„Die Thuranos – Leben auf dem Drahtseil“

Konrad Thurano ist ein Ausnahme-Künstler. Ein großer Virtuose jeglichen Balanceakts und mit mittlerweile 95 Jahren (!) der älteste aktive Artist der Welt. Noch immer bewegt er sich beim täglichen Training an der Stange mit einer Leichtigkeit, als bedeute es nicht die geringste Anstrengung für ihn.

Und noch heute touren er und sein Sohn durch große europäische Metropolen und ergötzen das Publikum mit ihrem fabelhaften „Crazy Wire Act“, einer clownesken Mischung aus Drahtseilakt und Comedy-Show.

So geistig rege wie Thurano zudem im hohen Alter noch ist, hat er viel zu erzählen aus seinem langen, abenteuerreichen Leben mit vielen unvergesslich schönen Momenten des Erfolgs, aber auch existenziellen Krisen. Das prädestiniert ihn zu einem wertvollen Protagonisten für einen Film. Kerstin Stutterheim und Niels Bolbrinker ist mit „Die Thuranos – Leben auf dem Drahtseil“ eine authentische Dokumentation gelungen, die der berühmten Düsseldorfer Künstlerfamilie ein Denkmal setzt.

Konrad Thurano ist ein Besessener, der von seinen Kindern erwartete und verlangte, dass sie seine Passion für die Manege teilen. Konrads Töchter berichten darüber jedoch weder vorwurfsvoll noch nachtragend. Ihre etwas schmerzlichen Kindheitserinnerungen fügen sich lediglich als einzelne Mosaiksteine in eine facettenreiche Familienchronik. Und es zeichnet diese liebenswerte Hommage aus, dass sie nichts verschweigt oder beschönigt.

Geheimnisvoll bleibt nur das atemraubende artistische Können und der ungeheure Mut der Protagonisten selbst. Alte Fotos zeigen Konrad etwa im Handstand auf einer meterhohen Stange, die einer seiner Partner auf der Stirn balancierte.

Ihre schwierigste Zeit hatten „Die Thuranos“ im Zweiten Weltkrieg. Wegen der großen Repressionen gegen das „fahrende Volk“ emigrierte die Familie nach Südafrika. Weil sie sich mit den Hungerlöhnen ihres Arbeitgebers nicht zufrieden geben wollten, wurden die Thuranos in Lagern interniert und konnten sich nur dank ihrer Artistenkunst und ihrer Beliebtheit über Wasser halten. Nach dem Krieg brachen bessere Zeiten an, als Konrad 1957 ein eigenes Varieté in einem Zirkusambiente gründete. Doch dieses Projekt endete bald wieder, nachdem Konrad vom Trapez stürzte und schwere Verletzungen erlitt. Die Familie ging zurück nach Deutschland. „Die Thuranos“ ist jedoch nicht nur eine sehenswerte biografische Dokumentation, sondern zugleich eine wunderbare Allegorie über die Kunst des Lebens an sich, die Fähigkeit, nie den Mut zu verlieren und sich mit aller Hartnäckigkeit und starkem Willen immer wieder aufzurappeln.

 


Die Thuranos – Leben auf dem Drahtseil

Regie und Buch: K. Stutterheim; N. C. Bolbrinker
FSK: ohne Altersbeschränkung
Filmstart: 05.08.2004

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten, Fame und Follower

Im Netz dominiert mittlerweile der Content, den kommerzielle BigTech-Plattformen pushen. Er ist nicht mehr gebunden an eine „öffentliche Aufgabe“ von Journalismus, nämlich durch Information und Fakten zur Selbstverständigung der Gesellschaft beizutragen.
mehr »

Faktenbasiert, aufklärend, machtkritisch

Der Journalist Georg Restle ist seit 2012 Leiter und Moderator des Politmagazins Monitor in der ARD. Der studierte Jurist tritt für einen „werteorientierten Journalismus“ ein. Mit M sprach er über Fakenews, Fehlerkultur und journalistische Resilienz.
mehr »

Filmtipp:  Nürnberg ’45 

Hauptfigur des bewegenden Dokudramas über die Nürnberger Prozesse ist der junge jüdische Auschwitz-Überlebende Ernst Michel, der nun als Journalist über die Verhandlungen berichtet. Den dokumentarischen Teil prägen Michel selbst (gesprochen von Heino Ferch), seine Tochter (Annette Frier) und der Sohn (Herbert Knaup) einer polnischen Überlebenden. In den Spielszenen wirken außerdem Francis Fulton Smith als Hermann Göring und Wotan Wilke Möhring als dessen Anwalt mit.
mehr »

Medienkompetenz live und vor Ort

Daß Medienkompetenz nicht nur digital, sondern auch im real life vermittelt werden kann  zeigt ein Projekt aus Berlin. Durch aktive Medienarbeit möchte das Meko Neukölln Kinder und Jugendliche darin stärken, ihre Stimme zu erheben, sich einzubringen und an der Gesellschaft teilzuhaben. Die Angebote sollen die Teilnehmenden befähigen, sich selbst auszudrücken und ihre Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen.
mehr »