Wolfsburg: Fotograf freigesprochen

Blockade durch Klimaaktivisten 2019 in Wolfsburg. Foto: Pay Numrich

Das Amtsgericht Wolfsburg sprach den Journalisten Pay Numrich vom Vorwurf frei, an der Blockade eines VW-Autozuges beteiligt gewesen zu sein. Im August 2019 hatten zahlreiche Aktivist*innen einen Zug mittels Ankett- und Kletteraktionen blockiert, um auf die Umweltzerstörung durch weitere Autoproduktion aufmerksam zu machen. Eine Polizistin hatte den angeklagten Journalisten als einen der Akteure vor Ort identifiziert. Das Gericht erließ einen Strafbefehl, dem widersprach Numrich. Es kam zur Verhandlung.

Der Flensburger Fotograf Pay Numrich hat sich auf die Dokumentation sozialer Proteste spezialisiert. Ein Foto von ihm erschien in der taz am 18. August 2019. Darauf zu sehen: die Blockade von Klimaaktivist*innen, die vor dem VW-Werk in Wolfsburg die Auslieferung von Neuwagen behinderten. Die Polizei nahm 27 Personen fest, die sich an den Schienen angekettet hatten und beschlagnahmte ihre Handys. Bei der Auswertung der Nummern, die während der Blockade angerufen wurden, stießen sie auf Pay Numrich. Nun ist es nicht verwunderlich, dass in solchen Situationen Journalist*innen kontaktiert werden. Doch nun wurde der Fotograf von der Polizei des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, der Nötigung und des Landfriedensbruchs beschuldigt. Gegen den Strafbefehl von 600 Euro legte der Journalist Widerspruch ein.

Bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht Wolfsburg kritisierte Numrich die „Einschränkung der Pressefreiheit durch die Polizeimaßnahmen und die Einseitigkeit der Ermittlungen“. Dass seine Tätigkeit der Polizei bekannt war, zeigten die Ermittlungsakten. In den Auswertungsprotokollen der beschlagnahmten Handys habe hinter seiner Nummer der Vermerk Journalist gestanden, berichtet Numrich gegenüber M. Zudem habe er sich mit dem von ver.di ausgestellten Presseausweis als Journalist ausgewiesen. Dass er dennoch beschuldigt und angeklagt wurde, erklärt sich der freie Journalist Numrich „mit seiner linken Gesinnung“. So sei in der Akte vermerkt, dass Numrich Mitglied im Verein „Roter Stern Flensburg“ ist. Dieser beschreibe sich selbst als „alternativer Sportverein“, heißt es in der Akte dazu. Dort werde auch festgestellt, dass die Gesichter der Mitglieder „szenetypisch unkenntlich gemacht“ worden seien. Während also Numrichs Freizeitaktivitäten akribisch durchleuchtet wurden, ist von den Ermittlungsbehörden als Beleg für seine Arbeit beispielsweise nicht erwähnt worden, dass er Fotos von der VW-Blockade an die taz verkauft hat.

„Bei der Vernehmung der Zeug*innen stellte sich dann auch noch heraus, dass die ermittelnde Beamtin zur Identifizierung nicht mal alles Bildmaterial und das vorhandene Video abgeglichen hatte“, berichtete Numrich in einer öffentlichen Erklärung. Auch eine weitere Person sei von der Beamtin nachgewiesenermaßen falsch identifiziert worden. „Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft immer so ermitteln, steht zu befürchten, dass reihenweise Unschuldige verurteilt werden.“ Die Ergebnisse stünden schon viel zu oft vor Beginn der Ermittlungen fest, so dass nur belastende Indizien gesammelt würden, kritisiert der Fotograf. „Auch wenn heute am Ende ein Freispruch stand, wirken Ermittlungen und Strafverfahren selbst schon einschüchternd und schränken somit Meinungs- und Pressefreiheit ein.“

Beweise dafür, dass sich der Fotograf strafbar gemacht hat, waren also nicht zu finden. Das Amtsgericht sprach in frei. Jetzt will der Journalist über eine Anfrage erkunden, ob sein Name in besonderen Dateien der Ermittlungsbehörden gespeichert ist. Darin sehe er die Gefahr, dass er auch künftig bei seiner journalistischen Arbeit Probleme mit der Polizei bekomme. Etwa wie es Anfang September einigen Journalist*innen ergangen ist, die von der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in München berichten wollten. Sie wurden nach eigenen Angaben während der IAA trotz Akkreditierung vorübergehend in Gewahrsam genommen. Sie haben jetzt beim Verwaltungsgericht München mit Unterstützung von ver.di Klage eingereicht, um feststellen zu lassen, dass das Festhalten durch die Polizei rechtswidrig war.


Polizeiübergriffe auf IAA-Berichterstatter

Am 22. September lädt die dju in ver.di Bayern um 19.30 Uhr zu einer Videokonferenz zu den Polizeiübergriffen auf IAA-Berichterstatter ein. Gast ist Rechtsanwalt Dr. Jasper Prigge, der die vier Kollegen vor Gericht im Auftrag von ver.di vertritt.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Journalismus unter KI-Bedingungen

Digitalkonzerne und Künstliche Intelligenz stellen Medienschaffende vor neue Herausforderungen. „KI, Big Tech & Co. – was wird aus dem Journalismus?“ lautete folgerichtig der Titel der 11. Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 16. Oktober in Berlin. Über 80 Wissenschaftler*innen, Rundfunkräte und Journalist*innen informierten sich auch über den aktuellen Stand der Debatte über den neuen Medien“reform“staatsvertrag.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Traditionelle Medien zu wenig divers

Vielfalt in traditionellen Medien ist gefährdet - durch Chefetagen, die überdurchschnittlich mit weißen Männern besetzt sind. Dazu kommt eine zunehmend stärker werdende Berufsflucht. Daneben entsteht ein „peripherer Journalismus“ – entweder mit einem hohem Anspruch an Diversität oder andererseits sehr eingeschränkter Vielfalt. Das Meinungsspektrum verschiebt sich von „migrantischen zu ultrakonservativen Stimmen“. Schlaglichter auf die kritisch-konstruktive Tagung „Diversität und Geschlecht im Journalismus“.
mehr »