Ein sehr suggestiver, sinnlicher Film
Das berühmte Riesenrad ist noch heute ein Wahrzeichen der Stadt. Ansonsten unterscheidet sich der Wiener Prater mit seinen vielen technischen Attraktionen kaum noch von anderen Großstadt-Rummelplätzen. Um 1900 war alles noch beschaulicher. Man kam zum Tanztee oder staunte über Kuriositäten wie den „Mann ohne Unterleib“, Hypnotiseure, die die Schwerkraft aufheben konnten oder Elvira, „unstreitig das schwerste Mädchen, das je gelebt hat“. In Ulrike Ottingers Dokumentation springt man lustvoll durch Raum und Zeit, gelingt der Regisseurin doch ein historisch fundierter, visuell faszinierender und lebendiger Streifzug durch die Kulturgeschichte des ältesten Vergnügungsparks der Welt vom Kaiserreich bis heute.
Mit rasanten Fahrten nimmt uns die Kamera in Achterbahnen, Kettenkarussells und Autoscooters mit, schleudert uns auf Ejection Seats in die Höhe, wirbelt uns in wilden Loopings durch die Luft und katapultiert uns in Grottenbahnen durch Monster-Tunnelwelten. Solche hautnahen Erlebnis-Sequenzen kontrastieren abwechslungsreich mit seltenen Archivaufnahmen aus Zeiten der Jahrhundertwende und poetischen Bildkompositionen von ineinander verschwimmenden bunten Lichterspots. Impressionen, die Ulrike Ottinger mit ausgewählten Zitaten von Elias Canetti, Josef von Sternberg, Erich Kästner, Elfriede Jelinek und anderen Literaten würzt, dank der trefflichen Rezitation des Schauspielers Peter Fitz zudem ein Hörvergnügen.
Bilder und Zitate sprechen dabei für sich. Mehr indirekt und subtil vermitteln sich Wehmut und Kritik an einem bereits fortgeschrittenen kulturellen Verfall. Vorbei ist’s mit leicht beschwingter Vergnüglichkeit und so fantasievoller Unterhaltung wie sie einst Kasperltheater, Schwertschlucker, Clowns, Jongleure und Akrobaten boten. Der heutige Markt ist schnelllebig und bestimmt von Superlativen, für Kunst und Originalität bleibt wenig Raum. Vor allem haben sich auch die Menschen verändert. Statt Wiener Walzern bevorzugen sie nunmehr dröhnende Discomusic, und am sogenannten „Watschenmann“ können gewaltbereite Jugendgangs Aggressionen ablassen.
Was sich psychologisch hinter all diesen Dingen verbirgt, analysiert Elfriede Jelinek, die eigens Texte für diesen Film schrieb und dann und wann auch als Gast ins Bild tritt: „Diese Erlustigungsmaschinen, Spiegelkabinette, Geisterbahnen, Hochschaubahnen, immer das Neueste vom Neuen – diese Maschinen sind ja eine Maschine, in die man sich begibt, und wenn man dabei klein ist, kann man sich vorübergehend groß vorkommen“.
Vor allem aber ist „Prater“ ein sehr suggestiver, sinnlicher Film, reisen wir doch zusammen mit den Besuchern von einst und heute, ohne uns von der Stelle zu bewegen. Schließlich ist auch das Kino ein Ort der Illusionen. So wandelt sich Wien vor unseren Augen bisweilen scheinbar in Klein-Venedig mit Kanälen, Rialtobrücke und Dogenpalast. Und über all dies trägt uns das Riesenrad mit einem atemberaubenden Blick über die Dächer von Wien.
Prater
A/D 2007,
Regie:
Ulrike Ottinger.
104 Min.