Editorial: Ein Jedermann Journalist

„Bürgerjournalismus“ – eine Wortschöpfung, die in sich schon nicht stimmig ist. Zwar ist jeder Journalist ein Bürger – umgekehrt trifft das jedoch nicht zu. Der Grund liegt auf der Hand: Die gesellschaftliche Funktion von Medien und damit die öffentliche Aufgabe von Journalisten bedeutet, unabhängig und wahrhaftig mit ethischem Anspruch und solidem Handwerk über relevante Ereignisse und Prozesse zu berichten.

Dazu gehört eine gute Aus- und Weiterbildung. Das hat sich auch die dju mit ihrer „Charta zur Sicherung von Qualität“ auf die Fahnen geschrieben. Eine hohe Messlatte also für all jene, die sich zum Journalisten „berufen“ fühlen und die diesen Beruf, dessen Zugang in Deutschland ansonsten völlig frei ist, ausüben. Was soll also die Animation der Bürger „Reporter zu werden“, sich als Paparazzi zu betätigen, den wertvollen Augenzeugen um jeden Preis zu spielen? Zielt es nicht darauf ab, billig an Berichte zu kommen, Fotojournalisten weiter aus ihren Jobs zu drängen, Redakteure zu reinen Redaktronikern zu degradieren, letztlich Arbeitsplätze und tarifliche Bezahlung abzubauen, die Qualität zu ruinieren? (Titel S. 8 – 11).
Um Missverständnissen vorzubeugen: Das ist kein Plädoyer dafür, die Meinungsfreiheit der Bürger einzudämmen, sie zu demotivieren, sich mit interessanten Informationen und einmaligen Momentaufnahmen an ihr Medium zu wenden sowie Leserbriefe zur Beförderung der Qualität einer Zeitung zu ignorieren.
Ist jedoch die Zuschauer-Information Basis eines journalistischen Beitrages, bedarf es der Prüfung wie bei jeder Quelle, der Nachrecherche (auch S. 22, S. 30 / 31). Das kostet Zeit und ist im Falle einer „Leserquelle“ mitunter gar nicht möglich. Es ist mindestens Augenauswischerei, wenn aufgrund der ungeheuren Arbeitsdichte in den Medien behauptet wird, dies sei zu gewährleisten. So ist die Frage von M „Ist der gut ausgebildete professionelle Journalist ein Auslaufmodell?“ sicher provokant. Aber wir sollten die Debatte um die Zukunft des Berufsbildes Journalist/in führen! Vielleicht ist Zeit dafür in oder am Rande der Konferenzen bei der Gründung einer Medienfachgruppe (S. 4, S. 34f) oder auf einem der nächsten Journalistentage wie am 25. November 2006 in Berlin.

Weitere aktuelle Beiträge

Smart-Genossenschaft für Selbstständige

Smart klingt nicht nur schlau, sondern ist es auch. Die solidarökonomische Genossenschaft mit Sitz in Berlin hat seit ihrer Gründung im Jahr 2015 vielen selbstständig Tätigen eine bessere und stärkere soziale Absicherung verschafft – genau der Bereich, der bei aller Flexibilität und Selbstbestimmtheit, die das selbstständige Arbeiten mit sich bringt, viel zu oft hinten runterfällt.
mehr »

Medienkompetenz: Von Finnland lernen

Finnland ist besonders gut darin, seine Bevölkerung gegen Desinformation und Fake News zu wappnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Schulen, aber die Strategie des Landes geht weit über den Unterricht hinaus. Denn Medienbildung ist in Finnland eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf vielen Ebenen in den Alltag integriert ist und alle Altersgruppen anspricht. Politiker*innen in Deutschland fordern, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Kann das gelingen?
mehr »

Beim Tatort selbst ermitteln

Ein Zocker sei er nicht. So sagte es Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), als er im August vorigen Jahres auf der Gamescom in Köln zu Gast war. Am ARD-Stand hat sich der damalige Vorsitzende des Senderverbunds dennoch zum Zocken eingefunden, zu sehen auch im Stream auf der Gaming-Plattform Twitch. Erstmals hatte die ARD einen eigenen Auftritt auf der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele – ein deutliches Signal, dass die ARD auch auf Games setzt. Und das hat maßgeblich mit dem SWR zu tun.
mehr »

Die unendliche Krise des RBB

Der Schock sitzt nach wie vor tief. „2025 wird ein Schicksalsjahr für den RBB“, so die unfrohe Botschaft von Intendantin Ulrike Demmer Ende Januar auf einer Informationsveranstaltung vor der fassungslosen Belegschaft. Was folgte, war ein radikales Sanierungsprogramm für den Sender. Insgesamt 22 Millionen Euro will die Geschäftsleitung am Personal- und Honoraretat einsparen. Das entspricht 10,2 Prozent der bisherigen Aufwendungen und ziemlich genau 254 Vollzeitstellen.
mehr »