Pressefreiheit bedroht – türkische Journalisten im Gefängnis
Ein leerer Stuhl. Ein Fünf-Minuten-Video, das erklärt, was geschehen ist. Ungläubige Blicke. Ist so etwas möglich in einem Land, das der Europäischen Union beitreten möchte? Die linksliberale Zeitung „Cumhuriyet“ hat über einen Waffen-Konvoi des türkischen Geheimdienstes nach Syrien berichtet. Der türkische Präsident sagt: Die Journalisten werden dafür bezahlen. Chef-Redakteur Can Dündar und Erdem Gül, Leiter des Hauptstadtbüros, werden festgenommen. Ihnen drohen zweimal lebenslange Haft und zusätzlich 42 Jahre Gefängnis – weil sie ihren Job gemacht haben.
Pressefreiheit in der Türkei? Schon im September 2015 erging die Einladung an Dündar, in Stuttgart über die Situation zu berichten. Im November wurde er verhaftet. Der für ihn reservierte Stuhl im ver.di-Haus blieb leer. Die Veranstaltung am 30. Januar, war jetzt nicht nur ein Signal der Solidarität für bedrohte Journalisten in der Türkei insgesamt, sondern für Gül und Dündar im Besonderen.
Semra Uzun-Önder, die Leiterin des Literatürk-Festivals in Essen, verlas Texte der Inhaftierten. Beide zeigen Galgenhumor („Auf der Suche nach Beweisen in der Zelle“) und bleiben unbeugsam auf der Seite „von Recht und Wahrheit“.
Blogger Bülent Mumay verweist darauf, dass Anzeigenkunden von „Cumhuriyet“ plötzlich Besuch vom Finanzamt bekommen haben. Viele wagen es nicht mehr, Anzeigen zu schalten – aus Angst vor Repressalien. Die älteste Tageszeitung der Türkei ist in der Existenz bedroht.
Imre Török, langjähriger Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller, weiß: Es handelt sich um gezielte Kampagnen gegen Pressefreiheit. In keinem Land sitzen mehr Journalisten im Gefängnis als in der Türkei. Aber es gibt auch Zeichen, die Mut machen. Die Kolleg_innen von „Cumhuriyet“ bleiben unbeeindruckt und ziehen zur Redaktionssitzung vors Gefängnistor. Wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens lassen sich nicht mundtot machen. 1.128 Akademiker_innen unterzeichnen einen Friedens-Appell, auch die Schriftsteller_innen melden sich in dieser Frage zu Wort. Török: „Es herrscht eine angstvolle Atmosphäre. Aber gleichzeitig gibt es viele Beispiele von Entschlossenheit und Solidarität.“
Professor Sascha Feuchert, Vizepräsident des Deutschen PEN und Writers-Prison-Beauftragter, betont: Öffentlichkeit herzustellen ist wichtig. Hiesige Politiker_innen müssen bei ihren Kontakten das Thema Pressefreiheit ebenso wie die einzelnen Fälle immer wieder zur Sprache bringen. Der PEN wird Can Dündar und Erdem Gül am 24. Februar ganz offiziell zu Ehrenmitgliedern ernennen.
Leni Breymaier, ver.di-Landeschefin in Baden-Württemberg, versichert: „Wir werden nicht schweigen. Und wir werden Dündar, Gül und ihre Kollegen nicht vergessen.“ Moderatorin Sebnem Bahadir erinnert daran, dass die Fälle in Internet dokumentiert sind und man die Unterstützer weiter auf dem Laufenden halten wird.
Viele der Veranstaltungsbesucher im ver.di-Haus schreiben hernach bunte Karten an die Inhaftierten. Die beiden Gefangenen hatten berichtet, dass der Alltag im Gefängnis grau in grau ist und sie gerne ein bisschen Farbe hineinbringen würden.