Fremde Haut

Wie fühlt es sich an, einen anderen Namen anzunehmen, die Identität zu wechseln? Fariba (fabelhaft: Jasmin Tabatabai) hat nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Es geht ums Überleben: Sie ist nach Deutschland geflohen, weil sie als Lesbierin im Iran den Tod fürchten muss.

Plötzlich geht alles ganz schnell: Siamak, ein anderer iranischer Asylbewerber, begeht Selbstmord, kurz bevor ihn der positive Bescheid erreicht. Fariba droht Abschiebung, also zieht sie seine Sachen an, setzt seine Brille auf, schneidet ihr Haar ab, nimmt seine Papiere, macht sich auf in die schwäbische Provinz. Fortan gilt es Situationen zu meistern, in denen ihr Geheimnis auffliegen könnte. Arbeitskollegen bespötteln sie, weil sie nicht mit ihnen duscht, drängen sie, mit ihnen im Puff eine „Nummer zu schieben“. Nirgendwo ist sie allein, überall wie auf dem Präsentierteller. So steht sie in aller Frühe auf, wenn ihr Zimmergenosse noch schläft, schnürt sich ihre Brust ab, wäscht sich und schminkt sich Schatten eines Bartes ins Gesicht. Jede Bewegung, jedes falsche Wort könnte sie verraten. Gleichwohl hat Fariba auch ein wenig Glück, als die Liebe ins Spiel kommt. Doch als mit einer anderen Frau kurze Momente der Lust und Leidenschaft erlebt, überschlagen sich die Ereignisse: die Ausländerbehörde will Siamak zurückschicken, Fariba braucht einen neuen Pass, der Ehemann der Geliebten platzt vor Eifersucht.

„Fremde Haut“ ist das Porträt einer ungewöhnlich starken Muslimin und ein ebenso realistischer wie bedrückender Film zu politisch brisanten Themen wie Abschiebung, Frauenrecht und Homosexualität im Iran. Gibt es die dort überhaupt? Regisseurin Angelina Maccarone konnte mit lesbischen Iranerinnen Kontakt aufnehmen, aber keine wollte offen über das Thema sprechen. Zugleich gibt es auch eine beachtliche Zahl iranischer Frauen, die in Teheran als Männer auftreten, um mehr Freiheiten und Privilegien zu genießen. Ein mutiger, von leiser Melancholie durchzogener, packender Film!

 

D / A 2005

Regie: Angelina Maccarone

Darsteller: Jasmin Tabatabai, Anneke Kim Sarnau, Navid Akhavan

97 Min.

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Dietrich Bonhoeffer

Das unter anderem mit August Diehl und Moritz Bleibtreu sehr gut besetzte Drama setzt einerseits ein Denkmal für den Widerstandskämpfer. Andererseits ist es umstritten, weil Dietrich Bonhoeffer im Zusammenhang mit dem Film durch rechtsnationale amerikanische Evangelikale instrumentalisiert wird. Zum US-Start waren die Nachfahren des im KZ hingerichteten deutschen Theologen entsetzt, wie sein Vermächtnis „von rechtsextremen Antidemokraten" und „religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht" werde. Inhaltlich ist die Aufregung unbegründet. Trotzdem ist der Film nur mit Abstrichen sehenswert.
mehr »

Berlinale: Scars of a Putsch

Der Militärputsch in der Türkei unter Kenan Evren liegt 45 Jahre zurück. Damals hat sich die mediale Öffentlichkeit nur wenig für das Ereignis interessiert. Denn das NATO-Mitglied galt als Bollwerk gegen den Warschauer Pakt. Doch sind die Folgen des Putsches ein wesentlicher Schlüssel, um die politischen Verhältnisse in der heutigen Türkei unter Präsident Erdogan zu verstehen. Nathalie Borgers folgt in ihrem Berlinale-Film „Scars of a Putsch“ den Spuren ihres Ehemanns Abidin, der als verfolgter Aktivist 1981 ins österreichische Exil ging.
mehr »

Berlinale: Long Road to the Director’s Chair

Die norwegische Regisseurin Vibeke Løkkebergs hat über 50 Jahre verloren geglaubtes Archivmaterial  entdeckt und daraus den Dokumentarfilm „The Long Road to the Director's Chair“ über das „Erste Internationale Frauenfilm-Seminar“ im Westberliner Kino Arsenal realisiert. Sie hatte selbst 1973 mit „Abortion“ (1971) daran teilgenommen und das Event mit Interviews der filmschaffenden Frauen auf 16mm dokumentiert. Die Frauen berichten eindrücklich von den sie diskriminierenden Arbeitsbedingungen in der Film- und Fernsehbranche.
mehr »

Filmtipp: Nonkonform

Ein Leben als Abenteuer: Der auch mit zwei Stunden nicht zu lange Dokumentarfilm „Nonkonform" ist eine tiefe Verbeugung vor der „übersehenen Persönlichkeit" des Staatsanwalts, Schauspielers und Filmkritikers Dietrich Kuhlbrodt. Quasi nebenbei liefert der Film eine konsequente Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und musikalisch mit Helge Schneiders' Jazz die passende Untermalung.
mehr »