Wikipedia als Eldorado für PR-Abteilungen

Logo: wikipedia.org

Wikipedia hat Reichweite. Wikipedia hat Relevanz. Wer die Informationen in die Enzyklopädie einstellt, ist allerdings wenig durchsichtig. Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) hat Wikipedia nun eine Rüge erteilt, wegen „nach wie vor bestehender unzureichender Transparenz und Absenderkennzeichnung bei deutschsprachigen Wikipedia-Einträgen“. Wie einfach es ist, selbst mit einem verifizierten Account einen Wikipedia-Eintrag dauerhaft zu schönen, zeigt das Beispiel des „Focus“.

Jedermann kann Änderungen in der Wikipedia vornehmen. Um einen Artikel zu verändern, besteht weder Registrierungs- noch Klarnamenpflicht. Zwar lässt sich in der Versionsgeschichte nachschauen, wer Änderungen eingefügt hat, doch erscheint dort bei unangemeldeten Benutzern nur die IP-Adresse, die sich verschleiern lässt, und bei angemeldeten Benutzern nur ein beliebig wählbarer Benutzername. Dies ist eine regelrechte Einladung an PR-Leute, Manipulationen in Wikipedia vorzunehmen. Unternehmen versuchen, sich in der Enzyklopädie selbst besser oder Konkurrenten schlechter aussehen zu lassen. Einige fordern die Offenlegung der Accounts von Unternehmen und Verbänden.

Der Code de Lisbonne als Standesregel der PR-Branche sieht vor, dass Public-Relations-Aktivitäten offen durchgeführt werden, leicht als solche erkennbar sind, eine klare Quellenbezeichnung tragen und Dritte nicht irreführen. Bei der deutschen Wikipedia ist dies nicht stets der Fall.

Der DRPR beobachtet die Problematik schon länger mit Argusaugen. Bereits im Mai 2019 sprach das Selbstkontrollorgan der PR-Branche eine Mahnung aus, mit der Ankündigung, eine Rüge folgen zu lassen, sollte bis zum Frühjahr 2020 keine Änderung der Richtlinien zur Kennzeichnung bezahlter Autorentätigkeit bei deutschen Wikipedia-Einträgen erzielt werden. Da der Verein Wikimedia Deutschland danach weiter allein auf die nachträgliche Kontrolle von Inhalten durch die Community und die Absenderangaben in Versionsgeschichten und auf Benutzer- und Diskussionsseiten setzte, beschloss der DRPR dann am 16. April 2020 eine Rüge. „Für den Leser ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob die Beiträge von den Autoren auf Eigeninitiative oder im Auftrag von Dienstleistern erstellt wurden“, so die PR-Wächter. Dies widerspreche „dem Transparenzgebot des Deutschen Kommunikationskodexes als auch dem Gebot zur Absendertransparenz der Online-Richtlinie des DRPR“.

Bekannt wie Coca-Cola

Um die Transparenz bei bezahltem Schreiben zu erhöhen, existieren in der deutschen Wikipedia verifizierte Konten. Für einen solchen Account kann man sich über eine E-Mail-Adresse registrieren. Verifizierte Accounts sind für Unternehmen, Verbände, Politiker oder Promis gedacht, die Wikipedia-Aktivitäten nachgehen und dies klar erkennbar tun wollen.

Einen solchen Account besitzt auch Hubert Burda Media („Focus“, „Bunte“, „Chip“). 2017 nahm Burda mit seinem Account in dem Wikipedia-Artikel über die „Superillu“ eine umfangreiche Änderung vor. Es wurde eingefügt, dass sich das Blatt im Osten „zur reichweitenstärksten Publikation“ entwickelt und dort zur Jahrtausendwende eine „höhere Reichweite als jede andere Zeitschrift“ gehabt habe, über die „die größte Reichweite von Stralsund bis Suhl“ verfüge und gar „eine ähnliche Bekanntheit wie Coca-Cola“ aufweise. Die Angaben wurden von Burda nicht durch Fußnoten belegt, obwohl die Regeln der Wikipedia eine Belegpflicht vorsehen.

Kritikabschnitte entfernt*

Am Mittag des 3. August 2017 nahm sich jemand mit dem Burda-Account den Wikipedia-Eintrag über das Burda-Flaggschiff „Focus“ vor. Im Rahmen einer Großreinemachaktion löschte Burda folgenden Satz aus dem Artikel: „Die ‚Focus‘-Redaktion rückte bei den Ermittlungen zum ‚Journalisten-Skandal‘ des Bundesnachrichtendienstes in den Blickpunkt (ab 2006).“ Bei dem Skandal hatten Journalisten dem BND, teils gegen Bezahlung, Informationen über investigative Journalisten und deren Quellen angeboten. Burda löschte auch eine Angabe, wonach „‚Focus‘-Journalisten mit den BND-Decknamen ‚Jerez‘, ‚Bosch‘ und ‚Dali‘“ eine „zentrale Spitzelrolle“ gespielt hätten.

Ebenfalls herausgelöscht aus dem Kritikabschnitt des „Focus“-Eintrags: Ein mit „Verletzung journalistischer Spielregeln“ übertitelter Absatz. Darin hieß es, dass anlässlich des Bahn-Tarifkonflikts 2014 ein „Focus“-Artikel den Bahn-Gewerkschafter Claus Weselsky als den meistgehassten Deutschen bezeichnet und dessen Wohnort preisgegeben habe. Burda löschte den Absatz einschließlich der mit einem Text aus „Die Zeit“ belegten Angabe, wonach der „Focus“-Artikel „als Verletzung journalistischer Spielregeln kritisiert“ wurde.

In dem Wikipedia-Eintrag über den „Focus“ hieß es zum „Focus-Money“-Chef, belegt durch einen Bericht des „Stern“: „Der erste Chefredakteur musste das Blatt bereits wenige Tage nach dem Start verlassen. Er geriet im Zusammenhang mit seiner Redaktionstätigkeit in den Verdacht des Insiderhandels und machte so bundesweite Schlagzeilen.“ Weiter hieß es dort: „Ein anderer, bis 2006 für ‚Focus-Money‘ tätiger Journalist, der dort auch Aktien empfohlen hatte, saß in Zusammenhang mit Kursmanipulationen kurzzeitig in Untersuchungshaft.“ Beide Aussagen wurde von Burda entfernt.

2014 wurde durch einen Bericht der „Zeit“ bekannt, dass der Focus-Chefredakteur „Helmut Markwort unter dem Pseudonym Moritz Rodach mehrere Artikel auf Focus Online über den FC Bayern geschrieben hatte, obwohl er Mitglied des Verwaltungsbeirates des Vereins ist“. Diese Angabe wurde von Burda aus dem Wiki-Eintrag ebenso getilgt wie ein Verweis auf den „Focus“-Slogan „Fakten, Fakten, Fakten“ und dass der „Focus“ „in der Sketch-Comedy Switch parodiert wurde“.

Mit Ausgewogenheit und Neutralität?

Schließlich löschte Burda aus dem Kritikabschnitt den Absatz „Einseitige Einflussnahme auf Bildungseinrichtungen“. Darin hieß es: „‚Focus Money‘ betreibt in Zusammenarbeit mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft das Schulprojekt ‚Wir erklären die Wirtschaft‘. Im Rahmen des Projektes werden Lehrern und Schulen monatlich Lehrmaterialien für den Unterricht zur Verfügung gestellt. Das Medienmagazin Zapp nutzte das Projekt im Oktober 2011 als Beispiel für die einseitige und intransparente Beeinflussung von Schulen und Lehrinhalten durch Unternehmen und Lobbyinggruppen.“

Bei Burda hieß es auf Anfrage, man habe „die Bearbeitungen zum inhaltlichen Ausbau und zur Überarbeitung entlang der Wikipedia-Community-Standards vorgenommen“. Man wolle „den Anforderungen an Ausgewogenheit, der Nutzung verlässlicher Quellen und Neutralität entsprechen“. Ziel sei „regelkonforme und transparente Wikipedia-Arbeit“. Man sei sich jedoch bewusst, „dass es zu möglichen Interessenkonflikten kommen kann, wenn ein Autor eine persönliche Beziehung zum Gegenstand eines Artikels hat, die es ihm erschwert, einen neutralen Standpunkt einzunehmen“.

Die durch Burda entfernten Informationen wurden danach nicht von der Wikipedia-Community wiederhergestellt und sind dauerhaft aus dem „Focus“-Artikel verschwunden.


*Hinweis der Redaktion: Bitte beachten Sie zu dem folgenden Textabschnitt auch den Kommentar von Johannes Richter unter diesem Beitrag, der eine andere Darstellung der Löschvorgänge enthält.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »