Total teure Talkshows

Preisträger des Bert-Donnepp-Preises Tilmann P. Gangloff, der für M Filmtipps verfasst und über Entwicklungen in der Filmbranche berichtet. Foto: privat

Meinung

Die einen schauen immer, die anderen nie: An Talkshows scheiden sich die Geister. Das war schon vor fünfzig Jahren so, als Dietmar Schönherr im WDR erstmals zu „Je später der Abend“ lud. Die 1973 gestartete Sendung war so etwas wie der Prototyp für alle, die noch folgen sollten. „Das Ganze ist also eine Rederei“, erklärte Schönherr damals das Konzept, an dem sich im Grunde bis heute nichts geändert hat.

Seit Jahren wird kritisiert, es gebe zu viele Polit-Talks, zumal dort ohnehin stets die selben Gäste säßen. Nun hat ein Internet-Nachrichtenportal das vermeintlich „bestgehütete Geheimnis der ARD“ veröffentlicht. Die Zahlen über die Kosten der Talkshows könnten die Diskussion aufs Neue befeuern. Laut „Business Insider“ hat sich das „Erste“ die dreißig Sonntagssendungen mit Anne Will (NDR) 2021 bis 2023 pro Jahr rund 7,5 Millionen Euro kosten lassen. Pro Ausgabe wären das 250.000 Euro. Die Gesamtkosten für „Hart aber fair“ (WDR) seien mit 6,6 Millionen Euro pro Jahr angesetzt worden, also rund 195.000 Euro pro Sendung. Am preiswertesten ist laut dem zum Springer-Verlag gehörenden Portal mit 4,7 Millionen Euro pro Jahr beziehungsweise 140.000 Euro pro Folge „Maischberger“ (WDR).

Mit eigenen Produktionsfirmen

Die nackten Zahlen haben für sich genommen keine große Aussagekraft. Sieht man mal davon ab, dass es anscheinend absurd viel Geld kostet, eine Handvoll Menschen für nicht mal zwei Stunden in einem Studio zu versammeln. Will, Sandra Maischberger und Frank Plasberg stellen die Sendungen mit jeweils eigenen Firmen her. Ansager & Schnipselmann (A und S), das gemeinsame Unternehmen von Plasberg und Jürgen Schult, produziert auch die Ausgaben mit Nachfolger Louis Klamroth. Caren Miosga, ab Januar Nachfolgerin von Anne Will, gründet für ihre Talkshow ebenfalls ein eigenes Unternehmen.

Ein Teil der Produktionssumme fließt als Honorar in die Taschen der sogenannten „Hosts“, wie Gastgeber im Medienenglisch heißen; bei Maischberger sind das angeblich knapp 800.000 Euro. Das ist zwar viel Geld, aber in dieser Hinsicht funktioniert das Fernsehen ähnlich wie der Profifußball: Wer Quote garantiert, wird üppig honoriert. Moderatoren gelten als „Marke“, seit das Privatfernsehen vor gut dreißig Jahren damit begonnen hat, Nachmittagstalkshows nach den Gastgebern zu benennen; Hans Meiser war 1992 der erste. Im Showbereich dürften sich die Entlohnungen ohnehin in ganz anderen Dimensionen bewegen. Top-Stars wie etwa Thomas Gottschalk liegen ebenfalls im sechsstelligen Bereich; allerdings pro Sendung. Ob die „Hosts“ ihr Geld wert sind, ist aus Sicht des Publikums sicher Geschmacksache. Anne Will ist seit geraumer Zeit unangefochtene Quotenkönigin; 2022 hatte ihre Sendung im Schnitt über 3,6 Millionen Zuschauer. Zuletzt sind die Zahlen zwar etwas zurückgegangen, aber das gilt für fast alle Polit-Talks.

Was ist handelsüblich?

WDR und NDR wollen die Zahlen nicht kommentieren, versichern jedoch, die Ausgaben bewegten sich im handelsüblichen Rahmen. Trotzdem stellt sich die Frage, ob sie tatsächlich so hoch sein müssen. Im Unterschied etwa zu „Wetten, dass..?“ mit riesigen Hallen, enorm viel Technik, großer Bühne und Stars, die zum Teil aus Übersee eingeflogen werden, ist der Aufwand bei einer Talkshow ungleich kleiner. Die Gäste bekommen eine überschaubare Aufwandsentschädigung, Politiker in der Regel allerdings nicht. Für Studios und Technik fällt Miete an, aber all’ das ist natürlich kein Vergleich zu einer monatelang vorbereiteten großen Samstagabendshow, zumal das eigentliche Produktionsbudget (Kamera, Ton, Ü-Wagen, Veranstaltungstechnik, Reisekosten) laut „Business Insider“ von den Anstalten übernommen werde: bei „Maischberger“ 1,6 Millionen Euro im Jahr, bei „Hart aber fair“ 1,7 Millionen Euro. Mit dem Budget, das an die Produktionsfirmen fließe – bei „Hart aber fair“ demnach 4,9 Millionen Euro – würden unter anderem Redaktion, Gästeakquise und Einspieler abgegolten. Diese Summe enthalte auch „eine Gage von rund 21.500 Euro pro 75-minütiger Sendung“ für den Moderator. Bei durchschnittlich 34 Sendungen pro Jahr wären das 731.000 Euro. Genannt wird allerdings Plasberg; Klamroth, der die Sendung im Januar übernommen hat, erhält möglicherweise weniger.

In Minutenpreisen gerechnet

Aus Sicht der Sender ist das Geld vermutlich gut investiert, zumal es sich um „Schaufenster“-Sendungen mit einer gewissen Strahlkraft handelt, die zudem zur Meinungsbildung beitragen. Eine WDR-Sprecherin merkt noch an, dass „das Genre Talk im Vergleich zu anderen Genres, beispielsweise der Unterhaltung oder der Fiktion, verhältnismäßig kostengünstig ist. Der Minutenpreis liegt deutlich niedriger als bei Fernsehfilmen und Shows.“ Allerdings haben Talkshows im Vergleich zu Filmen und Serien einen entscheidenden Nachteil: Fiktionale Produktionen können beliebig oft gezeigt werden, wovon ARD und ZDF gerade im Sommer fleißig Gebrauch machen. Ein durchschnittlicher Fernsehfilm kostet rund 1,5 Millionen Euro. Da die Freitagsfilme der ARD ebenso wie die Sonntagskrimis jahrelang munter in den dritten Programmen wiederholt werden, ist das eine lohnende langfristige Investition. Für eine politische Talkshow zu einem aktuellen Thema interessiert sich hingegen schon eine Woche später in der Regel kein Mensch mehr. Die nun veröffentlichten Zahlen könnten daher auch intern für Gesprächsstoff sorgen: Nächste Woche bespricht der Rundfunkrat des WDR die Details der Talkshow-Verträge mit den Produktionsfirmen, und vermutlich halten nicht alle Mitglieder die hohen Ausgaben für gerechtfertigt; erst recht angesichts der demnächst anstehenden Verhandlungen über eine mögliche Gebührenerhöhung. WDR-Intendant Tom Buhrow ist dagegen womöglich ganz froh über die Veröffentlichung der Zahlen: Endlich redet niemand mehr über sein Gehalt; das betrug 2023 „nur“ 413.000 Euro.

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