Feminismus trifft Klassenkampf im Film

Der Preis für die beste Regie eins Debütfilms ging an "Ellbogen". Foto: IFFF

Das Internationale Frauenfilmfest (IFFF) wirft einen sehr außergewöhnlichen Blick auf die Arbeitswelt von Frauen im Film. Damit kommt es beim Publikum gut an und liegt voll im Trend. Denn es geht um Frauensolidarität, Antirassismus, Antisexismus und Klassenkampf. Bei der 41. Ausgabe des Festivals vom 16. bis 21. April in Köln gab es volle Kinosäle. Der Schwerpunkt der von Frauen produzierten Filme aus aller Welt lag in diesem Jahr auf dem Horrorgenre.

„Frauen tragen die Last dieser Welt. Wir sind klug, schön, wütend. Wir haben Stimmen. Wir haben Ellbogen.“ So begründete die Jury des Festivals ihre Entscheidung, im Wettbewerb um die beste Regie eines Debütspielfilms Aslı Özarslans Film „Ellbogen“ zu würdigen. Der Preis von 10.000 Euro geht damit erstmalig an eine deutsche Produktion. 

Die Verfilmung des Romans von Fatma Aydemir wird im Herbst in den Kinos zu sehen sein. Der Film schildert, wie junge Postmigrant*innen  aus der Arbeitswelt in Deutschland ausgegrenzt und herausgedrängt werden. Doch in nahezu jedem Bild zeige der Film zudem die „Lösung einer Schwesternschaft“ auf.  Die sei, laut Festivaljury, nie selbstverständlich. Sie werde aber als Weckruf zur Veränderung in Erinnerung bleiben. 

Migrationshintergund klebt wie Kaugummi

Die kritische Haltung der Regisseurin Özarslan passt gut zum Festival: Im Film müht sich eine gerade 18-jährige hochmotivierte junge Frau redlich, eine Ausbildungsstelle zu ergattern. In der Schule trainiert sie gemeinsam mit Mitschülerinnen und -schülern Bewerbungsgespräche. Schon zu dem Zeitpunkt ist klar: Da können diese Jugendlichen noch so inbrünstig auf das deutsche Grundgesetz schwören. Der sogenannte Migrationshintergrund wird ihnen weiter wie Kaugummi unter den Sohlen kleben. Dabei ist augenscheinlich: Jene im Film geäußerten Berufswünsche der Jugendlichen sind tatsächlich für unsere Gesellschaft ein Glücksfall. Sie wollen Erzieher oder Altenbetreuerin werden. 

Melia Kara als Hazal Foto: IFFF/ Massimo Di Nonno

„Die Hauptfigur Hazal ist von der Migration geprägt. Dass es für sie im Alltag schwierig ist, hat auch etwas mit der Klassenzugehörigkeit zu  tun. Für junge Menschen ist es schwer sich durchzuboxen, wenn die Familie ökonomisch nicht gut gestellt ist“, so Aslı Özarslan gegenüber M. Klar, dass Wut aufkommt. Nach einem gescheiterten Geburtstags-Clubabend geschieht ein folgenschweres Unglück und Hazal (großartig: Melia Kara) flieht von Berlin nach Istanbul. 

„Ellbogen“ wurde in vier ausverkauften Vorstellungen vom Publikum begeistert aufgenommen. Die Auswahl des Films und die Prämierung der Jury belegen: Trendsicher und zugleich widerständig markiert das Festival seine Ziele als Internationales Frauenfilmfest im Sinn für die Frauenemanzipation und Arbeitsrechte. 

Wehrhafte Frauen in der Favela

Von seiner hochpolitischen Seite zeigt sich das Festival in seinem Fokus Rage & Horror mit „Dry Ground Burning“ (Verbrennung von trockenem Boden). Der Film lief 2022 erstmals im Forum der Berlinale. In 153 Minuten führt er die Zuschauerinnen in ein gespenstig anmutendes Szenario einer heruntergekommenen Industrielandschaft in der Favela Sol Nascente in Brasilia. Er verdeutlicht die Entrechtung von Frauen, Lesben, Schwarzen und Armen. Bäume und Grünanlagen gibt es dort nicht mehr. Nahezu jede Anwohnerin hat schon einmal das Gefängnis von innen gesehen. 

Der Film von Joana Pimenta und Adirley Queirós ist mit dokumentarischen Protestszenen gegen die autoritäre Politik des damaligen rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro angereichert. Der wie ein Science-Fiction-Film angelegte Streifen ist eine Koproduktion von Portugal und Brasilien. Er zeigt: An solch einem Ort lässt sich die Arbeitswelt nur noch systemsprengend realisieren. Eine wehrhafte Frauen-Motorradgang agiert mit Waffengewalt und illegalem Abzapfen von unterirdischen Öl-Pipelines. Anschließend raffinieren sie das Öl selber zu Benzin und verkaufen es. Dokumentarisches und Fiktion ist in diesem Filmepos geschickt verwoben. Durch die öde, karge Landschaft fährt ein gepanzertes Polizeifahrzeug mit Überwachungskameras. Im Film eskaliert die Lage: Im Extremfall ist manchmal eben auch Angriff die beste Verteidigung. 

Schwarzer Humor

Geradezu liebreizend wirkt dagegen Colin Higgins Screwball-Komödie „9 to 5“ (USA). Das jedoch nur auf den ersten Blick. Der Kultfilm von 1980 nach dem Drehbuch von Patricia Resnick und einer Idee von Jane Fonda brilliert gekonnt mit schwarzem Humor. Das Festival präsentierte ihn am Sonntag zum Abschluss. Vom Publikum im ausverkauften Kino wurde er regelrecht gefeiert. Dolly Partons flotte Hymne aller ausgebeuteten Büroarbeiterinnen (Achtung: Ohrwurm) ist als gewerkschaftliches Motto durchaus tauglich: „Sie nutzen dich nur aus, geben dir keine Wertschätzung und treiben dich in den Wahnsinn, wenn du dich nicht wehrst.“

„9 to 5“. Foto: IFFF

Im Film tut der verlogene, sexistische, egoistische Unternehmensvize Mister Hart alles, um seine Mitarbeiterinnen Judy (Jane Fonda), Violet (Lily Tomlin) und Doralee (Dolly Parton) gegeneinander auszuspielen. Allerdings hat er keine Chance. Die Ladies betrinken und bekiffen sich nach Feierabend zusammen und beschließen dabei, den Chef zeitweise aus dem Weg zu räumen. Dabei passieren unverhoffte Glücksmomente wie auch Missgeschicke. Letztlich ist eine länger dauernde Entführung des Chefs unvermeidlich. Was den drei Frauen Freiraum verschafft, um das Großraumbüro in Los Angeles effektiv und frauenfreundlich umzugestalten: Flexible Arbeitszeiten, Jobsharing, höhere Löhne, Betriebskita oder Blumen auf dem Schreibtisch. 

Das Kino hat im feministischen und klassenkämpferischen Sinn einiges zu bieten. Das Team des IFFF unter Leitung von Maxa Zoller ist findig genug, um jedes Jahr aufs Neue die filmischen Highlights zu fördern oder auch Vergessenes auszugraben. Dabei ist zu betonen: Feministischer Kampf ist notwendig und kann zugleich großes Vergnügen bereiten: auch mit Blick auf die veränderte Arbeitswelt. 

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