Kompetent und charmant

Der neue dju-Chef Ulrich Janßen ist für klare Verhältnisse

Wer zu Ulrich Janßen will, muss zunächst an Horst Janssen vorbei. Die Stadt Oldenburg hat dem 1995 verstorbenen Grafiker ein Museum gewidmet. Man kommt daran vorbei, wenn man zur Nordwest-Zeitung (NWZ) geht, um sich dort mit dem Betriebsratschef und neuen dju-Bundesvorsitzenden Ulrich Janßen zu treffen. Der schreibt sich mit „ß“ und ist allein schon deshalb nicht verwandt mit seinem bekannten Namensvetter.
Kunst liegt dem 53-Jährigen trotzdem nicht fern: Als Jugendlicher hat er mal Cello gelernt und im Kirchenchor gesungen; heute hört er gerne klassische Musik und geht ins Theater.
Nun also 1. Geige bei der dju. Sein Vorgänger Malte Hinz – selbst Sänger und Gitarrist in der Band „Safersix“ – hat den Vorsitz nach sechs Jahren abgegeben, um sich auf seine neue Arbeit als Chefredakteur der Westfälischen Rundschau konzentrieren zu können.
Im dju-Bundesvorstand stimmten alle für den neuen Chef. Der hatte auf geheimer Wahl bestanden. Lieber klare Verhältnisse als falsche Harmonie! Aber mit Gegenstimmen war nicht ernsthaft zu rechnen. Janßen scheint nämlich beliebt zu sein. Hört man sich in dju-Kreisen um, fallen Worte wie „ein toller Typ“ oder „gelassen, kompetent, verantwortungsbewusst, ausgleichend und erfreulich charmant“.
Fast hätte die Journaille nichts davon gehabt, denn der gebürtige Wilhelmshavener wollte zunächst Lehrer werden. Aber nach zwei Semestern Sport und Englisch in Freiburg und Oldenburg lockte ihn 1977 doch mehr die freie Mitarbeit und das Volontariat bei der NWZ – samt dju-Eintritt.
Er stieg zum Lokalchef in Brake an der Unterweser auf und lebte dort mit Ehefrau und drei Söhnen (heute ist er geschieden und mit einer anderen Frau liiert). 1993 kehrte er in die Zentrale zurück, diesmal als Sportredakteur. Noch heute schwärmt er von dieser Zeit.
Schon in seiner Brake-Phase saß er sechs Jahre im NWZ-Betriebsrat. Danach pausierte er auf diesem Feld, bis Kollegen ihn 1996 baten, wieder einzusteigen. Er ließ sich überreden und wurde schon 1997 zum freigestellten Vorsitzenden gewählt. Es war ein schwerer Abschied vom Redaktionsalltag, aber dennoch „reizte die neue Aufgabe“.
Ihn erwarteten schwere Zeiten. Die NWZ betrieb Outsourcing, entließ massenhaft Personal und spielte Vorreiterin beim Einsatz von Leiharbeitern. Der Betriebsrat konnte nur die schlimmsten Auswüchse bekämpfen: hier Sozialpläne durchsetzen, dort einzelne Kündigungen verhindern.
„Es ist manchmal auch etwas frustrierend, wenn man als Betriebsrat seine Grenzen erkennen muss“, sagt Janßen. „Aber da, wo man Einfluss hat, muss man energisch die Ärmel aufkrempeln.“ Die Belegschaft scheint mit seinem Engagement zufrieden zu sein: Bei der letzten Wahl erhielt er von allen 15 Kandidaten das bei Weitem beste Ergebnis: 222 von 266 Stimmen. „Das liegt aber zu einem Gutteil am Amtsbonus“, sagt er bescheiden.
Auch jenseits von Oldenburg sprachen sich seine Kompetenzen herum. „Vor ungefähr fünf Jahren“ – genauer weiß Janßen es nicht mehr – entsandte der Landesbezirk Niedersachsen-Bremen ihn in die dju-Bundestarifkommission. Dort entwickelte sich der kräftig gebaute Norddeutsche zu einem „tarifpolitischen Schwergewicht“, wie sein Vorgänger Hinz ihn nennt. Über diese Arbeit lernte Janßen auch den Bundesvorstand näher kennen und schätzen. 2006 stieg er dort zunächst als kooptiertes Mitglied für einen ausgeschiedenen Kollegen ein, und 2007 wurde er auch offiziell in das Gremium gewählt.
Und was will er jetzt als Vorsitzender tun? „Ich habe kein Programm“, sagt er, „sondern will erst mal reinwachsen in diese Aufgabe.“ Er rufe nicht: „Da ist der Weg – folgt mir!“ Bisher kann er nur „eher Aufgaben beschreiben als in eleganten Worthülsen Lösungen präsentieren“.
Eines seiner Ziele: „die Verankerung in den Betrieben zurückerobern“, allein schon, um bei Tarifkonflikten wieder kampffähiger zu werden. Der Mitgliederrückgang sei zwar abgebremst worden, aber noch nicht umgedreht. Wahrscheinlich, so überlegt der Suchende, ließen sich wieder mehr Menschen für die dju begeistern, wenn sie spüren könnten, dass die Arbeit dort auch Spaß macht und „einen persönlich weiterbringt“.
Auch beim Engagement für die Freien will sich der Neue „nicht anmaßen, zu sagen, was alles getan werden muss“. Dafür seien vor allem zwei andere Vorstandsmitglieder zuständig. Aber eines weiß Janßen auf jeden Fall: „Bei den Freien wird ver.di unterschätzt.“ Die dju müsse noch mehr bekannt machen, was sie alles für die Selbstständigen tue: Beratungsservice mediafon, Rechtsschutz, Weiterbildung und, und, und. Die neue Initiative „Freischreiber“ lädt er zur Kooperation ein. „Es ist gut, wenn sich Leute für ihre Interessen zusammenschließen – aber ich würde mich freuen, wenn sie es in der dju täten.“
Drittes Aufgabenfeld: die Medienpolitik. Da zeigt der Parteilose einige Skepsis gegenüber dem Verlegerwunsch nach staatlicher Presseförderung. Würden davon nicht vor allem gesunde Großverlage profitieren, die dann noch leichter die kleinen schlucken könnten? Und was ist dann mit der Staatsferne der Presse? „Aber auch da bin ich kein Experte“, gibt der Neuling unumwunden zu.
Insgesamt sieht er sich in der Kontinuität seines Vorgängers Hinz, mit dem er auch befreundet ist. Und mit dem er nach dem Essen gerne einen Grappa zum Espresso trinkt. „Ich bin nämlich ein großer Italien-Fan“, sagt der Genießer mit der rauchigen Stimme, der lieber lacht, als zu verbissen für das Wohl der Werktätigen zu kämpfen. Allerdings ist er froh, dass er Tarifverhandlungen weiterhin auf Deutsch führen kann. Denn seine Italienisch-Kenntnisse aus der Volkshochschule sind „noch nicht verhandlungssicher“.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreichs Rechte greift den ORF an

Eines muss man Herbert Kickl lassen – einen Hang zu griffigen Formulierungen hat er: „Die Systemparteien und die Systemmedien gehören zusammen, das ist wie bei siamesischen Zwillingen,“ sagte der FPÖ-Spitzenkandidat auf einer Wahlkampfveranstaltung im September. „Die einen, die Politiker, lügen wie gedruckt, und die anderen drucken die Lügen. Das ist die Arbeitsteilung in diesem System“. Seinen Zuhörenden legte Kickl mit seinen Worten vor allem eins nahe: Die rechte FPÖ könne dieses dubiose System zu Fall bringen oder zumindest von schädlichen Einflüssen befreien.
mehr »

Die Entstehung des ÖRR in Deutschland

Im Jahr 1945 strahlten die deutschen Radiosender Programme der Militärregierungen aus. Zum Beispiel Norddeutschland. Dort hatte der nationalsozialistische Reichssender Hamburg am 3. Mai seine Tätigkeit eingestellt. Nur wenige Stunden später besetzten britische Soldaten das Funkhaus und schon am 4. Mai erklang eine neue Ansage: „This is Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government.”
mehr »

KI sitzt am Redaktionstisch

Erst vor wenigen Jahren hat ein Großteil der Menschen überhaupt erfahren, was Künstliche Intelligenz (KI) in der Praxis bedeutet. Genauer gesagt: Viele Menschen haben mit ChatGPT einen ersten Eindruck davon bekommen, wie Maschinen Texte formulieren, Prüfungsaufgaben in Sekundenbruchteilen lösen oder umfangreiche Artikel in wenigen Sekunden auf wesentliche Inhalte zusammenfassen. Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zieht die generative KI seitdem ein.
mehr »

Klimajournalismus im Aufwind

Noch immer wird zu wenig über den Klimawandel und seine Folgen informiert. Daran tragen auch Medien eine Mitschuld. Das Netzwerk Klimajournalismus will  Klima-Wissen in die Redaktionen bringen und ermöglicht Austausch unter Journalist*innen und Medienschaffenden. Wir sprachen im M-Podcast mit Jürgen Döschner.
mehr »