maßnahmen als die interviewten Politiker.

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