Die Auftaktveranstaltung des Filmfestivals Woche der Kritik widmete sich in diesem Jahr dem Thema Sorgearbeit und Fürsorge in der Filmindustrie. Die Konferenz mit dem Titel „Cinema of Care – Wer kümmert sich um das Kino?“ sowie das zugehörige Filmprogramm versammelte internationale Gäste und nahm dabei gleichermaßen Arbeitsverhältnisse wie auch die künstlerische Arbeit und die Relevanz des Kinoraums in den Blick.
„In einem guten Jahr machen wir so ein Festival mit 50.000 Euro, in einem schlechten auch mit nur 20.000“, beginnt Petra Palmer ihre Eröffnungsrede der diesjährigen Woche der Kritik und benennt damit gleich zu Beginn prekäre Arbeitsverhältnisse als wesentlichen Faktor in der Diskussion über Fürsorge und Sorgearbeit, die dieses Jahr im Zentrum des Festivals steht. Parallel zur und unabhängig von der Berlinale findet die Woche der Kritik, veranstaltet durch den Verband der deutschen Filmkritik, seit 2015 jährlich in der Akademie der Künste und dem Hackesche Höfe Kino statt. In diesem Jahr läuft sie noch bis zum 23. Februar. Geleitet wird das Festival von einem vierköpfigen Kollektiv bestehend aus Amos Borchert, Elena Friedrich, Petra Palmer und Dennis Vetter, die gemeinsam mit externen Kurator*innen das Film- und Diskussionsprogramm entwickeln.
Der Titel der Auftaktkonferenz lautete in diesem Jahr „Cinema of Care – Wer kümmert sich um das Kino?“ und versprach dabei nichts Geringeres als eine Auseinandersetzung mit strukturellen wie ästhetischen Fragestellungen, die das Thema der Sorge betreffen.
Für die, die an dieser Stelle wiederholt über den Begriff der „Sorge“ beziehungsweise „Sorgearbeit“ stolpern: Mit „Sorgearbeit“ (häufig wird auch der englische Begriff „care work“ benutzt) ist die – zumeist unbezahlte und historisch feminisierte – Arbeit gemeint, die überlebenswichtig ist: Von der Versorgung grundlegender Bedürfnisse im Alltag, bis hin zu Kinderbetreuung und Pflege. Übertragen auf prekäre Arbeit im Kulturbetrieb, die häufig mehrere Jobs gleichzeitig bedeutet, bereitet die Für- und Selbstsorge um sich und andere vor allem Sorgen und überschreitet die eh schon überdehnten Grenzen der Belastbarkeit um ein weiteres.
Kein Wunder also, dass das Thema bereits weit vor der Corona-Pandemie im Kulturbetrieb auf große Resonanz gestoßen ist – was wiederum der Arbeit diverser queerfeministischer Bewegungen zu verdanken ist, die sich seit Jahrzehnten für die Sichtbarmachung und Wertschätzung von Sorgearbeit einsetzen. Über aktivistische Vorarbeit und die Bedeutung der Politisierung von Fürsorge für eine demokratische Gesellschaft, in der das Wohl aller und zwar unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Hautfarbe oder Staatsangehörigkeit tatsächlich an erster Stelle stünde, spricht Theoretikerin Isabell Lorey zu Beginn der Konferenz und stellt dabei auch Bezüge zur Kulturarbeit her.
Im Kontext eines bei weitem nicht ausreichend budgetierten Festivals wie der Woche der Kritik, in der in den letzten Jahren mehrere Personen aus Überarbeitung und Erschöpfung das Kollektiv verließen, heißt Fürsorge nicht nur Heilung und Wohlsein, sondern auch das Aushalten von Spannungen und Differenzen, so Petra Palmer. Der Großteil des knapp bemessenen Festivalbudgets wird in die Einladung der Gäste, darunter Filmemacher*innen und andere Expert*innen aus der Branche, investiert, denn das Festival stellt neben den Filmen vor allem die Diskussion und das Beisammensein in den Mittelpunkt. Entsprechend wurde auch an diesem Abend bei den Konferenzgästen nicht gespart. Im Anschluss an Isabell Loreys Vortrag folgt ein weiterer wichtiger Punkt der Debatte: Nämlich der sorgsamen Umgang mit einem ausgebeuteten und vernachlässigten Planeten. Gezeigt wird der Kurzfilm „Soils_Habit_Plants“ von Elke Marhöfer, die im Gespräch mit Medien- und Kulturwissenschaftlerin Julia Bee erzählt, wie sie ihre Filme als Möglichkeit begreift, die Betrachtung von Natur und Umwelt nicht nur zu verändern, sondern vielmehr aus der Natur selbst heraus zu entwickeln, sodass nicht mehr das menschliche Blickregime im Mittelpunkt steht, sondern eines der Pflanzen und anderer Lebewesen.
Den Abschluss des Abends bildete das Panel „Aesthetics of Care“. Geladen waren Filmemacherin Claire Denis, Abby Sun von der International Documentary Association (IDA) und Marek Hovorka, Festivalleiter des internationalen Dokumentarfilmfestivals Ji.hlav, um gemeinsam unter Moderation von Filmkritikerin Devika Girish über das Thema des Abends zu sprechen. Dabei ging es sowohl um konkrete Fürsorge am Set als auch darum, was eine „Ästhetik der Fürsorge“ im Hinblick auf den Umgang und die Produktion von Bildern bedeuten kann. So groß die Fragen, so vage leider auch die Diskussion, in der vieles angeschnitten aber wenig ausgeführt werden konnte. Einig waren sich die Panelteilnehmer*innen darin, dass sie dem Begriff „care“ und „care work“ mit Skepsis begegnen. Die Rede von Sorgearbeit ist mittlerweile längst kommodifiziert und wird derart inflationär benutzt, dass der Begriff zusehends an Bedeutung verliert, meint Abby Sun und betont zugleich die Relevanz und Errungenschaft, die die Aufmerksamkeit für derartige Debatten in und abseits des Kulturbetriebs dennoch bedeutet.
Dass das Interesse an der Sorgedebatte im Kontext Film noch nicht verebbt ist, zeigt sich auch an diesem Abend. Der Saal der Akademie der Künste ist gut gefüllt, durch die großen Glasscheiben sieht man den Platz vor dem Brandenburger Tor, wo eine Mahnwache für die Opfer des Erdbebens in Syrien und der Türkei abgehalten wird. „Wieso sich angesichts realer Katastrophen noch um das Kino kümmern?“, fragt Devika Girish zum Abschluss der Diskussion. Die Antworten kommen zögerlich und überlegt. Claire Denis verweist darauf, dass sowohl Fürsorge als auch das gemeinsame Filmeschauen ein kollektiver Prozess sei, Abby Sun spricht von einer „gesunden Filmkultur als Symptom einer gesunden Gesellschaft“, alle berichten davon, dass sie selbst immer wieder mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit von Kino und Kunst ringen. Dass diese Frage so schwer zu beantworten ist und – wie auch an diesem Abend – immer wieder und vor allem immer wieder neu gestellt und besprochen werden muss, bedeutet die Fortsetzung einer Diskussion, die nicht abreißen darf. Im Übrigen ebenso der Faden der Sorge, der sich unerlässlich durch unser Leben zieht – so heißt es in dem von Isabell Lorey 2017 herausgegeben Sammelband „Ökologien der Sorge“.