Inge Schneider: Editorin aus Leidenschaft mit eigenem Stil
„Ich wußte schon seit meinem 13. Lebensjahr, dass ich Cutterin werden wollte.“ Inge Schneider weiß, dass das ein ungewöhnlicher Berufswunsch war, eigentlich sollte sie Zahnärztin werden wie der Großvater. „Vielleicht war mein Name Programm“, lacht sie.
Mit 13 sah sie im Kino – „ich war ständig im Kino“ – einen Bericht über den Beruf des Filmschneidens und „da wußte ich, das will ich machen“. 44 Jahre später hat Inge Schneider, deren Berufsbezeichnung nicht mehr Cutterin, sondern Editorin lautet, im Rahmen des Kölner Forum für Filmschnitt und Montagekunst, „film+“, (s. Seite 34 – 35) als Erste den neuen Preis für die beste Montage eines Kinodokumentarfilms bekommen, den das Kulturwerk der VG Bild Kunst mit 7.500 Euro ausgestattet hat. Inge Schneider, ein äußerst bescheidener und branchenuntypisch zurückhaltender Mensch, ist stolz und gerührt: „Das ist eine große Ehre, als Erste einen Preis zu bekommen, der eine Leistung würdigt, die normalerweise nicht so beachtet wird.“
Auch wenn die zierliche Frau aus Köln nicht gerne im Mittelpunkt steht, ihrer herausragenden Schnittkunst ist sie sich bewußt. „Ich setze mich auch gegen den Regisseur durch, wenn ich an eine bestimmte Montage glaube.“ Mehr als sechs Monate hat sie für jenen Film am Schneidetisch verbracht, für den sie nun ausgezeichnet wurde: „Die Spielwütigen“ von Andres Veiel. In der Langzeitdokumentation begleitete der Regisseur über sieben Jahre vier junge Schauspieler auf dem Weg in ihren Traumberuf. Inge Schneider liebt den Dokumentarfilmschnitt. „Beim Spielfilm hat man ein Drehbuch und ist ziemlich festgelegt. Dokumentarfilme zu montieren ist viel kreativer, es gibt höchstens ein Exposé, man weiß nicht, was herauskommt, der Film entsteht am Schneidetisch. Erst dort entwickelt sich die gesamte Dramaturgie. Und es gibt eine viel intensivere Zusammenarbeit mit dem Regisseur.“
Sensible, sinnliche Montage
Die Editorin, die in der DDR aufwuchs, an der HFF in Babelsberg zur Schnittmeisterin ausgebildet wurde und 1978 in den Westen kam, lebt bei einer solchen Produktion „ganz mit dem Film. Ich träume nachts davon.“ Sie spricht von der „Leidenschaft“, mit der sie ihren Beruf ausübt, eine Hingabe, deren Ergebnis die Jury des Schnitt-Preises Dokumentarfilm überzeugte: „Inge Schneider gelingt mit ihrer Montage ein Meisterwerk, das in einem großen erzählerischen Bogen vier Jugendliche in ihrer Entwicklung begleitet. Durch die sensible und sinnliche Montage vermittelt sich darüber hinaus ein Bild von Menschen, die alles dafür geben, um ihren Traum zu verwirklichen. Es ist eine reife, intelligente Leistung, die den Film zu einem emotionalen und mitreißenden Erlebnis macht.“ Herbert Schwering, Kölner Film-Produzent und Mitglied der Jury, beeindruckte, mit welchem Respekt die vier Protagonisten gleichwertig im Film behandelt werden, „das ist eindeutig eine Editorinnenleistung“. Regisseur Andres Veiel würdigte Schneiders „Feingefühl für seismographische Momente“ und ihre Fähigkeit zu „permanenter Selbstkritik“. Eine Montage, die eine eigene Handschrift erkennen läßt, ist selten, Schneider glaubt, ihre sei durchaus sichtbar: „Ich mag beispielsweise keine Off-Töne und keine Kommentare, das ist mein Stil.“ Gerade hat sie einen Dokumentarfilm von Judith Keitel und Antje Kruska fertig montiert, die dritte Arbeit für diese Regisseurinnen, auch den ersten Film von Veiel über die Schauspielschüler von 1997, „Drei von Tausend“, hat sie geschnitten. Sie schätzt eingespielte Zusammenarbeit und ist froh, gefragt zu sein. „Der Markt wird härter, für junge Leute wird es schwerer. Viele Filmemacher wollen keine Schnittassistenten bezahlen, die dürfen das Material digitalisieren und das war es dann.“ Sie versucht, wo es geht, ihre immense Erfahrung weiterzugeben, bei „Die Spielwütigen“ konnte sie ihren Assistenten André Nier mitbringen und „in den Schaffensprozess einbinden“. Von der Kunst der Montage wird sie nicht lassen, solange sie kann. „Ich hatte nie das Bedürfnis, irgendetwas anderes zu machen.“