Videotext absurd beim SWR aus Mainz

Foto: Wolfgang Isele

Der SWR mit seinen drei Standorten Baden-Baden, Mainz, Stuttgart ist nach dem WDR mit 3580 Fest-Angestellten und rund 1800 festen Freien der zweitgrößte Sender der ARD. Wenn es jedoch nach dem Videotext-Angebot geht, ist der SWR ganz klein – offensichtlich das Schlusslicht unter den neuen ARD-Sendeanstalten: ohne Struktur, kaum mehr Kurz-Meldungen. Für aktuelle Ereignisse wird extra auf die SWR-Homepage verwiesen. Folge: Seit Monaten gibt es Anrufe verärgerter SWR-Zuschauer in den Telefonzentralen.

Beispiel Verlängerung Lockdown Light wegen der Covid-19-Pandemie: Auch 48 Stunden später im Videotext keine Erwähnung. Beispiel Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart: Am letzten November-Sonntag stand das Ergebnis der Stichwahl um 18.55 Uhr zu 95 Prozent fest. Im SWR-Text war davon aber auch nach 20:30 Uhr nichts zu lesen. Europapokalspiel-Ergebnisse wie die der TSG Hoffenheim wurden gar nicht mehr gemeldet. Hauptgrund: Von der rund 20-köpfigen Online-Redaktion sind in Mainz fünf erfahrene Videotext-Redakteure zum 30. September gekündigt worden bzw. sollen noch gekündigt werden.

Noch nicht näher damit beschäftigt

Fürs Programm ist der Rundfunkrat zuständig. Vorsitzender dieses Gremiums ist seit 25. September Dr. Adolf Weiland (67), CDU-Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz. Weiland ist laut dem dpa-Originaltextservice seit 1996 fast ununterbrochen Mitglied im Rundfunkrat des SWF/SWR. Von 1998 bis 2007 war er stellvertretender Vorsitzender des Landesrundfunkrats Rheinland-Pfalz, seit 2008 mit kurzer Unterbrechung Vorsitzender des Ausschusses Recht und Technik des Rundfunkrats. Von Beginn an war er Mitglied im Hörfunkausschuss, später auch im Programmausschuss Information.

Weiland lässt über die SWR-Pressestelle ein Dutzend Fragen mit dem Satz beantworten: „Der Rundfunkrat ist über die Veränderungen informiert worden, hat sich damit aber noch nicht näher beschäftigt.“

Den fünf Redakteuren wurde jedenfalls als fest Freien gekündigt, obwohl sie seit vielen Jahren auf dem festen Stundenplan stehen. Der SWR teilt über Unternehmenssprecherin Hannah Basten dazu mit: „Es handelt sich um freie Mitarbeiter, die auftragsbasiert beauftragt wurden. Damit kann man auch nicht von einer Kündigung sprechen. Es werden aber keine Arbeitsangebote mehr gemacht weil die Aufgabe, Videotext-Nachrichten zu erstellen, entfallen ist. “

Haben diese Redakteure keinen Anspruch auf eine feste Übernahme? „Nein, einen solchen Anspruch gibt es nicht. Es gab hierbei auch eine finanzielle Anerkennung für die langjährige Zusammenarbeit. Mit den Betreffenden sind mittlerweile Aufhebungsvereinbarungen geschlossen worden“, erklärt Basten. Mindestens ein ver.di-Mitglied will jedoch vor dem Arbeitsgericht klagen, zumal offenbar neue Kräfte für die Online-Redaktion angeworben werden sollen.

Nur noch automatisiert

„Gerade während der Corona-Zeit ist diese kaltblütige Art und Weise eine Beleidigung für Mitarbeiter, die jahrzehntelang für den Sender gearbeitet haben. Hinzu kommt die Altersdiskriminierung, denn es werden ja neue Leute gesucht und eingestellt. So kann ich den Auflösungsvertrag nicht unterschreiben“, meint etwa Dr. Andreas Singler. Der 59-Jährige ist mehr als 24 Jahre in der Videotext-Redaktion tätig.

Für die Fernsehnutzer bedeutet dieser Personalabbau in der Praxis, dass es beim SWR – im Gegensatz zu den anderen ARD-Sendeanstalten – so gut wie keine (Kurz)Meldungen mehr gibt. Stattdessen werden meist seitenlange Texte aus der Mainzer Online-Redaktion eingestellt. Es kann also Minuten dauern, bis ein Text, eine Neuigkeit zu lesen ist. Das ist einmalig in der deutschen TV-Landschaft – auch im Vergleich zu privaten Fernsehsendern.

Aus der SWR-Pressestelle heißt es dazu: „Videotext-Seiten, die über mehrere Unterseiten laufen, sind nicht unüblich. Seit dem 1. Oktober werden Inhalte für den Videotext nur noch automatisiert aus dem Online-Angebot ausgespielt.“

So geht auch die Videotext-Sprache verloren. Darauf kann der SWR doch nicht verzichten? „Der Stil einer Videotext-Nachricht ist eng angelehnt an Stil einer Radio-Nachricht, sowohl in Inhalt als auch in Länge und Duktus. Dies ist nun aufgrund der automatisierten Ausspielung aus den Onlineseiten anders. Grundsätzlich aber geht dem SWR nichts verloren, da kurze Meldungen weiterhin zum Beispiel im Radio zu hören sind“, erklärt Hannah Basten. Man stelle den Einsatz von Ressourcen sicher. „Das Medium des Videotextes hat an Interesse ganz grundsätzlich stark verloren. Zudem werden so Ressourcen für den digitalen Wandel im SWR frei.“

Ein Insider verweist darauf, dass die personellen Änderungen für die Videotext-Redaktion, die nur in Mainz angesiedelt ist, einstimmig auf der Ebene der Geschäftsleitung entschieden worden seien. Das heißt, Intendant Prof. Dr. Kai Gniffke, Programmdirektor Clemens Bratzler und Thomas Dauser, verantwortlich für Innovationsmanagement und Digitale Transformation, sind involviert. Über Dausers Porträt auf der Sender-Homepage ist zu lesen: „Wir katapultieren den SWR in die digitale Zukunft.“ Bei der Videotext-Themen-Auswahl geschieht das offenbar auch nach dem Prinzip Zufall.

Immerhin gibt es einen Trost für die erfahrene Videotext-Nutzer unter den SWR-Zuschauern, die laut dem Sender zu 75 Prozent älter als 60 Jahre sind: Rubriken wie Wetter oder Pollenflug sind gleich geblieben. Kurz und bündig, in Sekunden zu lesen. So wie ein Videotext sein soll.

 

 

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