Filmtipp: Tata

Mit ihrem Vater Pawel hat Investigativjournalistin Lina Vdovîi gebrochen. Moldawien, das Land, in dem die Familie lebte, hat sie aus Wut über ihn verlassen. Mit ihren Recherchen, die im „Guardian“ oder „Balkan Inside“ erscheinen, hat sie sich einen Namen gemacht, an die familiäre Vergangenheit will sie nicht denken. Der Vater verprügelte Ehefrau und Kinder; Linas Kindheit und Jugend war äußerst gewaltvoll.

Nun aber erhält sie Post von dem Vater, der sich in Italien als Arbeiter durchschlägt – ein Video, mit dem er seine Verletzungen dokumentiert: schwere Blutergüsse am Oberkörper. Er berichtet Dinge, die Lina nur zu bekannt vorkommen. Er wird von seinen Arbeitgebern beschimpft und misshandelt, das Geld enthalten sie ihm vor. Ob in der Flaschenabfüllung, als Hauswart oder in der Landwirtschaft: Überall erfährt er Gewalt und Lohndumping.

Lina und ihr Lebensgefährte Radu, erfahren im Dokumentarfilm-Metier, sehen sich mit der Familiengeschichte in ihrem Arbeitsethos gefordert. Sie beschließen, den Film „Tata“ (Vater) zu drehen, der nun in die Kinos kommt. Sie treffen Pawel, lassen ihn von seinen Erfahrungen berichten und rüsten ihn schlussendlich mit versteckten Kameras aus. So entsteht das authentische Material, mit dem die beiden Journalisten arbeiten: Filmaufnahmen von prügelnden Arbeitgebern, Fabrikbesitzern, Großbauern. Daneben suchen sie gemeinsam nach einer Lösung, sitzen alsbald in der Beratung der Gewerkschaft CGIL, wo man Pawel hilft, den ausstehenden Lohn einzuklagen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Nach und nach verständigen sich Vater und Tochter dann auch über ihre gemeinsame Vergangenheit. Pawel gibt zu, ein mieser Vater gewesen zu sein, entschuldigt seine Wutattacken aber seinerseits mit gewaltvollen Kindheitserfahrungen. Lina akzeptiert, was sie hört, vergeben kann sie nicht. Ihre Antwort ist der Film.

„Tata“ enthüllt dabei eines: Familiäre Gewalt hat nicht eine nur zwei Generationen umfassende Geschichte, sondern ist tief in der Gesellschaft verankert. Mit der Aufarbeitung in diesem ungewöhnlichen Filmprojekt kann die engagierte Journalistin sie zumindest punktuell zur Sprache bringen und bewusst machen.


„Tata“. D/NL/ROU 2024. Regie: Lina Vdovîi, Radu Ciorniciuc. Filmstart: 4. Dezember 2025

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp:  Nürnberg ’45 

Hauptfigur des bewegenden Dokudramas über die Nürnberger Prozesse ist der junge jüdische Auschwitz-Überlebende Ernst Michel, der nun als Journalist über die Verhandlungen berichtet. Den dokumentarischen Teil prägen Michel selbst (gesprochen von Heino Ferch), seine Tochter (Annette Frier) und der Sohn (Herbert Knaup) einer polnischen Überlebenden. In den Spielszenen wirken außerdem Francis Fulton Smith als Hermann Göring und Wotan Wilke Möhring als dessen Anwalt mit.
mehr »

Filmtipp: Kein Land für Niemand

Der deutsche Dokumentarfilm beleuchtet die drastischen Folgen der europäischen Abschottungspolitik und die besondere Rolle Deutschlands bei diesem Paradigmenwechsel. Der Film begleitet eine Rettungsmission im Mittelmeer, zeigt die katastrophalen Zustände in Lagern für Geflüchtete und gibt Menschen eine Stimme, die den lebensgefährlichen Weg nach Europa überlebt haben.
mehr »

Filmtipp: Solidarity

Vordergründig ist „Solidarity“ ist eine Verbeugung vor all’ jenen, die sich beruflich oder ehrenamtlich um Geflüchtete kümmern. Mindestens genauso wichtig waren dem Schweizer Dokumentarfilmer David Bernet jedoch grundsätzliche Aspekte des Themas, die schließlich in eine entscheidende Frage münden: Wie viele Menschen kannst du umarmen?
mehr »

Filmtipp: Wilma will mehr

Das Nachwende-Drama mit Fritzi Haberlandt als Kraftwerkselektrikerin aus dem Lausitzer Braunkohlerevier, die nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes die Flucht nach vorn antritt, ist ähnlich wie der einstige DDR-Bestseller „Guten Morgen, du Schöne" eine Verbeugung vor der Freiheitsenergie ostdeutscher Frauen.
mehr »