Buchtipp: Medien. Macht. Meinung.

Bild: Pixabay

Verlässliche Informationen über die Vorgänge in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind die Voraussetzung dafür, die Welt in der wir leben, zu verstehen. Laut der Autorin von „Medien. Macht. Meinung“, haben es deutsche Medienkonsument*innen da schwer. „Wer unvoreingenommene Informationen wünscht, um sich auf der Basis von Fakten ein Urteil bilden zu können, für den sind die deutschen Leitmedien oft wenig hilfreich“, so die provokante These von Renate Dillmann.

Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung. Foto: PapyRossa Verlag

Der erste Teil der Studie dreht sich um Methoden und Mechanismen der politischen Berichterstattung. Der Journalismus der Leitmedien neige zu einer „Selektion der Themen am Kriterium nationaler Interessen, stark moralisierender Benennung von Sachverhalten, Fragestellungen und Titelzeilen, die Informationen mit Wertungen durchmischen“. Ein krasses Beispiel: das unterschiedliche Medieninteresse an den Kriegen in der Ukraine und im Jemen. Während die Ukraine fast täglich in den Nachrichten auftaucht, komme der im Jemen (bis Ende 2022 annähernd 500.000 Tote und laut UNHCR „die größte humanitäre Katastrophe weltweit“) „praktisch nicht vor“. Offensichtlich fehle hier die mediale Empörung, da dieser Krieg von Saudi-Arabien mit westlichen Waffen und in westlichem geopolitischem Interesse geführt werde.

Heute Rebell, morgen Terrorist?

Generell gelte: Ob ein Krieg als bloßer Einsatz, als Mission, Operation, humanitäre Intervention oder als „brutaler völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ bezeichnet werde, sei entscheidend für die Wirkung beim Publikum. Begriffe „stiften Bedeutung und suggerieren Zusammenhänge“, sie erzeugen Sympathie oder Antipathie und gehen damit über pure Information hinaus. Heute Rebell, morgen Terrorist? An der Berichterstattung über die aktuellen Vorgänge in Syrien lässt sich leicht erkennen: Ob jemand in den Medien als Terrorist, Fundamentalist, Oppositioneller, Rebell, Dschihadist oder Freiheitskämpfer firmiert, hängt nicht unerheblich von der historischen Situation und der Identifikation mit dem jeweiligen politischen Lager ab.

Der Journalismus der Leitmedien operiert gern mit fiktiven Verantwortlichkeiten verschleiernden Subjekten („Die Preise steigen“, „die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter“). Er eliminiere zum Verständnis eines Themenkomplexes notwendige Zusammenhänge, verwende Quellen selektiv, fördere politisch opportune Sichtweisen durch eine personalisierende und emotionalisierende Berichterstattung.

Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit

Nach diesem Crashkurs in Sachen Medienkompetenz widmet sich der zweite Teil einem kurzen historischen Exkurs zur Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit, gefolgt von einer ideologiekritischen Bestandsaufnahme der aktuellen Situation im Dreiecksverhältnis von Politik, Presse und Publikum. Dass der Staat trotz eines grundsätzlichen Bekenntnisses zu Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit deren Grenzen gerade in Krisenzeiten gelegentlich recht eng definiert, belegt die Autorin im Kapitel „Der Umgang mit abweichenden Meinungen im demokratischen Staatswesen“.

Der dritte Teil des Buchs beschreibt und analysiert an den drei Fallbeispielen Ukraine- und Gazakrieg sowie dem „Fall China“, mit welchen Mitteln die Leitmedien sich am Aufbau oder der Vertiefung von Feindbildern beteiligen, die nach Auffassung der Autorin auf den Weg in die „Kriegstüchtigkeit“ führen.

Fazit: Eine instruktive Anleitung zur kritischen Rezeption der Leitmedien, die da ansetzt, wo Precht/Welzer vor drei Jahren mit ihrem Band „Die Vierte Gewalt“ aufhörten. Wer Dillmann liest, wird sich möglicherweise bei der Informationsbeschaffung – zumindest komplementär – künftig auch nach alternativen Quellen umsehen.


Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit. PapyRossa Verlag, Köln 2024, 240 Seiten, 17,90 Euro.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Digitalabgabe könnte Schieflage ausgleichen

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt die vom Staatsminister Wolfram Weimer geäußerten Pläne für eine Digitalabgabe, die Big-Tech-Unternehmen mit digitalen Plattformdiensten in Deutschland zu entrichten hätten. Wie unter anderem der Spiegel berichtet, überlegt die Bundesregierung, eine Digitalabgabe einzuführen. Diese könnte Unternehmen wie Google und Meta dazu verpflichten, einen festen Prozentsatz ihrer Werbeeinnahmen abzuführen.
mehr »

Gleichstellungsbeauftragte im ÖRR stärken

Das Bekenntnis zur Gleichstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeigt sich unter anderem im Vorhandensein von Gleichstellungsbeauftragten. Grundlage ist die jeweils entsprechende gesetzliche Regelung der Bundesländer, in denen die Sender angesiedelt sind. Gleichstellungsbeauftragte sollen nach dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), die Beschäftigten vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu schützen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen.
mehr »

Safer reporting: Schutzkodex auf der re:publica

Das gesellschaftliche Klima ist eines der ganz großen Themen auf der diesjährigen Digitalmesse re:publica in Berlin. Auch Journalist*innen sind zunehmend Hass und Bedrohungen ausgesetzt – bei der Recherche, auf Demos oder in sozialen Medien. Das gefährdet nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Pressefreiheit insgesamt.  Dagegen hilft der Schutzkodex.
mehr »

Die ganz große Verweigerung

Der  öffentlich-rechtliche Rundfunk war schon immer Hassobjekt der Rechten. Auf politischer Ebene wollen sie ihn abschaffen, am Stammtisch wird gegen ARD und ZDF gehetzt. In Sozialen Medien oder in Chatgruppen geht es richtig zur Sache. Dort treffen sich sogenannte Rundfunkverweigerer. Ralf Hohlfeld und Vivian Stamer beschäftigen sich an der Uni Passau mit den Bereichen Journalistik und Strategische Kommunikation. Für ihre Studie haben sich die beiden auf die Suche nach sogenannten Rundfunkverweigerern gemacht.
mehr »