Die bedrohte Instanz

Für alle „Dissidenten gegen den Mainstream“

In Karlsruhe wird demnächst mal wieder Gericht gehalten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Dann geht es um die soeben von den ARD-Landesrundfunkanstalten eingereichte Verfassungsbeschwerde gegen das jüngste Verfahren zur Gebührenfestsetzung. Bekanntlich hatte sich die Politik erstmals gegen die Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hinweggesetzt. Für die ARD steht damit die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf dem Spiel.

Gefahr droht dieser Unabhängigkeit nicht allein von populis­tischen Landesfürsten. Attackiert wird sie auch von der EU-Bürokratie, die im Bündnis mit dem hiesigen Privatfunkverband VPRT auf immer neue Wege sinnt, die Entwicklungsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu kappen, ihn auf dem Altar eines undifferenzierten Marktliberalismus zu opfern. Nicht zuletzt sind es ARD und ZDF selbst, die durch ärgerliche Selbstkommerzialisierungspraktiken denen Argumente liefern, die die Gebührenlegitimation immer mal wieder gern in Frage stellen.

Kein schlechter Zeitpunkt für eine Mediengewerkschaft, sich mit einem rundfunkpolitischen Reformvorschlag zu positionieren. Die Redaktion des vorliegenden Bandes will „mit pointierter – kritischer – Meinung, wissenschaftlicher Analyse und fundierter Information in den gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und medienpolitischen Diskurs über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingreifen“.

Welchem Reformbegriff sich die Mediengewerkschaft dabei verpflichtet fühlt, skizziert ver.di-Bundesvorsitzender Frank Bsirske in seinem Vorwort: „Programmqualität statt Ober­fläche, Beteiligungsorientierung statt reiner Konsumfunktion, publizistische Freiheit statt Zensur und Instrumentalisierung, Orientierung für eigene Entscheidungen statt Desorientierung durch PR-Strategien und Selbstkommerzialisierung“.

Das Spektrum der 16 Autoren reicht über den engeren gewerkschaftlichen „Dunstkreis“ hinaus, schließt Funktions­träger, Wissenschaftler und Journalisten ein. WDR-Intendant Fritz Pleitgen fragt nach der Zukunft des „integrierenden Vollprogramms in der Informationsgesellschaft“ und setzt gegen die angebliche „Mär“ von der Selbstkommerzialisierung des ÖRR die interessante Figur der „genrespezifischen Idealsendezeit“. Dagegen weist epd-Medien-Chefredakteur Volker Lilienthal einmal mehr eindrucksvoll nach, in welche Legitimationskrise sich ARD und ZDF mit ihrer Hinwendung zum System eines „Drittmittelfernsehens“ geritten haben. Der Überblicks­artikel über die Geschichte der Redaktionsstatutenbewegung in den Anstalten wird ergänzt um einen Insiderbericht über die Arbeitsweise von Rundfunkräten.

Weitere Themen: Duales System, Public-Service-Rundfunk im europäischen Vergleich, Kulturauftrag des ÖRR, Strategien der Privatfunker, „Geschlechterdemokratie“ im ÖRR und seinen Programmen, uvm. Gelegentlich auftretende Redundanzen stören nicht weiter, lassen sich bei einem „Sampler“ dieser Machart wohl auch kaum vermeiden. Ein nützlicher Debattenband für alle „Dissidenten gegen den Mainstream“ (Werneke) auf dem Weg zu einem „neuen medienpolitischen Konsens“.

Weitere aktuelle Beiträge

Rechte Gratiszeitungen machen Meinung

In Ostdeutschland verbreiten kostenlose Anzeigenblätter zunehmend rechte Narrative – etwa der Hauke-Verlag in Brandenburg. Unter dem Deckmantel von Lokaljournalismus mischen sich Werbung, Verschwörungserzählungen und AfD-Propaganda. Möglich wird das auch wegen der Krise des Lokaljournalismus: Wo es kaum noch Medienvielfalt gibt, füllen rechte Angebote die Lücken.
mehr »

Rechte Influencerinnen im Netz

Rechtextremismus und rechte Parolen verbinden viele Menschen automatisch mit testosterongesteuerten weißen Männern. Diese Zielgruppe füttert AfD-Politiker Maximilian Krah mit simplen Parolen wie: „Echte Männer sind rechts.“ Das kommt an bei Menschen, die im Laufe der Zeit irgendwann beim „Gestern“ stecken geblieben sind. Inzwischen verfangen solche rechten Klischees auch bei Frauen. Vor allem im Internet.
mehr »

Sicher ist sicher: Eigene Adressen sperren

Journalist*innen sind in den vergangenen Jahren vermehrt zum Ziel rechter Angriffe geworden. Die Zahl tätlicher Übergriffe erreichte 2024 einen Rekordwert, so eine aktuelle Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig. Die Autoren benennen die extreme Rechte als strukturell größte Bedrohung für die Pressefreiheit. Einschüchterungen oder sogar körperliche Übergriffe geschehen mitunter direkt an der eigenen Haustür. Den damit verbundenen Eingriff in das Privatleben empfinden Betroffene als besonders belastend.
mehr »

Rechtes Rauschen im Blätterwald

Ob Neuerscheinungen, Zusammenlegungen, Relaunches oder altgediente rechte Verlage: Was die Periodika der Neuen Rechten, ihrer Parteien, Organisationen oder auch einflussreicher kleinerer Kreise anbetrifft, lässt sich gerade angesichts des rechtspopulistischen Aufschwungs der letzten etwa 20 Jahre viel Bewegung ausmachen.
mehr »