Medienpolitische ver.di-Tagung in Lage-Hörste über journalistische Schieflagen
Die Macht der Medien – Wenn inszenierte Wirklichkeit wahr wird“ – das inhaltliche Spektrum der diesjährigen medienpolitischen Tagung im ver.di-Institut für Bildung, Medien und Kunst Lage-Hörste umfasste die Medienpraxis in Weimarer Republik und Faschismus, versteckte Diskriminierung im heutigen journalistischen Alltag sowie das Verhältnis von Medien und Rechtsextremismus.
Zum Einstieg bekamen die 60 Tagungsteilnehmer eine geballte Lektion in Sachen Mediengeschichte. Ohne Presse- und Meinungsfreiheit keine Demokratie! Getreu dieser Devise kämpfte die deutsche Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg um Teilhabe am neuen Massenmedium Radio. Bildungsreferent und Tagungsleiter Karlheinz Grieger skizzierte die Evolution des Rundfunks von der ersten Funkstunde „Radio für Alle“ aus dem Berliner Vox-Haus am 29. Oktober 1923 über die ersten Arbeiter-Radio-Klubs bis zur Entstehung einer politisch bewussten Arbeiterradiobewegung. Einer Bewegung, deren Spaltung in den KPD-dominierten „Freien Radio Bund Deutschlands“ und den sozialdemokratischen „Arbeiter Radio Bund Deutschlands“ analog zur Spaltung der Linksparteien den Aufstieg der Nazis erleichterte.
Die verhängnisvolle Rolle der Medien bei Machtergreifung und Machterhalt durch die Nationalsozialisten analysierte Professor Bernd Sösemann von der Arbeitsstelle für Kommunikationsgeschichte und angewandte Publizistik an der FU Berlin. Bereits ab 1933 hatte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels auf den Rundfunk als „das allermodernste und das allerwichtigste Massenbeeinflussungsmittel“ gesetzt. Unter Goebbels wurde spätestens mit der Entwicklung des „Volksempfängers“ das Radiohören für die „Volksgenossen“ geradezu zur „staatspolitischen Pflicht“. Erst nach der Niederlage des Faschismus wurden unter Anleitung der Alliierten mit der Gründung der öffentlich-rechtlichen Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) die Grundlagen für einen demokratischen Rundfunk geschaffen.
Heute sind die antidemokratischen Gefährdungen häufig nicht so klar zu durchschauen. Noah Sow, Künstlerin und Autorin der Studie „Deutschland Schwarz Weiß“, sieht in Werbung, Medienberichterstattung und Gesellschaft verschiedene Kennzeichen eines „strukturell dominanten Diskurses“. Diese „Schieflage“ werde schon bei der Auswahl von „Experten“ offenbar: So falle kaum jemandem auf, wenn bei „Maybrit Illner“ eine „Gang von 60jährigen Männern“ über die Probleme alleinerziehender Mütter diskutiere. Die Vertreter der Dominanzgesellschaft maßten sich an, „objektiv“ auch über Gegenstände zu verhandeln, von denen sie nichts verstünden. Deutsche Auslandskorrespondenten schwadronierten zuweilen darüber, ob der „Islam keine Freiheit kenne“ oder dass „im Islam Staat und Politik eins“ seien. Etwas, das bei Al Dschasira, CNN und der BBC nicht möglich wäre.
Menschen, die nicht Mitglieder der Dominanzgesellschaft seien, würden als „zu besprechende Objekte“, als „außenstehend“ faktisch ausgegrenzt und nicht als Agierende, als Teil der Gesellschaft adressiert. In der Berichterstattung überwiege das „weißdeutsch-dominante Narrativ“. Der „türkische Araber“ komme im Polizeibericht gern vor, niemals aber ein „weißer Hetero“. Auf diese Weise schütze sich die dominante Gruppe davor, als Täter sichtbar zu werden. Und befördere en passant den alltäglichen Rassismus. Der „ethnologische Blick“ führe zur einer „Kolonialisierung des Deutungsraums“: Wenn eine weiße Journalistin über „Afro-Frisuren als politisches Statement“ schreibe, verhindere oder behindere sie damit eine „selbstbestimmte Artikulation“ der Kolleginnen, die darüber im Zweifel mehr wüssten. Rassismus definiert sie nach Martin Luther King als Verbindung von „Vorurteil und institutioneller Macht“. Groteske Züge nimmt dies zuweilen in der Werbung an. Etwa wenn der Volkswagen-Konzern für seine Kampagne für das Modell „Tiguan“ unter dem Slogan „Wild, wenn Sie ihn lassen“ Heidi Klum und ihren Ex-Gatten Seal geradezu als Verkörperung von King Kong und der weißen Frau („Zivilisation und Wildnis“) ins Rennen schickt. Für Sow ein Beleg dafür, „dass die Kolonialgeschichte noch nicht vorbei ist“. Einige der Empfehlungen von Sow für den „gewaltfreien Diskurs“: In dominanter Position „nicht über geänderte publizieren“; mithelfen, „dass die marginalisierten Gruppen gehört werden“, „die eigene Perspektive benennen“.
Dass soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter maßgeblichen Einfluss auf die Mobilisierung der Massen in den arabischen Revolutionen ausübten, ist bekannt. Vor allem junge Menschen – in Ländern wie Tunesien, Ägypten und Marokko liegt der Anteil der unter 35jährigen bei rund 60 Prozent – nutzen diese Medien zur Organisierung von Demonstrationen und zur Selbstverständigung. Eine wichtige Rolle spielen auch panarabische Medien wie Al Jazeera, Al Arabia oder auch die BBC. Zahi Alawi, Journalist und Blogger sowie Leiter des „Young Media Summit“ 2010 in Kairo, schilderte, wie nach dem Sturz von Mubarak ein per Youtube verbreitetes Video über brutales Vorgehen ägyptischer Soldaten gegen Demonstranten Wut und Enttäuschung über den Militärrat auslöste. Nach den Wahlen und der Machtübernahme durch die Muslimbrüder habe die „Medienschlacht eine neue Eskalationsstufe erreicht“. Journalisten manipulierten die Berichterstattung. Nach dem Motto „Meinung statt Fakten“ sei die Spaltung der Gesellschaft vertieft worden. Daran habe sich auch nach der Entmachtung Mursis am 3. Juli wenig geändert. Seither seien alle staatlichen und bislang unabhängigen Medien zum „Sprachrohr der neuen Regierung“ geworden. Regimetreue TV-Moderatoren würden gelegentlich faktisch die Rolle von Militärsprechern einnehmen. Etwa in einem Film, in dem die Muslimbrüder eines Massakers an politischen Gegnern beschuldigt würden, ohne dass irgendein Beweis dafür geliefert werde. Der durchaus vorhandene Pressekodex existiere nur auf dem Papier. Die soziale Lage der meisten Journalisten sei verzweifelt. Viele brauchten mehrere Zusatzjobs, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen.
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ – unter diesem bekannten Slogan referierte der unermüdliche Doyen der politischen Fotografie in Deutschland, Günter Zint, über die Zustände in seiner Profession. Gerade mal 100 fest angestellte Fotografen gibt es noch bei den hiesigen rund 400 Tageszeitungen. Die überwiegende Zahl der Fotoreporter arbeitet frei, zu immer dürftigeren Konditionen. Die Honorar-Empfehlungen der Mittelstandsvereinigung Foto-Marketing werden selten eingehalten, die tatsächlich gezahlten Honorare seien „hundsmiserabel“. Infolge der Digitalisierung der Branche werde der Markt mit beliebigen Handy-Fotos überschwemmt. Erscheinungen wie die so genannten Leserreporter trügen zu einer weiteren Verstopfung bei. „Bilder, in denen eine Wahrheit steckt, werden immer seltener“, klagte Zint. Die Fotos, auf denen vietnamesische Kinder vor US-Napalm flüchteten, hätten die Weltöffentlichkeit in den sechziger Jahren noch schockiert. Eine ähnliche Wirkung sei bei den heute publizierten Bildern der Leichen von Lampedusa kaum noch zu erkennen. Der Abstumpfungseffekt habe eine „Hornhaut auf der Seele“ der Menschen erzeugt. Die Demokratisierung der Technik durch leicht produzierbare Amateuraufnahmen habe aber gelegentlich auch unfreiwillig positive Ergebnisse. Die Killer von Abu Ghraib hätten „ihre eigenen Schandtaten“ gefilmt und auf diese Weise den US-Terror im Irak entlarvt.
Das Versagen beim Aufdecken des rechtsradikalen NSU-Terrors lastet dagegen als schweres Trauma auf dem deutschen investigativen Journalismus. Selbst Spezialisten für Rechtsextremismus wie die freie Journalistin Heike Kleffner hatten bei der ab 2006 bundesweit bekannten Mordserie Rassismus als mögliches Motiv nicht in Betracht gezogen. Übergroßes Vertrauen in Strafverfolgungsbehörden, mangelnde alltägliche Kommunikation mit türkischen Migranten, auch bei Journalisten existierende Vorurteile und rassistische Ressentiments – die Liste möglicher Ursachen für diese journalistische Fehleistung, so ihr selbstkritisches Fazit, ist lang. Zusammen mit dem Tagesspiegel-Redakteur Frank Jansen betreut Kleffner seit über zehn Jahren das Projekt „Todesopfer rechter Gewalt seit 1990“. Sie bilanzierte minutiös die Blutspur von Pogromen und Straßenterror unmittelbar nach der Wende – von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen über den von Altkanzler Gerhard Schröder ausgerufenen „Aufstand der Anständigen“ zu Beginn des neuen Jahrtausends bis zum NSU-Prozess. Mittlerweile, so beklagte Kleffner, behindere gerade die Monstrosität der NSU-Mordserie eine kontinuierliche Berichterstattung über rechtsextreme Aktivitäten im Lande. „Alles, was unterhalb von Terror läuft, fällt flach.“ So komme nur ein Viertel aller Täter im Kontext rassistisch motivierter Gewalt überhaupt in Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden.
In einem Workshop unter Leitung von Kleffner ermittelten die Teilnehmer anhand zweier aktueller Fallbeispiele, dass den offiziellen Mitteilungen von Polizeipressestellen durchaus mit Misstrauen begegnet werden sollte. Im Fall der angeblichen Selbstverbrennung eines jungen Mannes aus Heilbronn (!) begnügten sich selbst seriöse Medien allzu schnell mit dem Suizid-Motiv, obgleich starke Indizien für einen rechtsextremistischen Hintergrund sprachen. In einem anderen Fall wurde ein eindeutig rassistisch motivierter Überfall auf einen türkischen Imbiss, bei dem der Inhaber von neun Schlägern ins Koma geprügelt wurde, schlicht als „körperliche Auseinandersetzung“ verharmlost.
Ein zweiter, von dem Solinger Medienpädagogen Helgo Ollmann geleiteter Workshop untersuchte die expansiven Aktivitäten von Rechtsextremisten im Internet und in sozialen Netzwerken. Viele von den Neonazis eingesetzten Instrumente und Strategien sind besonders gefährlich, weil sie oft harmlos und in jugendlich wirkender Anmutung daherkommen. Neben offen rechtsextremen Websites wie „Altermedia Deutschland“ finden sich andere, ihre Geisteshaltung nicht gleich zu erkennen gebende wie „Politically Incorrect“. Während etwa die Forderung nach strenger Bestrafung von „Kinderschändern“ geradezu mainstreamkompatibel wirkt, verrät das Plädoyer für die Todesstrafe meist, um wes Geistes Kinder es sich bei den Urhebern handelt. Ein Weg, den Rechten das rassistische und fremdenfeindliche Handwerk zu erschweren, ist die Meldung entsprechender Inhalte bei den sozialen Netzwerken. Eher abgeraten wurde davon, die Kommentarfunktion bei Facebook zur Verurteilung braunen Drecks zu nutzen. Auf diese Weise trage der User zur Multiplikation dieser Inhalte bei.
Es führt kein Weg dran vorbei: „Die Zukunft des Journalismus liegt in der Qualität, verbunden mit einer Haltung“, resümierte dju-Bundesvorsitzender Ulrich Janßen in seinem Schlusswort. Die berufspolitische Forderung nach Qualitätssicherung und der tarifpolitische Kampf um angemessene Arbeitsbedingungen seien „zwei Seiten derselben Medaille“.