Verlässliche Informationen über die Vorgänge in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind die Voraussetzung dafür, die Welt in der wir leben, zu verstehen. Laut der Autorin von „Medien. Macht. Meinung“, haben es deutsche Medienkonsument*innen da schwer. „Wer unvoreingenommene Informationen wünscht, um sich auf der Basis von Fakten ein Urteil bilden zu können, für den sind die deutschen Leitmedien oft wenig hilfreich“, so die provokante These von Renate Dillmann.

Der erste Teil der Studie dreht sich um Methoden und Mechanismen der politischen Berichterstattung. Der Journalismus der Leitmedien neige zu einer „Selektion der Themen am Kriterium nationaler Interessen, stark moralisierender Benennung von Sachverhalten, Fragestellungen und Titelzeilen, die Informationen mit Wertungen durchmischen“. Ein krasses Beispiel: das unterschiedliche Medieninteresse an den Kriegen in der Ukraine und im Jemen. Während die Ukraine fast täglich in den Nachrichten auftaucht, komme der im Jemen (bis Ende 2022 annähernd 500.000 Tote und laut UNHCR „die größte humanitäre Katastrophe weltweit“) „praktisch nicht vor“. Offensichtlich fehle hier die mediale Empörung, da dieser Krieg von Saudi-Arabien mit westlichen Waffen und in westlichem geopolitischem Interesse geführt werde.
Heute Rebell, morgen Terrorist?
Generell gelte: Ob ein Krieg als bloßer Einsatz, als Mission, Operation, humanitäre Intervention oder als „brutaler völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ bezeichnet werde, sei entscheidend für die Wirkung beim Publikum. Begriffe „stiften Bedeutung und suggerieren Zusammenhänge“, sie erzeugen Sympathie oder Antipathie und gehen damit über pure Information hinaus. Heute Rebell, morgen Terrorist? An der Berichterstattung über die aktuellen Vorgänge in Syrien lässt sich leicht erkennen: Ob jemand in den Medien als Terrorist, Fundamentalist, Oppositioneller, Rebell, Dschihadist oder Freiheitskämpfer firmiert, hängt nicht unerheblich von der historischen Situation und der Identifikation mit dem jeweiligen politischen Lager ab.
Der Journalismus der Leitmedien operiert gern mit fiktiven Verantwortlichkeiten verschleiernden Subjekten („Die Preise steigen“, „die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter“). Er eliminiere zum Verständnis eines Themenkomplexes notwendige Zusammenhänge, verwende Quellen selektiv, fördere politisch opportune Sichtweisen durch eine personalisierende und emotionalisierende Berichterstattung.
Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit
Nach diesem Crashkurs in Sachen Medienkompetenz widmet sich der zweite Teil einem kurzen historischen Exkurs zur Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit, gefolgt von einer ideologiekritischen Bestandsaufnahme der aktuellen Situation im Dreiecksverhältnis von Politik, Presse und Publikum. Dass der Staat trotz eines grundsätzlichen Bekenntnisses zu Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit deren Grenzen gerade in Krisenzeiten gelegentlich recht eng definiert, belegt die Autorin im Kapitel „Der Umgang mit abweichenden Meinungen im demokratischen Staatswesen“.
Der dritte Teil des Buchs beschreibt und analysiert an den drei Fallbeispielen Ukraine- und Gazakrieg sowie dem „Fall China“, mit welchen Mitteln die Leitmedien sich am Aufbau oder der Vertiefung von Feindbildern beteiligen, die nach Auffassung der Autorin auf den Weg in die „Kriegstüchtigkeit“ führen.
Fazit: Eine instruktive Anleitung zur kritischen Rezeption der Leitmedien, die da ansetzt, wo Precht/Welzer vor drei Jahren mit ihrem Band „Die Vierte Gewalt“ aufhörten. Wer Dillmann liest, wird sich möglicherweise bei der Informationsbeschaffung – zumindest komplementär – künftig auch nach alternativen Quellen umsehen.
Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit. PapyRossa Verlag, Köln 2024, 240 Seiten, 17,90 Euro.