Filmrezension: Wilbur wants to kill himself

Eine traurige und anrührende Geschichte

Depressionen, familiäre Konflikte und Kindheitstraumen sind vielfach Thema im skandinavischen Kino, denkt man nur an die beklemmenden Ehe- und Psychodramen eines Ingmar Bergman oder Bille August.

Einen tristen, bedrückenden Grundton würde man gewiss auch von einem Film über einen chronisch Lebensmüden erwarten, der trotz zahlreicher gescheiterter Selbstmordversuche immer wieder einen neuen Anlauf wagt. Doch „Wilbur wants to kill himself“ ist mitnichten eine schwermütige Tragödie.

Vielmehr gelingt der dänischen Regisseurin Lone Scherfig mit britisch-schwarzem Humor und pointiertem Sarkasmus eine ebenso heitere wie traurige und anrührende Tragikomödie über Leben, Liebe und Tod, die im schottischen Glasgow spielt. Nicht, dass sie die Probleme und Ängste ihres Helden nicht ernst nehmen würde. Vielmehr sind es absurde Zufälle und Schicksale, die Wilburs Leben kräftig durcheinander wirbeln.

Wilbur will sich umbringen, weil er sich die Schuld am Tod der Mutter gibt. An Einfallsreichtum und Mut fehlt es dem jungen Mann Anfang 30 nicht. Alle gängigen Strategien probiert er durch: die Pulsadern, den Strick, eine Überdosis Tabletten, das Gas, den Fön in der Badewanne. Er wäre auch längst tot, würde nicht sein älterer Bruder Harbour immer noch rechtzeitig aufkreuzen, um ihn vor dem Exitus zu bewahren. Auch seine Mitmenschen treibt Wilbur mit seiner Todessehnsucht und mit seinem grenzenlosen Pessimismus zur Verzweiflung – bis eines Tages Alice bei ihnen auftaucht.

Wie die Feuerwehr platzt die scheue Krankenschwester und alleinerziehende Mutter in das Leben der beiden Exzentriker herein: als Retterin des am Strick baumelnden Wilbur sowie Assistentin und baldige Ehefrau seines Bruders, der die antiquarische Buchhandlung des verstorbenen Vaters mehr schlecht als recht über Wasser hält. Dann nimmt das Geschehen eine groteske Wendung: Wilbur verliebt sich in Alice und entdeckt die Lust am Leben, Harbour erkrankt an Krebs und stirbt. Trotz aller Katastrophen erscheinen die beiden Brüder als ein herzliches Komikerpaar wie die beiden neurotischen Heimausflügler in dem norwegischen Film „Elling“ von Petter Naess.

Weil Wilbur auf den ersten Blick unnahbar erscheint und dem Zuschauer anfangs die Motivation für seine Suizidversuche verborgen bleibt, hat sich Lone Scherfig ganz bewusst von der Dogma-Ästhetik verabschiedet, die noch in ihrem Überraschungserfolg „Italienisch für Anfänger“ für eine Authentizität sorgte und eine besondere Nähe zu den Figuren herstellte. Zum Glück respektiert die Regisseurin die Sehnsüchte und Ängste ihrer Figuren fernab jeglicher moralischen oder religiösen Tabuisierung des Freitods. Denn der Tod gehört in dieser intelligenten und einfühlsam inszenierten Geschichte zum Leben einfach dazu, gleich ob er ersehnt oder einsichtig erwartet wird.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Die Saat des Heiligen Feigenbaums

Die Alten hüten die Asche, die Jungen schüren das Feuer. Konflikte zwischen den Generationen sind vermutlich so alt wie die Geschichte der Menschheit. Zumindest im Westen haben die im Rückblick als „68er-Bewegung“ zusammengefassten Proteste für tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen gesorgt. Angesichts des Klimawandels könnte sich das Phänomen wiederholen. Mohammad Rasoulofs Familiendrama, deutscher „Oscar“-Kandidat, beschreibt anhand der Demonstrationen im Iran, wie sich die Alten wehren.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »