Glaubwürdiger durch Klimaneutralität

Zwar nicht mit dem Fahrrad, aber dennoch klimaneutral unterwegs: Thiel und Börne, die Protagonisten des Münsteraner "Tatorts", beim Voting-Event zum 50-jährigen Jubiläum der Krimi-Reihe. Foto: WDR/Willi Weber

„Es ist gut fürs Geschäft und fürs Klima“, resümiert Andreas Gustavsson, Chefredakteur der schwedischen Tageszeitung „Dagens ETC“, die zwei Jahre lang auf fossile Werbeanzeigen verzichtete. Auf der Online-Fachtagung „Medienhäuser auf dem Weg zur Klimaneutralität“, zu der die dju in ver.di und die Initiative #fossilfreieMedien am 11. Oktober eingeladen hatten, diskutierten Medienvertreter*innen und Klimafachleute, was die Branche zur Bewältigung der Klimakrise beitragen kann.

„Deutschland ist nicht auf dem Weg zum 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klima-Abkommens und wir brauchen alle gesellschaftlichen Partner“, so Antje von Broock, Bundesgeschäftsführerin des BUND, der wie ver.di zu den etwa 140  Mitgliedern der Klima Allianz Deutschland gehört. Medien sollten z. B. bei der Recherche Auto oder Flugzeug vermeiden und bei der Produktion auf den Stromanbieter achten. Journalist*innen müssten als wichtige „Kontrollinstanz“ auch „unbequeme Fragen“ stellen: Ist Klimaschutz oder Klimawandel die Zumutung? Oder: Welche Vor-und Nachteile bietet das Klimageld, mit dem Grüne und SPD höhere CO2-Preise abfedern wollen? Wichtig sei auch, welche Werbewelt Medien präsentieren – die der schicken, großen Autos und der Luxusreisen auf die Malediven?

Keine Werbung von Klimazerstörern

„Verzichtet auf fossile Werbung“ hatte die 2020 gegründete Initiative #fossilfreieMedien denn auch im Februar dieses Jahres von Medienhäusern gefordert. Julian Hirschmann und Jakob Lochner erläuterten Schritte zur Klimaneutralität. Die Treibhausgasemissionen des Unternehmens sollten bis Mitte 2022 bilanziert und keine Anzeigen fossiler Unternehmen mehr geschaltet werden. Um zu erkennen, wenn Energiekonzerne sich wie RWE durch Greenwashing aus der Verantwortung stehlen wollen, empfehlen sie etwa die Global Coal Exit List 2021 der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald. Sie liefert aktuelle Daten zu Kohleproduktion und -vermarktung von über 1000 Unternehmen und enttarnt scheinheilige Energiewende-Bekenntnisse. Nach dem Aufruf sollten die Medienhäuser bis Ende 2022 einen Plan für Klimaneutralität aufstellen und ihn bis 2026 umsetzen. Der britische „The Guardian“ hatte bereits Anfang 2020 Werbung fossiler Ölfirmen aus dem Anzeigenteil verbannt.

Vorreiter auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die kleine schwedische Tageszeitung Dagens ETC. Ihr Chefredakteur Andreas Gustavsson berichtete, Redaktion und Verlag hätten sich vor zwei Jahren entschieden, keine Anzeigen für Flugreisen, Verbrenner-Autos und schmutzige Energieunternehmen mehr zu schalten. Er finde es großartig, wenn auch Medienhäuser in Deutschland damit starteten, denn es sei heuchlerisch, dass Journalist*innen über die Klimakrise berichteten und gleichzeitig die Marketingleute Anzeigen von Klimazerstörern einwerben. Das wollten auch die Leser*innen nicht mehr tolerieren.

„Dagens ETC“ habe 2019 die richtige Entscheidung getroffen: moralisch und langfristig auch finanziell. Sie sichere Arbeitsplätze für Journalist*innen und eine Profitmarge für die Medieneigner*innen. Ein nicht nachhaltiges Geschäftsmodell dagegen zerstöre den Planeten. Seine Zeitung habe die Zahl der Abonnements um 25 Prozent steigern können und weggefallene Anzeigen fossiler Unternehmen seien durch andere kompensiert worden. Die Berichterstattung sei glaubwürdiger geworden.

Nach dem schwedischen Erfolgsmodell erklärte Nicolas Kreibich vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, wie auch Medienhäuser in Deutschland Emissionen reduzieren und beim Umgang mit Werbekundschaft Greenwashing vermeiden können. Er gehört zu den Autor*innen der im August erschienenen Publikation „Klimaneutralität in Unternehmen“, die Empfehlungen für die Formulierung von Klimazielen bietet. Unter Klimaneutralität versteht man „alle Treiber für Klimawandel“, so Kreibich, d.h. nicht nur die Gase, sondern auch ihre Wirkung, die etwa in Flughöhe gefährlicher ist als am Boden. Deshalb müsse man auch die Gesamtwirkung des Flugverkehrs auf das Klima betrachten.

Greenwashing: „falscher Eindruck“ und Reputationsrisiko

Ein gesteigertes Bewusstsein in der Privatwirtschaft für die Klimakrise habe auch eine Signalwirkung auf Verbraucher*innen und Politik und verbessere die Chancen, Klimaschutzaspekte stärker zu berücksichtigen – etwa in der Kommunikation. Wenn die Ziele aber nicht transparent und vergleichbar dargestellt würden, könne bei Konsument*innen ein „falscher Eindruck“ entstehen. Bewerbe etwa der Shellkonzern klimaneutrale Treibstoffe, könnten Verbraucher*innen daraus fälschlicherweise schließen, damit sei es genauso umweltfreundlich, weiter Auto zu fahren wie auf den ÖPNV umzusteigen.

Solche „Fehler in der Kommunikation“ bergen auch ein „Reputationsrisiko“, warnte Kreibich mit Blick auf Klagen gegen Aldi Süd und drei kleinere Firmen. Sie hatten den Begriff „klimaneutral“ irreführend verwendet. Aldi bezeichnete sich als „erster klimaneutraler Lebensmitteleinzelhändler“, obwohl der Discounter seine Treibhausgasemissionen dadurch kompensiert, dass er CO2-Zertifikate kauft. Unternehmen können so rechnerisch „Klimaneutralität“ erlangen – auch wenn sie genauso viel Treibhausgas ausstoßen wie zuvor. Wenn ein Unternehmen solche Zertifikate etwa durch Unterstützung eines Klimaschutzprojektes im globalen Süden erhält, nennt man das „Offsetting“. Kreibich kritisierte, dass die CO2-Reduzierung hierbei sowohl dem Unternehmen als auch dem Staat, in dem sich das Projekt befindet, angerechnet wird – also doppelt zählt. Das könne man durch „neues Denken“ vermeiden: statt eigene Klimaneutralität umsetzen zum globalen Klimaschutz beitragen.

Um den Beitrag der Medienhäuser zum Klimaschutz drehte sich die anschließende Diskussion. Kreibich meinte zur Frage, ob eine digitale Zeitung besser fürs Klima sei als eine gedruckte: „Das würde ich auch so einschätzen.“ Eine Zuhörerin wollte wissen, ob in fiktionalen Sendungen Zeichen gesetzt würden durch „klimafreundliche Normensetzung“ – etwa Tatort-Kommissar*innen, die Mehrwegbecher nutzen, Fahrrad oder zumindest ein kleines Auto fahren. Robert Arndt von der Public-Value-Koordination der ARD verwies auf den Münsteraner „Tatort“ und ähnliche Ansätze eines solchen Green Storytelling. Es gebe dazu aber noch keine ARD-weite Initiative.

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