Seit 50 Jahren ist Günter Zint mit der Kamera dabei
Die Worte des 66jährigen klingen versöhnlich: „Da haben die Bullen einmal wirklich schön mitgespielt.“ Günter Zint sitzt am runden Tisch in der Tenne des alten Bauernhauses, irgendwo im Teufelsmoor zwischen Hamburg und Bremen. Mit den „Bullen“ kennt er sich aus, hat er doch auf zahlreichen Demonstrationen als Fotograf „eins auf die Presse“ (WDR) gekriegt.
Doch dieses Mal geht es nicht um Brokdorf oder Gorleben, Krümel oder Wackersdorf, die Hamburger Hafenstraße oder die 68er Proteste in Paris und Berlin, sondern es sind Neonazis, die in einem Nachbardorf eine Kneipe betrieben. Dem Spuk wurde ein Ende gesetzt, die Kneipe von den Dorfbewohnern übernommen, das Kulturzentrum „Cultimo“ aufgebaut.
Es ist ein typischer Zint: Sich einmischen, mitmachen, etwas vorantreiben und dann auch noch alles mit der Kamera dokumentieren. Das macht er seit nunmehr über fünfzig Jahren: Ein halbes Jahrhundert zwischen Puff und Politik, Kiez und Kernkraft, Musik und Medien.
Im Schnelldurchgang: Günter Zint machte Titelgeschichten für Quick, Stern und Spiegel, fotografierte für die Twen, übte sich zusammen mit Horst Tomayer und Stefan Aust bei den St. Pauli Nachrichten in der „Dialektik von Brecht und Busen“ (Tomayer), porträtierte als Hausfotograf des legendären Hamburger „Star-Club“ die Beatles, Jimmy Hendrix oder Frank Zappa, arbeitete zusammen mit Günter Wallraff (Foto rechts) und schoss die Fotos zu dessen Büchern wie „Ganz unten“ oder „Der Aufmacher“, veröffentlichte selber über 40 Fotobücher („Gegen den Atomstaat“, „Republik Freies Wendland“ oder das St. Pauli-Werk „Die weiße Taube flog für immer davon“).
Er selbst nennt sich einen „Gebrauchsfotografen“. Zint: „Ich möchte nicht in die Kunstecke gestellt werden. Ich will die Realität zeigen“ Aber objektiv, im Sinne des Zeitgeists, will der Mann hinter der Kamera auf keinen Fall sein, sondern immer noch „politisch in einem Land, in dem die politische Fotografie einen schweren Stand hat.“ Eben ein „Fotograf der sozialen Bewegung“, wie der Titel einer Magisterarbeit über Günter Zint lautet.
Sozial dabei sein bedeutet auch für seine Rechte zu kämpfen, zum Beispiel als Fotograf in der VG Bild-Kunst: „Ich bin eines der ältesten Mitglieder, seit dem 31.1.77 dabei und war zwanzig Jahre für die dju im Verwaltungsrat.“ Hier hat er sich nicht nur beharrlich und gegen den anfänglichen Widerstand anderer Berufsverbände für das Kulturwerk für Stipendiaten eingesetzt, sondern ist zum Experten in Sachen Urheberrecht geworden.
Zint: „Ich beneide heute keinen jungen Fotografen mehr. Heute wird von Anfang an gekuscht. Die geben ihre Rechte ab für alle Zeiten. Stell dir vor, ich hätte so gehandelt. Ich bekomme gerade mal 112 Euro Rente von der BfA.“ Kurze Pause – „Ich lebe von meinem Archiv.“ Und im Moment lebt er nicht schlecht davon, denn das Thema „40 Jahre APO“ hat Konjunktur und die besten Fotos hat dazu Zint.
Sein Archiv, das sind die etwa 3 Millionen eigenen Bilder in Stahlschränken, Hängeregistern und Pappschachtel. Oder sie liegen einfach so rum, übereinander oder hintereinander, aufgereiht vor einer Schrankwand oder einem der hölzernen Stützbalken. Nur Zint weiß, wo jedes einzelne zu finden ist. Noch. Deshalb, und um sie vor dem Verfall zu retten, werden sie zurzeit digitalisiert.
Doch damit nicht genug: Das renovierte Bauernhaus im Moor („John Lennon (Foto oben) und Jimmy Hendrix (Foto Mitte) haben mir dieses Anwesen finanziert – durch den Verkauf von Fotorechten.“) ist ein einziges Sammelsurium von der Tenne bis zum Dachstuhl, ein Antiquariat, ein Basar, ein Museum. Natürlich Fotos überall, aber auch Bücher, Plakate, DVDs, gebundene Zeitungs- und Zeitschriftenjahrgänge, Bilder von Erwin Roos, dem „Rubens von der Reeperbahn“, das Gästebuch des Star-Club, Kitsch und Kunst in Vitrinen, Schachteln und Schubladen. Hinzu kommen die bedeutenden Nachlässe von verstorbenen Fotokollegen wie Erich Anders, Germin (Bernd Mingram) oder des Schlagerkomponisten Ernst Bader. Der Jäger und Sammler hat zu jedem einzelnen Stück eine Anekdote, eine Hintergrundgeschichte oder eine politische Einordnung zu berichten. Ein Rundgang kann Stunden dauern.
Dabei ist dies nur ein Teil der Zintschen Sammelwut. Nach jahrelangen Bemühungen und Auseinandersetzungen mit der Hamburger Kulturbehörde hat er es erreicht: Ein staatlich gefördertes St. Pauli Museum auf dem Kiez. Auch hier Star-Club, Herbertstraße, Hans Albers, aber auch die „kleinen“ Leute vom Kiez: Freier und Zuhälter, Nutten, Penner, Polizisten. Eben der ganze Mikrokosmos eines lebendigen Stadtteils.
675 Fotos von Günter Zint über 50 Jahre deutsche Geschichte sind jetzt als „Zintstoff“ im Michael Imhof Verlag erschienen. Schon die Titelseite zeigt die breite Palette des Fotografen: Ein Kreuz im Strahl eines Wasserwerfers, ein blutender Demonstrant vor Polizisten, die Beatles oder der Türke Ali alias Wallraff, der auch das Vorwort schrieb.
Im kommenden Jahr wird es in den alten Räumen des Berliner Amerikahauses eine Ausstellung zur Außerparlamentarischen Opposition (APO) geben. „Ich habe schon Fotos rausgesucht, wie wir damals das Amerikahaus demoliert haben.“ Zint lacht verschmitzt und denkt wieder, diesmal gar nicht versöhnlich, an die Bullen von damals.