Buchtipp: Power von der Eastside

Protestdemonstration wegen der Abschaltung des JUgendradios DT 64 vom UKW-Netz , Berlin-Prenzlauerberg am 28. Juni 1992
Foto: Toni Nemes

Die Geburtsstunde des Jugendradios DT64 schlug beim „Deutschlandtreffen der Jugend“, einer von der Freien Deutschen Jugend der DDR ausgerichteten gesamtdeutschen Pfingstveranstaltung im Jahre 1964. Hervorgegangen war der Sender aus dem Jugendstudio „DT64“ des Berliner Rundfunks. Drei Jahre nach dem Mauerbau sollten der Jugend ein paar kulturelle Zugeständnisse gemacht, den aufmüpfigen Klängen der frühen Beat-Ära im Westen eine eigenständige, aber konventionelle sozialistische Alternative entgegengestellt werden.

Powervon der Eastside! Foto: Ventil Verlag

Den DDR-Oberen war DT64 von Anfang an nicht geheuer. Bereits ein Jahr nach der Gründung monierte der damalige Vorsitzende des FDJ-Zentralrats Erich Honecker auf dem 11. Plenum des ZK der SED, den „Erscheinungen der amerikanischen Unmoral und Dekadenz“ werde „nicht offen entgegengetreten“, der Sender propagiere „einseitig die Beatmusik“. In der Folgezeit, so berichtet Jörg Wagner, Ende der 80er Jahre selbst DT64-Moderator und seit 30 Jahren Macher des Radio-Eins-Medienmagazins vom RBB, bestand das „Tagesgeschäft“ vor allem im „Aushandeln der Freiräume mit der Jugendorganisation FDJ und den SED-Agitatoren, die das Jugendprogramm als ihr Eigen verstanden“.

Diese und andere Episoden der spannenden Geschichte des Kultradios lassen sich in der soeben publizierten erweiterten Neuauflage des 1993 erschienenen und schnell vergriffenen Bands „DT64 – Das Buch zum Jugendradio 1964-1993“ nachlesen. Er versammelt auf 382 Seiten mehr als 30 Einzelbeiträge von Macher*innen und Sympathisant*innen der ersten Stunde, in denen die wesentlichen Kapitel der DT64-Geschichte rekapituliert werden.

Abwicklung ab 1991

Nach der Wende setzten sich die phantasielosen Verfechter einer ausnahmslosen Übernahme westdeutscher Medienstrukturen auch beim Jugendradio durch. Daran konnte auch die beispiellose Rettungskampagne der Hörerschaft nichts ändern. Die Abwicklung erfolgte etappenweise ab Ende 1991  – Abschaltung in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin Brandenburg, Umzug zum Mitteldeutschen Rundfunk, Reichweitenschwund durch Verlagerung von UKW über Mittelwelle zum Satelliten.   Ironie der Mediengeschichte: Mit DT64 traf es ausgerechnet den Sender, der die gesellschaftliche Wende im Äther schon früh am radikalsten vollzogen hatte.  Mehr noch: „Der Sender hatte sich nicht nur selbst reformiert, DT64 wurde auch schnell zum ersten ost-westdeutschen Medium“, resümiert Mitherausgeber Heiko Hilker.

Pioniere der sozialen Medien

„Trotz der ideologischen Leitplanken“ habe der Sender den Kontakt zu seiner Hörerschaft nie verloren, ergänzt RBB-Mann Jörg Wagner, DT64 war „schon social bevor es Social Media gab“. Viele der bekannten Moderator*innen und Sprecher*innen sind heute noch im Geschäft, machten Karriere in der ARD und beim Deutschlandradio, etwa Susanne Daubner, Jens Riewa, Marion Brasch und Silke Hasselmann.

Am 1. Mai 1993 wurde das Ende von DT64 mit der Umbenennung in „Sputnik“ besiegelt. Die noch 2022 in einem Text auf „MDR-Geschichte“ verbreitete Darstellung, Sputnik sei als Nachfolger von DT64 „in seine Fußstapfen getreten“, dürften einstige Freunde des Jugendradios wohl mit müdem Lächeln quittieren.


Heiko Hilker/Alexander Pehlemann/Andreas Ulrich/Jörg Wagner (HG.): Power von der Eastside! Jugendradio DT64 – Massenmedium und Massenbewegung. Ventil-Verlag, Mainz 2024, 384 Seiten.

 

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