Assange von Auslieferung bedroht

Karikatur: toonpool / Kostas Koufogiorgos

Die Gefahr, dass Julian Assange tatsächlich an die USA ausgeliefert wird, ist gegenwärtig so real wie nie zu­vor, befürchtet Reporter ohne Grenzen (RSF). Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs hat die Berufung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange gegen seine Auslieferung an die USA abgelehnt. In den USA droht er wegen der Veröffentlichung geheimer Informationen über Kriegsver­brechen und Menschenrechtsverletzungen des US-Militärs im Jahr 2010 den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen zu müssen. Kon­kret drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.

In einer dreiseitigen schriftlichen Entscheidung vom 6. Juni 2023 wies ein Richter Assanges Berufung gegen den von der damaligen briti­schen Innenministerin Priti Patel im Juni 2022 unterzeichneten Aus­lieferungsbefehl in allen acht Punkten zurück. Damit bleibt Assange nur noch eine letzte Möglichkeit innerhalb des britischen Justizsys­tems: Die Verteidigung hat fünf Arbeitstage Zeit, um eine weitere Be­rufung im Umfang von höchstens 20 Seiten bei einem aus zwei Rich­tern bestehenden Gremium einzureichen. Darauf folgt eine öffentli­che Anhörung. Bei einer weiteren Ablehnung bliebe als letzte Option, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Doch ob eine Entscheidung dort seine Auslieferung verhin­dern kann, ist fraglich.

„Es ist unfassbar, dass ein einzelner Richter mit einer dreiseitigen Ent­scheidung Julian Assange der Gefahr aussetzen kann, den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen zu müssen – und damit zugleich das weltweite Klima für den Journalismus nachhaltig beeinflussen kann“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die historische Dimen­sion dessen, was als Nächstes geschieht, könnte größer nicht sein. Es ist an der Zeit, diesem unerbittlichen Feldzug gegen Assange ein Ende zu setzen. Unser Appell an US-Präsident Joe Biden ist jetzt dringli­cher denn je: Lassen Sie die Anklage fallen, stellen Sie das Verfahren ein und ermöglichen Sie, dass Julian Assange umgehend freikommt.“

Mit der jüngsten Entscheidung beginnt die letzte Phase einer mehr als dreijährigen Odyssee vor britischen Gerichten. Das Verfahren geht zurück auf einen Auslieferungsantrag der USA, die Assange in Zusam­menhang mit der Veröffentlichung hunderttausender geleakter gehei­mer Dokumente durch WikiLeaks in 18 Punkten angeklagt haben, un­ter anderem nach dem US-Spionagegesetz, das keine Ausnahmen für Veröffentlichungen von besonderem öffentlichem Interesse vorsieht.

Nachdem im Januar 2021 ein Gericht in erster Instanz eine Ausliefe­rung mit Verweis auf Assanges psychische Gesundheit abgelehnt hatte, hob ein Berufungsgericht Dezember desselben Jahres die Entschei­dung auf- Es vertraute damit Zusicherungen der US-Regierung, sie werde Assanges Sicherheit gewährleisten. Assange wäre der erste Ver­leger, dem in den USA nach dem Spionagegesetz der Prozess gemacht wird. RSF

Mehr Informationen: Meldung | Reporter ohne Grenzen für Informationsfreiheit (reporter-ohne-grenzen.de)

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »

Social Media: Mehr Moderation gewünscht

Wer trägt die Verantwortung, um etwas gegen zunehmenden Hass in den sozialen Medien zu unternehmen? Die Plattformen? Die Politik? Die Nutzer*innen? Alle drei Gruppen jeweils zu einem Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Sie zeigt auch: der Großteil der Menschen in den zehn untersuchten Ländern wünscht sich mehr Moderation bei Inhalten.
mehr »

Ecuador: Medien ohne Schutz

Mehr Schutz für Berichterstatter*innen, fordert Ecuadors Medienstiftung Fundamedios. Doch in der Regierung von Daniel Noboa, Sohn des Bananenmilliardärs Álvaro Noboa, stößt die Initiative auf Ablehnung. Dafür sei kein Geld da, lautet das Argument. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass Daniel Noboa eher auf TikTok, Instagram und andere soziale Netzwerke setzt und wenig von den traditionellen Medien hält. Erschwerend hinzu kommt, dass Kartelle, aber auch lokale Kaziken versuchen, Journalist*innen zu instrumentalisieren.
mehr »