„2024 entscheidet über die Demokratie“

Rappler-Mitgründerin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa, hier bei einer Veranstaltung der Deutschen Welle 2022. Foto: GMF 2022 / Deutsche Welle

Die Philippinin Maria Ressa ist Chefredakteurin und Geschäftsführerin des Investigativportals „Rappler“. Für ihren unermüdlichen Einsatz für die Pressefreiheit erhielt sie 2021 den Friedensnobelpreis. Auf der unlängst von der Friedrich-Naumann-Stiftung und Reporter ohne Grenzen ausgerichteten Internationalen Konferenz „Journalists defending human rights“ sprach die Menschenrechtsaktivistin über die Bedrohung der Menschenrechte durch Desinformation, Online-Belästigung und Überwachung.

Während des sechs Jahres andauernden Duterte-Regimes war Rappler permanent von Schließung und Ressa von Inhaftierung bedroht. Ein Dorn im Auge der Regierung waren vor allem die Rappler-Recherchen über den so genannten Drogenkrieg, der Tausende Menschen das Leben kostete. Ressa wurde zur Zielscheibe juristischer und politischer Repressalien der Regierung. Nach der Wahl des Sohns von Ex-Diktator Marcos zum Präsidenten der Philippinen ließ der Druck zwar ein wenig nach. Aber noch immer sind zwei der zehn bis 2019gegen sie eingeleiteten Verfahren anhängig.

„Unsichtbare Atombombe“

Mit Besorgnis registriert Ressa den aktuell weltweiten „Boom“ autokratischer Regime. Sie zitierte eine Untersuchung, nach der inzwischen 73 Prozent der Weltbevölkerung in nicht demokratisch verfassten Gesellschaften lebten. Für diese Entwicklung macht sie auch das digitale Informations-Ökosystem verantwortlich, nach ihrer drastischen Bewertung eine Art „Tech-Enabled Armageddon“ oder gar eine „unsichtbare Atombombe“.  Die beklagte weitgehende Straffreiheit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die Pressefreiheit habe ihre Wurzeln in der Technologie. Die Informationsverbreitung werde längst von der digitalen Technologie gesteuert. „Sie hat die Rolle der Journalisten als Gatekeeper von Information übernommen“, analysiert Ressa. 

Algorithmen und zunehmend auch Künstliche Intelligenz bestimmten inzwischen, welche Informationen zum Nutzer gelangen. „Aber anders als bei Medienorganisationen geschieht dies ohne Einhaltung ethischer Standards, ohne Transparenz, ohne Verantwortlichkeit.“ Eine Studie des MIT von 2018 habe nachgewiesen, dass sich Lügen im Netz sechsmal schneller verbreiten als korrekte Informationen. Eine gruselige Vorstellung für Ressa: „Nachrichtenproduzenten wetteifern auf dem Informationsmarkt, und der Gewinner ist der Lügner.“ Der Algorithmus sorge dafür, dass nicht Fakten verbreitet, sondern Angst, Wut und Hass geschürt würden. Dieser Mechanismus belohne das Schlechte und stelle auf diese Weise die Informationswelt auf den Kopf. Je mehr Lügen die Unternehmen verbreiteten, desto mehr Geld verdienten sie. „Welche Folgen hat das für die menschliche Natur?“ Diese Frage treibt sie um.

Big Tech zur Verantwortung ziehen

Wie kann die Gesellschaft Big Tech zur Verantwortung ziehen? Bisher sei die Gesellschaft an dieser Aufgabe gescheitert. Schon in ihrem Buch „Wie man einem Diktator die Stirn bietet“ hatte Ressa auf die mangelhafte Regulierung der Tätigkeit von Social-Media-Plattformen und Big-Data-Unternehmen verwiesen. In jedem Land, so ihre Kritik, müsse ein Toaster nach den geltenden Bestimmungen mehr Sicherheitstests durchlaufen, als das Smartphone, was jeder in der Tasche mit sich herumtrage.

Dies gelte erst recht für die noch kaum vorhandene Gesetzgebung gegen KI. Die Technologie begünstige die Verbreitung von Lügen. Dagegen müssten sich Gesetzgeber und Gesellschaft zur Wehr setzen. Ressa lobte die Europäische Union für ihre entsprechenden Bemühungen. Die soeben beschlossene AI-Regulierung sieht vor, dass große Modelle wie ChatGPT bestimmte Anforderungen an Transparenz erfüllen müssen. Verstöße könnten für Unternehmen teuer werden. 

Für Ressa ist klar: „2024 wird unter Wahlgesichtspunkten ein kritisches Jahr.“ Jeder dritte Erdenbürger werde im nächsten Jahr zu Wahlen gerufen. 2024 wird für Ressa der „tipping point“, an dem sich entscheide, „ob die Demokratie überlebt“. Noch seien die Gefahren der Social-Media-Plattformen nicht unter Kontrolle. Und jetzt komme auch noch die Bedrohung durch Künstliche Intelligenz dazu: KI mit all ihren Möglichkeiten zur Erzeugung von Deep Fakes, massiver Verfälschung der Wirklichkeit, die vom Einzelnen kaum noch durchschaut werden könnten. 

Maria Ressa rät: Demokratische Kräfte bündeln

Nötig sei daher die Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte, um der „Verschmutzung des Informationsflusses“ entgegen zu wirken. Mögliche Instrumente: Faktencheck-Kampagnen, juristische Verfolgung von Falschbehauptungen, verstärkte Kommunikation außerhalb der digitalen Räume. Viele Politiker, die Zivilgesellschaft und NGOs hätten schon begriffen, worum es gehe. Aber sie müssten noch wesentlich schneller agieren. 

Im Beziehungsdreieck von Technologie, Journalismus und Community setzt sie vor allem auf die Kraft der Zivilgesellschaft. Die virtuelle Welt sei kontaminiert, daher empfiehlt sie eine stärkere Hinwendung zur realen Welt. Als Beispiel nannte sie die jüngste Entwicklung in Polen. „Es waren junge Menschen und Frauen, die auf die Straße gingen und den politischen Umschwung bewirkten.“

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