Zwischen Propaganda, Zensur und Kommunikation per Internet

Die vielschichtigen Abhängigkeiten von Medien und Menschenrechten

Ohne freie Medien keine Menschenrechte – ohne Menschenrechte keine freien Medien: Diese Formel ist einfach und stimmig, doch das Geflecht der Strukturen, das auf die Berichterstattung über Menschenrechte einwirkt, ist vielschichtig. Das zeigt – nicht zum ersten Mal, aber ganz aktuell – der Krieg in Jugoslawien, der mit Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt wird.

Bomben auf Belgrad, Vertreibung im Kosovo. Jeden Tag dominiert der Krieg auf dem Balkan die Nachrichtensendungen auf allen Fernsehkanälen, doch die gezeigten Aufnahmen sind wenig aussagekräftig. Bilder der Luftschläge werden von der NATO gefiltert, die Beiträge des jugoslawischen Fernsehens geben ebenfalls nur einen manipulierten Bruchteil der Realität wieder. Glaubt man den deutschen Nachrichten, ist zwar Krieg, aber die Gewalt der Bomben auf Belgrad und andere jugoslawischen Ziele wird auf die Darstellung der technischen Perfektion beschränkt. Tote scheint es kaum zu geben.

Auf der anderen Seite ist mit dem Kosovo eine Krisenregion Europas in den Mittelpunkt gerückt, die in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur von der Politik, sondern auch von den Medien vernachlässigt worden ist. Dabei haben Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international seit den achtziger Jahren auf den sich zuspitzenden Konflikt hingewiesen, was wie so oft, erst einmal ignoriert wurde – von Ausnahmen abgesehen. Während des Krieges in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina Anfang dieses Jahrzehnts stießen Dokumentationen über die Gewalt im Kosovo nahezu auf taube Ohren. Im Dayton-Vertrag, der Bosnien-Herzegowina das Ende der Waffengewalt verschaffte, wurde das Kosovo genauso wenig erwähnt wie in der damaligen politischen Berichterstattung – zurückblickend ein schwerer Fehler. Erst mit der Bewaffnung der seit langen Jahren unterdrückten Albaner im Kosovo stieg das Medieninteresse sprunghaft. Die lange fast unbeachtete Repression gegen die albanische Mehrheit im Kosovo wurde – obwohl sie zwar noch einmal zunahm, sich aber im Prinzip nur unwesentlich veränderte – in der öffentlichen Wahrnehmung innerhalb kürzester Zeit zum schlimmsten Verbrechen der Gegenwart. Man ist geneigt, zugespitzt festzuhalten, daß die gleichen Redaktionen, die noch vor kurzem für schnellere Abschiebung von Flüchtlingen nach Jugoslawien Stimmung machten, plötzlich den NATO-Krieg gegen Slobodan Milosevic herbeischrieben, weil in Jugoslawien die Menschenrechte systematisch und brutal verletzt werden. Die Situation im Kosovo ist eine von mehreren auf der Erde, die seit langer Zeit ungelöst sind und zu eskalieren drohen. Für die Lösung solcher Konflikte gibt es keine Patentlösungen, doch der journalistische Umgang mit (Menschenrechts-)Krisen im In- und Ausland ist eine genauere Analyse wert, weil er – auch fast zehn Jahre nach Ende des Ost-West-Konfliktes – oftmals selektiv ist. Dabei müßte es gerade im Interesse der Journalistinnen und Journalisten sein, sich für Menschenrechte einzusetzen. Denn ihre Arbeit ist davon abhängig, daß bestimmte Rahmenbedingungen und Freiheiten garantiert sind.

Auf Menschenrechte angewiesen: Verfolgte Journalisten

Wer in menschenrechtsverletzenden Staaten seine Arbeit als Journalist ernst nimmt, lebt gefährlich. Diktatoren müssen fürchten, daß ihre Schandtaten durch eine freie Presse an die Öffentlichkeit geraten. Deshalb unterdrücken sie unabhängige Medien – die Schließung des jugoslawischen Rundfunksenders B 92 und seine Wiederzulassung mit regierungsnahen Redakteuren ist nur ein Beispiel.

Unliebsame Journalisten werden verfolgt, wie Zahlen der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ verdeutlichen: 1998 waren 93 Medienschaffende inhaftiert, davon am meisten in Äthiopien (15), China (14), Syrien (10) und Birma (7). Mindestens 19 Journalistinnen und Journalisten wurden bei der Ausübung ihres Berufes in 14 Ländern getötet. In den Jahren zuvor hatte die Organisation sogar erheblich mehr Fälle ermordeter Journalisten dokumentiert. Regelmäßig veröffentlicht auch amnesty international Berichte oder Eilaktionen („Urgent Actions“) zu verfolgten Journalistinnen und Journalisten.

Medienschaffende sind somit von Berufs wegen auf die Garantie der Menschenrechte angewiesen, vor allem auf die Meinungs- und Informationsfreiheit, die in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten sind: „Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit der Meinung und der Meinungsäußerung; dieses Recht umfaßt unbehinderte Meinungsfreiheit und die Freiheit, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut durch Mittel jeder Art zu beschaffen, zu empfangen und zu verbreiten.“ Wo dieses Menschenrecht verletzt wird, gehören Journalisten zu den ersten Opfern, sei es durch Einschränkung ihrer Arbeit oder durch politische Verfolgung, Haft, Folter bis hin zur Ermordung.

Mehrere Organisationen haben sich zum Ziel gesetzt, verfolgten Journalisten zu helfen. Am bekanntesten sind die „Reporter ohne Grenzen“ (Reporter sans Frontières) mit einem internationalen Büro in Paris und einer deutschen Sektion in Berlin. Jährlich veröffentlicht die Organisation einen Bericht über die Pressefreiheit und die Arbeitssituation der Journalisten weltweit. Außerdem gibt es den in München ansässigen Hilfsverein „Journalisten helfen Journalisten“ sowie Gruppen wie „Index on Censorship“, die „Helsinki-Föderation“, „Artikel 19“ oder die Journalisten-Gewerkschaften. In einer gemeinsamen Aktion von amnesty international und IG Medien werden monatlich in der „M“ Schicksale verfolgter Kollegen vorgestellt. Die Appelle haben Erfolg, wie jüngst eine Auswertung zeigte (vgl. M 1/99).

Einziger brauchbarer politischer Wertekonsens

Neben diesem unmittelbar beruflichen Aspekt läßt sich die Bedeutung der Menschenrechte für die Medien auch auf einer anderen Ebene festmachen. Die Einhaltung beziehungsweise Verwirklichung der Menschenrechte gehört zu den vorrangigen Zielen von Politik schlechthin. Die Menschenrechte, so wie sie in den verschiedenen völkerrechtlich verbindlichen Abkommen (vor allem in den internationalen Pakten über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966) festgelegt sind, beschreiben – vereinfacht gesagt – in ihrer politisch-bürgerlichen Dimension die Grenzen, an die sich der Staat als Träger des Gewaltmonopols gegenüber dem Individuum auf jeden Fall zu halten hat. Und in ihrer wirtschaftlich-sozialen Dimension formulieren sie Zielgrößen, die staatliche Initiative notwendig machen. Die Menschenrechte sind damit besonders nach dem Ende des Ost-West-Konflikts der einzige brauchbare internationale Wertekonsens. Sie sind ein gegenüber ideologischen Konzepten jedweder Art einsetzbarer Maßstab, politische Systeme und Regierungen zu beurteilen und einzuordnen.

Ein internationaler Konsens besteht auch darüber, welche Aufgabe den Massenmedien bei der Durchsetzung der Menschenrechte zukommt. In den 70er Jahren beauftragte die UNESCO eine Kommission, die internationale Kommunikationsstrukturen untersuchen sollte. Heraus kam die bis heute umfassendste Bestandsaufnahme über die Defizite in der internationalen Kommunikation, der MacBride-Report – benannt nach dem Vorsitzenden der Kommission, dem ehemaligen irischen Außenminister Sean MacBride, der viele Jahre Vorsitzender des internationalen Vorstands von amnesty war. In diesem Bericht heißt es zur Aufgabe der Medien: „Die vornehmste Aufgabe der Presse und der anderen Medien in diesem Bereich sollte darin bestehen, die Menschenrechte lebendige Realität werden zu lassen; dazu ist es notwendig, daß das Recht des einzelnen, über seine Rechte Bescheid zu wissen, gewahrt bleibt. Erzieher und Kommunikatoren haben gemeinsam die Verantwortung zu tragen, daß jedermann über die Menschenrechte informiert ist, daß jedermann lernt, die Menschenrechte im eigenen Interesse wie im Interesse der anderen zu achten. Das umfassende Wissen über die eigenen Rechte reicht nicht aus, Verletzungen dieser Rechte zu verhindern. Eine zweite große Verantwortung der Medien wäre die Offenlegung und Verurteilung solcher Verletzungen“. Es gibt also neben dem beruflichen auch einen moralisch-ethischen Aspekt im Verhältnis von Massenmedien und Menschenrechten.

Dazu kommt noch ein gewissermaßen „funktionaler“ Aspekt: Die politischen und bürgerlichen Menschenrechte setzen die rechtlichen Grenzen fest, an die sich der Staat im Umgang mit seinen Bürgern halten muß. Wenn eine Regierung oder ihre Institutionen diese Menschenrechte verletzen, dann deutet dies zumindest auf einen Mangel an Rechtsstaatlichkeit oder, in gravierenden Fällen, auf einen Mißbrauch des Gewaltmonopols hin. Und damit sind Menschenrechtsverletzungen wichtige Indizien für den Legitimationsverlust politischer Systeme. Sie lassen – und das ist für Journalisten ganz wichtig – Aussagen über den Charakter eines Regimes und seine Stabilität zu. Auf eine einfache Formel gebracht: Will man sich ein Bild von der Qualität einer Regierung und ihrer Legitimität machen, dann schaue man sich an, wer unter welchen Bedingungen in ihren Gefängnissen sitzt. Die Regierungen wissen das natürlich, und deswegen gilt grundsätzlich für alle Staaten, unabhängig von ihren Gesellschaftsordnungen: Regierungen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, haben ein existentielles Interesse daran, diese geheim zu halten. Informationen über dieses Thema sind kaum Teil der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit, es sei denn, es geht darum, Menschenrechtsverletzungen abzustreiten. Es bedarf in der Regel überdurchschnittlicher Recherche-Anstrengungen von Journalisten, wenn sie solchen Fragen nachgehen wollen. Für die Regierungen ist diese Geheimhaltung von Menschenrechtsverletzungen mehr als eine Prestigefrage. Sie ist eine der Grundbedingungen für das Fortbestehen der Repression. Wenn Menschenrechtsverletzungen öffentlich gemacht werden, beschädigt dies die moralische Integrität der Machthaber und auch ihre Legitimation, Herrschaft auszuüben. Insofern ist die Beeinträchtigung journalistischer Arbeit durch Pressezensur und andere Maßnahmen fast folgerichtig.

Objektive Informationsbarrieren …

„Das meiste, das geschieht“, behauptete der Medienautor Manfred Steffens schon 1969, „erfährt die Presse nicht; von dem was sie erfährt, läßt sie das meiste unberücksichtigt; und von dem, was sie berücksichtigt, wird das meiste nicht gelesen“. Das ist auch im Menschenrechtsbereich so: Was der Medienkonsument über Menschenrechtsverletzungen erfährt, hängt zum guten Teil davon ab, wie es um die Presse- und Informationsfreiheit in dem betreffenden Land bestellt ist: Gibt es unabhängige Medien, die in der Lage sind, eine gewisse Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive auszuüben und Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren? Gibt es Korrespondenten, die im Auftrag ausländischer Medien das Interesse und die Möglichkeit haben, solchen Themen nachzugehen? Im Prinzip treffen diese Voraussetzungen nur für relativ wenige Länder zu, über deren menschenrechtliche Probleme hierzulande dann auch vergleichsweise oft berichtet wird.

Während Korrespondenten beispielsweise in der Türkei, in Israel oder den Palästinensischen Autonomiegebieten relativ frei arbeiten können, bleibt ein Land wie Nordkorea auch für die Medien weitgehend verschlossen. Entsprechend oft stehen Berichte über Folter in der Türkei in der Zeitung und ist die Gewalt im Nahen Osten im Fernsehen zu sehen, während die Menschenrechtslage im abgeschotteten Nordkorea nur bruchstückhaft bekannt wird. Wenn zudem europäische Länder oder Regionen betroffen sind – etwa Nordirland oder das Baskenland -, erlangt das Thema noch einmal eine ganz andere Aufmerksamkeit.

In vielen Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und des Nahen Ostens werden die Medien von den Machthabern instrumentalisiert. Hinzu kommt vielfach noch ein allgemeines Charakteristikum für Unter- bzw. Fehlentwicklung: der Gegensatz zwischen urbanen Zentren und ländlichen Regionen.

Ländliche Gebiete sind oft schwer zugänglich und – was die technischen Kommunikationsmittel und die Bildung betrifft – nur schwach in die nationale Öffentlichkeit integriert. Gerade aber die Landbevölkerung ist in vielen Ländern besonders der Repression ausgesetzt, zumal dann, wenn es um die Durchsetzung vermeintlicher ökonomischer oder politischer Notwendigkeiten geht, die der traditionellen Orientierung der Betroffenen widersprechen. Und die Isolation der Landbevölkerung begünstigt Menschenrechtsverletzungen, weil sie sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden.

Das innerstaatliche Informationsgefälle in vielen Ländern setzt sich dann im Verhältnis zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern fort. Die großen Weltnachrichtenagenturen Associated Press (AP), Reuters und Agence France Press (AFP), die den Weltnachrichtenmarkt weitgehend beherrschen, sind in den meisten Ländern der südlichen Hemisphäre zu schwach vertreten, als daß sie diese Informationsbarrieren überwinden könnten. Sie sind abhängig von den vielfach staatlich gelenkten nationalen Nachrichtenagenturen, deren Auswertung sie sich vertraglich gesichert haben.

Eine UNESCO-Studie aus dem Jahr 1975 lieferte über die Verteilung der Korrespondenten der vier Weltagenturen – damals zählte noch UPI dazu – folgendes Bild: 62 Prozent aller Korrespondenten arbeiteten in Nordamerika und Europa; 17 Prozent in Asien/Australien; elf Prozent in Lateinamerika. Aus den Ländern des Nahen Ostens berichteten sechs Prozent und aus den afrikanischen Staaten vier Prozent aller Korrespondenten. Von den insgesamt rund 160 bis 170 Journalisten, die die Auslandsberichterstattung für die Tageszeitungen der Bundesrepublik wahrnehmen, ist die Hälfte in nur sechs Städten ansässig: in London, Washington, Pari, Rom, Brüssel und Moskau. Daß sich an diesem Verhältnis nur wenig geändert hat, zeigt das Korrespondentennetz der ARD laut Jahrbuch 1998: in den USA, Japan und Europa berichtete die ARD aus 18 Städten mit insgesamt 66 Korrespondenten. In Lateinamerika, Afrika und Asien waren es zusammen zehn Korrespondentenplätze mit 19 Journalisten.

Das strukturelle Ungleichgewicht ist eine der Hauptursachen dafür, daß die Informationsströme aus den Entwicklungsländern weitaus dünner sind als die aus den Industriestaaten. Wolf Schneider, der langjährige Leiter der Gruner+ Jahr-Journalistenschule in Hamburg, hat dies 1984 auf folgende Formel gebracht: „Zeichnete man maßstabsgerecht eine Karte der Welt nach der Erwähnung der Staaten in der Tagesschau, so wäre der Erdball zu vier Fünfteln durch Europa und die Vereinigten Staaten bedeckt; zwei Drittel der Erde aber schrumpften auf die Größe Helgolands zusammen“. In der generellen Tendenz dürfte Schneiders pointierte Formulierung immer noch zutreffen.

Die großen Weltnachrichtenagenturen richten sich bei der Gestaltung ihres Korrespondentennetzes natürlich nach ihren Kunden – den Zeitungen sowie den Hörfunk- und Fernsehsendungen. Sie entscheiden letztlich, was den Leser, Hörer oder Fernsehkonsumenten erreicht, weil es „Nachrichtenwert“ hat.

…und subjektive Auswahlkriterien

Dabei ist die Tatsache an sich, daß die Medien eine Auswahl treffen, nichts Illegitimes. Was per Zeitung, Hörfunk oder Fernsehen an Informationen präsentiert wird, ist immer eine durch Auswahl geprägte Interpretation von Wirklichkeit. Dabei setzen die Medien das fort, was schon einem Beobachter eines Ereignisses passiert, wenn bestimmte Aspekte eines Geschehens seine Aufmerksamkeit erregen und andere nicht. Und dasselbe tut letztlich auch der Leser einer Zeitung, wenn er bestimmte Berichte, die ihn interessieren, vollständig liest, während er für ihn weniger interessante nur überfliegt oder ihre Überschriften nur am Rande wahrnimmt.

Nach journalistischem Selbstverständnis hat Nachrichtenwert, was aktuell oder neu ist, was sich von der Norm unterscheidet, was in irgendeiner Form dramatisch oder kurios ist, was für wichtig oder bedeutsam gehalten und deshalb als interessant angesehen wird. Eine der ausführlichsten Studien für die Bundesrepublik hat in den 70er Jahren der Kommunikationswissenschaftler Winfried Schulz vorgelegt. Er hat die Meldungen mehrerer Zeitungen, einer Rundfunkanstalt und der Nachrichtenagentur dpa untersucht. Seine Ergebnisse sind im Kern noch heute gültig: „Politisches Geschehen wird durchweg nur im Handeln einflußreicher Personen sichtbar, dabei richten die Medien ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Aktivitäten der Exekutive. Am ausgeprägtesten ist diese Art Artikulationsvorsprung der Exekutive in der internationalen Politik. Etwas zugespitzt könnte man sagen, daß die Politik des Auslands aus den Geschäften und Verlautbarungen der jeweiligen Regierungen und Machthaber besteht. (…) Je bedeutender und mächtiger ein Land, je näher es der Bundesrepublik in geographischer, politischer und kultureller Nähe ist, desto häufiger kommt es auch in den Nachrichten vor. (…) Häufig stehen verbale Äußerungen (von Politikern und anderen Elitepersonen), Interpretationen und Spekulationen im Vordergrund und nicht, wie man es im allgemeinen von ,Ereignissen‘ annimmt, beobachtbares, faktisches Geschehen.“ Vor dem Hintergrund der innenpolitischen Orientierung der meisten Medien wird klar, warum die Bericht von amnesty international über Menschenrechtsverletzungen in Deutschland zwischen 1995 und 1997 in den Medien eine sehr große Resonanz fanden, die andere, zum Teil ausführlichere Berichte über vergleichsweise schlimmere Menschenrechtsverletzungen nie erreichen. Das geht so weit, daß einige Medien sich bei der Berichterstattung über den ai-Jahresbericht in den vergangenen Jahren auf das Kaptitel über Deutschland konzentrieren, womit sie vier bis fünf von etwa 600 Seiten auswählen und rund 150 Länder beziehungsweise 99 Prozent des Buches ignorierten.

Das Thema Menschenrechte entzieht sich zu einem erheblichen Teil den von Schulz skizzierten Aufmerksamkeitsstrukturen: Opfer von Menschenrechtsverletzungen haben zumeist einen niedrigen Status, sie gehören nicht zu den Inhabern von Macht, und außerdem findet das ganze oft weit entfernt von der Bundesrepublik in Ländern mit niedrigem internationalen Prestige statt.

Anders herum formuliert: Die Medien nehmen nur selten wahr, wie sich Menschenrechtskonflikte langsam anbahnen oder aufstauen. Ihre Aufmerksamkeit wird erst erreicht, wenn die Katastrophe da ist, wenn Menschenrechtsverletzungen in aller Öffentlichkeit und mit besonderer Dramatik begangen werden – siehe Jugoslawien oder Ruanda. Ähnlich wie beim Kosovo hatte amnesty international auch vor dem Völkermord in Ruanda 1994 eindringlich vor der Zuspitzung des Konfliktes gewarnt. In den Medien fand das keine Beachtung; nach dem Beginn des Mordens war Ruanda Aufmacher in allen überregionalen Zeitungen und Nachrichtensendungen. Die Frage, wie es gelingen kann, daß solche Krisenherde schon vor dem Ausbruch von Massakern oder offenen Kriegen in die Medien gelangen, konnte auf einer Diskussion zwischen Journalisten während eines ai-Kongresses im Dezember 1998 in der Frankfurter Pauslkirche nicht beantwortet werden. Ebenso erscheint es fast unmöglich, die teilweise dramatische Menschenrechtslage in ökonomisch und strategisch unbedeutenden Staaten wie Äquatorialguinea angemessen in Zeitung, Rundfunk oder Fernsehen darzustellen.

Der politische Journalismus lebt immer weniger von der Recherche als vielmehr von der Öffentlichkeitsarbeit der politischen Institutionen. Die Inhaber von Macht haben so einen Artikulationsvorsprung und die Gelegenheit, Menschenrechtsverletzungen zu verschleiern, zu rechtfertigen, zu verharmlosen oder zu vertuschen. Und zu den Fahrlässigkeiten der Journalisten gehört es, wenn sie dann die Sprachregelungen dieser Machthaber ungeprüft übernehmen: Oppostionsgruppen werden undifferenziert als „Terroristen“ oder „Freischärler“ bezeichnet, während die eigentlichen Täter – Polizei oder Armee – als Sicherheitskräfte firmieren, obwohl sie eigentlich „Unsicherheitskräfte“ heißen müßten. Zu den Sachzwängen der Medien gehört schließlich auch, daß Korrespondenten Angst haben, aus dem Kreis der amtlichen Informationsempfänger ausgeschlossen zu werden, wenn sie zu oft bei Oppositionsgruppen recherchieren, die natürlich am ehesten über Informationen zu Menschenrechtsverletzungen verfügen. Wenn sie es doch tun, müssen sie unter Umständen sogar mit ihrer Ausweisung rechnen – wie in China der FR-Korrespondent Henrik Bork 1995 und sein „Spiegel“-Kollege Jürgen Kremb 1997. Zu den Sachzwängen der Korrespondenten gehört auch der Arbeitsdruck, der manchmal zur Oberflächlichkeit zwingt: zu wenig Zeit zur Recherche, zu große Gebiete, die abgedeckt werden müssen, zu wenig Sendezeit – sowie der Zwang, Fernsehbeiträge auf 90 Sekunden zu bringen beziehungsweise im Hörfunk unter drei Minuten. Oft bleibt, wenn über Menschenrechtsverletzungen berichtet wird, nur ein dürres abstraktes Gerippe von zusammenhanglosen Fakten ohne Hintergrund.

Selektivität auch nach dem Ost-West-Konflikt

Bei der Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen spielt abseits aller strukturellen Defizite und professioneller Sachzwänge natürlich auch die politische Einstellung der Medien eine nicht unwesentliche Rolle. Sie hat besonders während des Ost-West-Konflikts die Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen bestimmt. Die Journalistin Carola Stern, einer der Initiatorinnen von amnesty international in der Bundesrepublik, hat das einmal für das Jahr 1961 skizziert: „Mich an die Anfangszeit in Köln erinnernd, wird mir schnell bewußt, wie begrenzt unser Horizont gewesen ist. Wir wußten hauptsächlich von politischen Gefangenen in Osteuropa und der DDR, wohl auch in Portugal und Spanien – von den Tausenden und Abertausenden Opfern des Kolonialismus, der Apartheid in Angola und Mozambique, in Rhodesien und Südafrika wußten wir so gut wie nichts. Eine Bürgerinitiative, die unter Berufung auf die UNO-Menschenrechtserklärung von 1948 Meinungsfreiheit für Konservative und Kommunisten, Gläubige und Atheisten, Farbige und Weiße forderte, konnte schon allein durch die die Gleichsetzung derer, die als nicht vergleichbar galten, hierzulande kaum auf Unterstützung hoffen. Eine Kolonialmacht und Rechtsdiktatur wie Portugal z.B. galt als ,Eckpfeiler der freien Welt‘, die man nicht anklagen, sondern als Bundesgenossen gegen den Kommunismus unterstützen mußte. Diktatur war nicht gleich Diktatur. Es gab ,gute‘ Diktaturen, sofern sie antikommunistisch, und ,schlechte‘, sofern sie kommunistisch waren.“

Die Einbindung der Menschenrechtsproblematik in den Ost-West-Konflikt hat sich – wenn auch in abgemilderter Form – bis zur Aufhebung der Blockkonfrontation erhalten. Bis in die späten 80er Jahre lassen sich in der Presse Beispiele nachweisen, in denen menschenrechtsverletzende Regierungen aus Bündnisinteressen oder aus außenwirtschaftlichen Erwägungen publizistisch geschont wurden. Daß das manchmal auch über den Kalten Krieg hinaus der Fall ist, läßt sich am Beispiel Indonesien beweisen. Nicht nur Helmut Kohl, den mit Präsident Suharto eine enge Männerfreundschaft verband, sondern auch viele Medien thematisierten die massiven Menschenrechtsverletzungen im asiatischen Inselstaat erst im Sommer 1998, als Suhartos Rücktritt bereits feststand. Und es ist mehr als einmal vorgekommen, daß Kommentatoren im Jahresbericht von amnesty international die veröffentlichten Seitenzahlen über ein gegnerisches linkes und ein befreundetes rechts Land nachgezählt haben, um dann amnesty Parteilichkeit zugunsten des linken Landes vorzuwerfen.

Die Rolle von amnesty international

Nun wäre es eine sehr einseitige Sicht, würde man nur das große Klagelied anstimmen und Journalistenschelte betreiben. Die Menschenrechte spielen heute zweifellos eine andere und weitaus größere Rolle in den Medien als vor zehn oder 20 Jahren. Die allzu plumpe Instrumentalisierung der Menschenrechte im Ost-West-Konflikt war schon seit Beginn der Ost-Politik nicht mehr durchzuhalten. Spätestens seitdem die Carter-Administration in den USA Ende der 70er Jahre versuchte, Menschenrechtsfragen in die eigene Außenpolitik zu integrieren, gelangte dieses Thema auf die Agenda der offiziellen Politik. Heute wird bei Staatsbesuchen zumindest am Rande zumeist auch die Frage der Menschenrechte angeschnitten. Aber es paßt in das beschriebene Muster, daß die Menschenrechtsproblematik in den Medien erst dann verstärkte Beachtung fand, nachdem sie von den Akteuren der Politik aufgewertet wurde. Zudem ist zu beobachten, daß die Frage der Menschenrechte in ökonomisch und strategisch wichtigen Ländern von Journalisten viel öfter thematisiert wird als in vergleichsweise unbedeutenden. China ist dabei das herausragende Beispiel – vor allem vermutlich, weil das Massaker auf dem Pekinger Tiananmen-Platz 1989 „live“ per TV-Bildschirm zu beobachten war und sich deshalb besonders eingeprägt hat.

Auch amnesty international hat sicher ein gewisses Verdienst, was die Etablierung des Menschenrechtsthemas auf der Tagesordnung der Medien betrifft. Die Organisation hat im Grunde journalistische Arbeitsmethoden auf dem Feld der Recherche übernommen und wird von vielen Journalisten inzwischen als eine Art Nachrichtenagentur für den Menschenrechtssektor wahrgenommen. Das spricht für die Seriosität und die Glaubwürdigkeit der Organisation. Die Journalistinnen und Journalisten wissen wohl auch, daß amnesty international zu einem guten Teil ihren Job macht. Es ist der Organisation offenkundig gelungen, den gesellschaftlichen Konsens über die Menschenrechte als weltweit gültige Meßlatte für das Handeln von Regierungen so zu verändern, daß sich auch die Medien dem nicht entziehen konnten. Nicht gelungen ist es ai hingegen in der Vergangenheit vielfach, auch die konkrete Arbeit gegen Menschenrechtsverletzungen, die Aktionen, Kampagnen sowie vor allem die durchaus beeindruckenden Erfolge angemessen in den Medien zu plazieren.

Inzwischen gibt es weltweit eine große und vielfältige Szene an größeren und kleineren Menschenrechtsgruppen, die als „watchdog“ die Machtausübung einzelner Regierungen oder auf ganzen Kontinenten beobachten. Die meisten von ihnen sind relativ erfolgreich, wenn es darum geht, die Öffentlichkeit über die Medien gegen menschenrechtsverletzende Regierungen zu mobilisieren. Zudem hat sich die Informationslage generell verbessert. Im Zeitalter von Satellitentelefon, Telefax, Mailboxen und Internet wird es für menschenrechtsverletzende Regierungen schwerer, Informationen über ihre Schandtaten zu unterbinden.

Fortschritt durch das Internet?

Eine besondere Rolle dabei spielt das Internet, das in den kommenden Jahren rasant weiterwachsen und somit immer schwerer zu kontrollieren sein dürfte (siehe auch Bericht Seite 21 f.). Schon jetzt kursieren in menschenrechtsverletzenden Ländern Dokumentationen von amnesty international, die örtliche Menschenrechtler und Dissidenten aus dem Netz gezogen und verbreitet haben. Würde amnesty international diese Berichte mit der Post verschicken, kämen sie nicht an und würden die Empfänger zusätzlich gefährden. Zudem werden Zeitungsverbote und Zensurmaßnahmen durch die neue Technologie schwieriger: In Indonesien ist beispielsweise das vor vier Jahren verbotene Magazin „Tempo“ unter dem Namen „Tempo Interaktif“ online weiterproduziert worden; sechs Monate nach Suhartos Sturz konnte es im Dezember 1998 auch offiziell wieder erscheinen. Auf der rechten Seite nehmen die Zensurbestrebungen der Machthaber zu. Die Seiten http://www.amnesty.org des Internationalen Sekretariats von ai sind von China aus beispielsweise nicht zugänglich. Doch mit zunehmender Zahl der Internet-Nutzer in China – schon jetzt sind es über zwei Millionen, im nächsten Jahr soll sich die Zahl verfünffachen – wird die vollständige Kontrolle immer mehr zur Illusion. Schon jetzt geben Dissidenten an, per E-Mail zu kommunizieren; eine lückenlose Überwachung scheint dabei unmöglich. Zuletzt wollten die Behörden verzweifelt ein Zeichen setzen: Ein Software-Händler, der 30000 E-Mail-Adressen an ein von den USA aus agierendes oppositionelles Online-Magazin verkauft haben soll, wurde am 20. Januar dieses Jahres in Schanghai zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Menschenrechte: dem CNN-Prinzip ausgeliefert?

Die Medienarbeit von Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international ist insgesamt erfolgreich. Dennoch stehen die Organisationen vor einer Reihe von Problemen: Da ist zum einen der Gewöhnungseffekt. Schaut man sich in den Zeitungen die Überschriften zu den ai-Meldungen an, dann merkt man schnell, daß die Berichte immer ähnlicher und stereotyper werden, daß im Grunde nur noch der Name des Landes ausgetauscht werden braucht. Ansonsten ist das Vokabular immer sehr ähnlich.

amnesty-Mitteilungen sind zwar zu einer Standardquelle in den Nachrichten von Presse und Rundfunk geworden. Aber sie sind zu einem guten Teil schon Ritual wie der Wetterbericht oder die Arbeitslosenzahlen oder der Dollarkurs – wie Nachrichten überhaupt. Im ARD-Jahrbuch 1993 schrieb die Journalistin Cornelia Bolesch: „Die aktuellen Nachrichtensendungen haben es geschafft, der Erosion ihres Ansehens zu entgehen. Längst haben sie die (zu) hohen Ansprüche der vielen Akademie-Tagungen über Nachrichtenjournalismus hinter sich gelassen und dürfen das sein, was sie sind: schnell reagierende Handwerksbetriebe für den Umschlag von Defekten, Katastrophen und Deklarationen aus aller Welt.

Wer sein Handwerk beherrscht, seine Arbeit schnell, schnörkellos, in angemessener Proportion und mit dem einen oder anderen kleinen Extra erledigt, dem werden gerne auch die ewig gleichen Bilder vom Händeschütteln nachgesehen. Die Tagesschau ist immer noch mehr als eine Nachrichtensendung, nämlich ein Ritual, eine Gewohnheit, ein Wendepunkt des Tages. Für viele gilt entgegen jeder Vernunft immer noch: Erst die Meldung in der „Tagesschau“ macht einen Vorgang richtig zur Nachricht.“ Wo aber die Informationen über Menschenrechtsverletzungen zum Ritual gerinnen, da kann eine Organisation wie amnesty international in den Köpfen der Menschen kaum noch etwas bewegen. Für Menschenrechtsorganisationen stellt sich – auch angesichts voyeuristischer Darstellung von Gewalt ohne politische Hintergründe, die Frage, ob sie reißerischen Berichten durch die Lieferung entsprechender Bilder Vorschub leisten wollen. Bei amnesty international ist es Konsens, daß man auch Bilder einsetzen muß, um Mitleid zu erwecken, das wiederum der erste Schritt zu einem Engagement für verfolgte Menschen ist. Doch eine klare Trennungslinie, welches Bild man zeigen sollte und welches nicht mehr, kann es nicht geben. Was den einen betroffen macht und zum Handeln anregt, findet der zweite nur noch abstoßend, so daß er sich mit dem Thema nicht beschäftigt.

Die größte Sorge besteht darin, daß die Menschenrechte dem CNN-Prinzip ausgeliefert werden. In den vergangenen Jahren war mehrfach zu beobachten, wie weltweit über Medien personalisierte Feindbilder aufgebaut wurden:

Aidid in Somalia, Saddam Hussein im Irak, Milosevic in Jugoslawien – oder auch: die Serben, die Albaner, die Kurden. Menschenrechtsverletzungen wurden plötzlich auf eine neue Weise instrumentalisiert. Bis vor wenigen Jahren noch galt das Prinzip der Nichteinmischung so absolut, daß nicht einmal diplomatischer Druck auf Menschenrechtsverletzer gestattet war. Das hat sich geändert, was erst einmal eine positive Entwicklung ist, weil Menschenrechte universell gültig sind. Doch auf einmal werden Menschenrechtsverletzungen als Grund für militärische Interventionen herangezogen. Dabei ist die Durchsetzung der Menschenrechte mit kriegerischen Mitteln schon grundsätzlich hochproblematisch. Daß zudem dabei selektiv vorgegangen wird, daß wie im Ost-West-Konflikt je nach den politischen und wirtschaftlichen Interessen wieder mit zweierlei Maß gemessen wird, versteht sich fast von selbst: Die Kriegs- und Katastrophenorientierung von CNN und anderen Medien schafft dafür das öffentliche Klima sowie das Gefühl der Bedrohung und der Hilflosigkeit, das nach einfachen und radikalen Antworten verlangt. Und es steht zu befürchten, daß das Erfolgsrezept von CNN einen Trend gesetzt hat, dem sich nicht nur in den USA immer weniger Medien entziehen können.

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