Wie sich der Beamte X zu seinem Recht am Bild verhilft

Uralt-Gesetz zum Instrument gegen Meinungsfreiheit verbogen

Das „Recht am eigenen Bild“ von Polizisten gegenüber Journalisten streifte Gerald Häfner nur am Rande, als er die Gesetzesinitiative der Bündnisgruppen zur Reform des Presserechtes vorstellte (siehe M 8-9/96). Laut MdB Häfner wollen Bündnis 90/ Die Grünen das Kunsturhebergesetz (KUG) um den Hinweis ergänzt wissen, „daß das Anfertigen und Veröffentlichen von Bildaufnahmen der in Ausübung ihres öffentlichen Amtes tätigen Personen stets genehmigungsfrei zulässig ist.“

Die Bundestagsfraktion begründet das damit, daß seit den Kindertagen dieser Republik immer wieder Polizisten unter Berufung auf das KUG von Reportern „die Herausgabe des Bildmaterials verlangt und dieses anschließend vernichtet“ haben.

Ursprünglich kein Anti-Presse-Gesetz

Im Winter 1986 in Wackersdorf: Ein Journalist fotografiert, wie Polizisten eine Mutter mit Kind auf dem Arm in den Schmutz stoßen. Die Beamten nehmen ihm den Film weg. Im August 1990 in Hamburg: Ein Reporter hat einen Polizeieinsatz gegen Punks fotografiert, wird anschließend von Polizisten bis zu seiner Wohnung verfolgt und von den Beamten aufgefordert, den Film herauszugeben. Im Dezember 1994 in Wuppertal: Im Fußballstadion nehmen zwei Polizisten einen Journalisten fest, der gerade einen Film über Fußballfans dreht, und verlangen die Herausgabe des Videobandes. In allen drei Fällen, nur einigen von vielen, haben die Beamten ihr Vorgehen mit ihrem Recht am Bild gemäß KUG begründet (vgl. auch M 8-9/96, S. 17: „Gefallene Bäume und eine angeschlagene Pressefreiheit“ – KATZ, Trier).

Beim KUG handelt es sich um ein Gesetzesfossil, das der Reichstag im Januar 1907 verabschiedete. Nur wenige Paragrafen sind noch in Kraft. Sie werden heute dem „allgemeinen Persönlichkeitsrecht“ zugeordnet, einem Abwehrrecht der Bürger gegen Verletzungen ihrer Privatsphäre. Dieses Recht ist noch in keinem Gesetz umfassend definiert, sondern erst in jüngerer Zeit von Gerichten unter Berufung auf Artikel 1 des Grundgesetzes skizziert worden: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Kein Wort im KUG läßt jedoch erahnen, daß dieser Gesetzestorso durch republikanische Rechtsprechung zum Abwehrinstrument von Polizisten gegen mißliebige Reporter verbogen worden ist.


Kunsturhebergesetz vom 9. Januar 1907

„Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden“.
(§ 22)

(Ausnahmen gelten für)

  • „Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte;
  • Bilder, auf denen Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeiten erscheinen;
  1. Bilder von Versammlungen, Aufzügen oder ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben.“
    (§ 23)

Teilnehmer an Demonstrationen „oder ähnlichen Vorgängen“ werden im KUG vom Recht am Bild ausgenommen. Spektakuläre Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten gehören außerdem zum „Bereich der Zeitgeschichte“ und unterliegen ebenfalls nicht diesem alten Strafgesetz. Es bezieht sich auch nur auf „Bildnisse“, zu neudeutsch: Porträtfotos, und nicht auf Bilder vom Demonstrationsgetümmel, auf denen einzelne Gesichter nur „Beiwerk“ im Gesamtmotiv sind. Schließlich ist nicht die Aufnahme von Porträtfotos ohne „Einwilligung des Abgebildeten“ strafbar, sondern nur deren Veröffentlichung, ohne den Abgebildeten durch den berühmten schwarzen Balken unkenntlich zu machen.

Fazit: Nur wer sein Porträtfoto ohne seine Einwilligung veröffentlicht findet und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine „Person der Zeitgeschichte“ ist, kann bei der Staatsanwaltschaft Strafverfolgung nach dem KUG beantragen. Warum also sollten Bildreporter das KUG fürchten? Wegen deutscher Richter!

Bitte „objektiv“ fotografieren!

Das Landgericht (LG) Düsseldorf befaßte sich 1966 mit der Klage zweier Polizisten wegen Verstoßes gegen das KUG. Die Beamten waren während einer Razzia beim „Spiegel“ abgelichtet worden. Das LG wies ihre Klage zwar ab, betonte aber, daß es anders entschieden hätte, „wenn die Bilder in einen irreführenden Zusammenhang gestellt“ worden wären. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle urteilte 1978 über einen Vorgang, bei dem eine Demonstrantin Polizisten fotografiert hatte. Die Beamten hätten sich zu Recht dagegen gewehrt, weil gegen sie ein „Angriff geplant“ worden sei, der einer „tendenziösen Berichterstattung“ in Medien des Kommunistischen Bundes Westdeutschland habe dienen sollen. Das Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe verhandelte 1980 über die Klage eines Redakteurs, dem ein Kripobeamter den Film abgenommen hatte. Es gab dem Polizisten recht, denn die Zeitung des Journalisten beziehe, wie dem Gericht bekannt sei, „einen betont kritischen Standpunkt“.

Der nämliche Polizist war abgelichtet worden, als er sich zu einem Gerichtsverfahren wegen Bildbeschlagnahme als Zeuge eingefunden hatte. Jener andere Prozeß sei aber kein zeitgeschichtliches Ereignis gewesen, weil der Vorgang von der Presse breitgetreten worden sei, „um damit erst ein Problembewußtsein der Öffentlichkeit zu wecken.“ Das VG griff damit die Argumentation des OLG Celle auf, wonach es „zweifelhaft“ sei, daß Polizisten schon deshalb „als Personen der Zeitgeschichte“ anzusehen seien, „weil sie zum Bereich der Zeitgeschichte gehören.“

Zusammenfassend: Polizisten im Einsatz sind keine Personen der Zeitgeschichte, ihr Bildnis darf nur dann veröffentlicht werden, wenn das Gesamtgeschehen auf dem Bild objektiv wiedergegeben wird.

Amtshilfe zur Selbsthilfe

Doch warum dürfen Polizisten bereits dann Gewalt anwenden, wenn Fotoreporter ihre Kamera heben, da doch nicht das Anfertigen von Fotos – auch nicht von Porträtfotos – strafbar ist, sondern allenfalls deren Veröffentlichung? Ein Münchner Verwaltungsrichter faßte 1985 die vorangegangenen Grundsatzurteile in der rhetorischen Frage zusammen: „Wenn Profis fotografieren – liegt nicht darin schon die Veröffentlichungsabsicht“.

So haben einige Richter im Laufe der Zeit eine abenteuerliche Rechtskonstruktion zusammengebastelt: Der Polizist im Einsatz hat (als Privatperson) ein Recht am Bild. Wenn er handgreiflich gegen Fotografen vorgeht, handelt er in Notwehr, weil das Belichten eines Filmes eine (straffreie) Vorbereitungshandlung ist. Nun darf zwar „Polizeimeister Karl X“ als Privatperson keinen obrigkeitlichen Zwang auf den Fotografen ausüben und seinen Film beschlagnahmen. Das dürfen nur Amtspersonen wie Polizisten. Herr X darf jedoch „Gefahr im Verzuge“ reklamieren und gegen den Fotografen die Obrigkeit zur Hilfe rufen, also andere Polizisten oder sich selbst als Amtsperson. Ob sich dann auf dem zwecks „Gefahrenabwehr“ beschlagnahmten Film überhaupt ein Porträtfoto findet, das im Falle der Veröffentlichung möglicherweise strafrechtlich relevant sein könnte, das wird später irgendwann geklärt – falls der Film nicht „versehentlich“ ein zweites Mal dem Tageslicht ausgesetzt wurde.

Bis zur nächsten „Großlage“

In den letzten Jahren ist es recht ruhig geworden um das „Recht am Bild“. Denn die Diskussion über Pressefreiheit in Deutschland konzentriert sich zur Zeit auf die zunehmend dreistere Praxis von Staatsanwälten, sich durch die Beschlagnahme von journalistischem Recherchematerial ihre Ermittlungsarbeit zu erleichtern. Mag sein, daß Polizeichefs und Innenminister von ihrer früheren Praxis abgelassen haben, den Beamten brühwarm die absurde Rechtsprechung zum KUG näherzubringen, womit sie zu Attacken gegen Fotoreporter geradezu aufgefordert hatten. Die jüngste Fassung der „Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“ (Beschluß der Innenministerkonferenz der Länder vom 26. 11. 1993 in Oybin) legt diesen optimistischen Schluß nahe. In den Grundsätzen wird jetzt klargestellt, daß das „Fotografieren und Filmen polizeilicher Einsätze grundsätzlich keinen rechtlichen Schranken“ unterliegt und auch Aufnahmen von einzelnen Polizisten „bei aufsehenerregenden Einsätzen im allgemeinen zulässig“ sind.

Jedoch steht zu befürchten, daß die relative Ruhe nur bis zur nächsten polizeilichen „Großlage“ währt. Häßliche Ereignisse nach dem Strickmuster: Polizist nimmt Reporter unter Berufung auf das KUG den Film weg, haben sich in früheren Jahren stets während solcher „Großlagen“ summiert: Brokdorf, Gorleben, „Häuserkampf“, Startbahn West, Wackersdorf. Vergleichbare Protestbewegungen hat es in den letzten Jahren kaum gegeben.

 

 

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