Ein Schloss, noch ein zweites und dann auch noch ein Riegel. Hannah hat sich in ihrer Wohnung geradezu verbarrikadiert. Es ist nicht die einzige Neurose der attraktiven jungen Frau. Obwohl sie selbst einmal Fotografin werden wollte, hat sie eine große Scheu davor, abgelichtet zu werden. Wenn jemand die Kamera auf sie richtet, reagiert sie wütend und vergräbt ihr Gesicht panisch hinter ihren Händen.
Unnahbar, geheimnisvoll und streng wirkt Hannah, die irgendwann nicht mehr an ihr künstlerisches Talent glaubte und nunmehr in einem Fotolabor arbeitet. Sogar zu den wenigen Menschen, denen sie sich verbunden fühlt, baut sie Distanz auf: Maya, ihre pubertierende Tochter, hat sie der Obhut ihrer Eltern anvertraut, ihren Freund lässt sie nachts allein zurück, weil sie „nicht schlafen kann, wenn jemand neben ihr atmet.“ Obwohl sie mit Jan schon zwei Jahre zusammen ist, kennt er weder Maya noch ihre Eltern, weil sie das so will. Ist Hannah paranoid? In starkem Gegenlicht verfremdete Flashbacks deuten zumindest Suizidversuch oder Nervenzusammenbruch an. Als eine raffinierte Genre-Mischung aus psychologischer Studie und Thriller lässt Erica von Moellers Kammerspiel jedoch den Zuschauer über Hannahs Krankheitsbild im Unklaren. Entscheidend ist der Leidenszustand, und wie die Heldin damit fertig wird.
Unheimlich wird’s, als jemand Hannahs Schutzpanzer durchbricht, sie mit seinem Blick verfolgt. In der Dunkelkammer entdeckt sie beim Entwickeln eines fremden Auftrags Porträts, die jemand heimlich von ihr gemacht hat. Zudem tauchen in ihrer Wohnung Bilder aus einer Vergangenheit auf, die sie nicht mehr wahrhaben möchte. Hannah forscht nach und stößt auf Nico, ihren Ex-Freund aus Berlin. Gemeinsam mit Maya macht sie sich auf den Weg in die Hauptstadt, um dort einen Teil von sich wiederzufinden, der ihr vor vielen Jahren abhanden gekommen ist. Allerdings stellt sich die Vergangenheit anders dar, als die verstörte Frau sie sich in ihren Erinnerungen bewahrt hat. Zugleich kommt sie sich mit Maya, die sich nicht ohne Grund ungeliebt fühlt, seit langem etwas näher.
Das versöhnliche, familienselige Ende dieses Films wirkt zwar nicht gerade originell, alles in allem aber ist Erica von Moeller eine packende, feinfühlige Studie gelungen, die ganz nebenbei Verständnis für psychisch kranke Menschen weckt. Getragen wird der Film dabei von exquisiten Schauspielern, denen ihre Figuren wie auf den Leib geschrieben scheinen, allen voran von Nina Hoss, die schon in Christoph Petzolds Filmen „Toter Mann“, „Wolfsburg“ und „Yella“ schwer zugängliche, eigenwillige Außenseiterinnen von unterkühlter Schönheit verkörperte und hier ein weiteres Mal darstellt, wie eine intelligente Frau eine schwere Lebenskrise bewältigt.
Seine starke Wirkung verdankt der Film allerdings auch der Kamerafrau Sophie Maintigneux, die sich darauf versteht, ausdrucksstarke Gesichter wie Landschaften zu erforschen.
R: Erica von Moeller
D: Nina Hoss,
Isabel Bongard,
Matthias Brandt