Die Corona-Pandemie droht in Afrika ein neues Opfer zu finden – die Pressefreiheit. In etlichen Ländern des Kontinents häufen sich Berichte von Übergriffen auf Medienschaffende. Reporter werden von Sicherheitskräften bei der Arbeit behindert, bedroht, geschlagen und verhaftet. Regierungen betreiben Geheimniskrämerei zu ihren Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionswelle.
Als Paul Nthoba das Grüppchen Polizisten am Caledon River sah, dachte er eigentlich, Positives über die Einsatzkräfte berichten zu können. Nthoba betreibt eine kleine Gemeindezeitung in Ficksburg, einer Kleinstadt in Südafrikas zentraler Provinz Free State, nahe der Grenze zur Enklave Lesotho. Weil er Beschwerden gehört hatte, die Polizei kontrolliere den strikten Lockdown nicht ausreichend, machte sich der Gründer der Mohokare News auf den Weg zum Grenzfluss. „Sieh an, das ist ein schönes Bild, da sind doch Polizisten“, habe er sich gedacht, schilderte Reporter Nthoba die Situation später dem Nachrichtenportal News24. Doch die Stimmung kippte rasch. Die Beamten hätten ihn zunächst übel beschimpft, auf ihn eingeschlagen und schließlich – erfolglos – versucht, die Bilder auf seiner Kamera zu löschen. Als er deshalb auf der Wache Anzeige erstatten wollte, kamen die Prügelpolizisten erneut hinzu und misshandelten den Journalisten ein weiteres Mal, vor den Augen ihrer Vorgesetzten. Angezeigt wurde schließlich Nthoba, weil er angeblich Polizeimaßnahmen zur Durchsetzung des Lockdown behindert haben soll. In Südafrika stehen darauf bis zu sechs Monate Haft. Eingeschüchtert von einem permanent vor seinem Haus platzierten Einsatzfahrzeug und um sein Leben fürchtend, floh der Journalist schließlich über die grüne Grenze nach Lesotho, wo er im Büro der Vereinten Nationen um Zuflucht bat. Die beschuldigten Polizisten, so berichtete der südafrikanische Journalistenverband SANEF am 20. Mai, fünf Tage nach dem Vorfall, blieben im Dienst.
Im Machtrausch
Der Fall Nthoba illustriert den Machtrausch, in dem sich die Sicherheitsorgane in etlichen afrikanischen Ländern derzeit befinden. Mit weitreichenden Befugnissen zur Durchsetzung von Ausgangssperren ausgestattet und ohne hinreichende Kontrolle der in vielen Ländern vorübergehend geschlossenen Parlamente, geht die Exekutive ungehindert mit Gewalt gegen unliebsame Journalisten vor. „Seit die Regularien eingeführt und Notstandsfälle ausgerufen wurden, war ein starker Anstieg an Berichten über Bedrohungen, Einschüchterungen und Angriffen gegen Journalisten zu verzeichnen“, konstatierte das globale Meinungsfreiheitsnetzwerk International Freedom of Expression eXchange (IFEX) bereits Mitte April. Ähnlich äußerte sich zwei Wochen später auch das International Press Institute. Attacken auf Journalisten hätten stetig zugenommen, sie seien „Ziel von Verhaftungen und gewalttätiger Übergriffe geworden, in vielen Fällen durch Angehörige der Sicherheitskräfte“, berichtete das internationale Journalistennetzwerk auf seiner Website. Die weltweit höchste Zahl sowohl verbaler als auch physischer Angriffe auf Journalisten habe es dabei in Afrika gegeben. „Tötet der Corona-Virus die Pressefreiheit in Afrika?“ fragte deshalb auch die kaum für Dramatisierungen bekannte Deutsche Welle in ihrer englischen Ausgabe.
Die Sorge ist berechtigt, zumal in vielen Ländern nicht nur die Polizei, sondern auch das Militär zur Durchsetzung des Lockdowns eingesetzt sind. Die Liste der Übergriffe ist lang. Sie reicht von ghanaischen Soldaten, die auf Reporter einschlagen, über kenianische Polizisten, die in Mombasa auf Journalisten einprügeln, bis nach Masiphumele, ins südlichste Township des Kontinents vor den Toren Kapstadts. „Verpiss dich, oder du wirst hier heute sterben!“ bellten die Einsatzkräfte dort bereits Anfang April den Fotoreporter Jacques Marais an, der dokumentieren wollte, wie Polizisten und Soldaten gemeinsam auf Passanten einschlugen. In der Zwischenzeit mahnte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, dass menschliche Würde und körperliche Unversehrtheit auch in Zeiten des Lockdowns nicht verletzt werden dürften – offenbar ohne großen Erfolg.
Verbote willkürlich ausgelegt
Immer wieder machen die Behörden stattdessen deutlich, dass sie übergriffige Beamte nach Kräften schützen. In der Kleinstadt KwaDukuza hielten Anwohner auf Handy-Aufnahmen fest, wie Polizisten zunächst versuchten, ein Kleinkind aus einem Wohnkomplex zu entführen. Als der Vater hinzueilte, entstand ein förmliches Gezerre um den etwa dreijährigen Jungen. Schließlich wurde der Vater verhaftet. Die Reaktion des Gemeindesprechers: Es gebe einen „Narrativ in sozialen Medien“, doch man müsse sich zunächst „mit den betreffenden Beamten zusammensetzen“. Denn „aufgrund der Bekleidung des Kindes“ sei offensichtlich, dass die Familie am Strand gewesen sei, was während des Lockdowns verboten ist. „Sie haben falsch gehandelt“, erklärte der Sprecher daher – wohlgemerkt auf den Vater und seinen kleinen Sohn bezogen.
Eine ähnliche Logik offenbarte auch ein Polizeisprecher in Simbabwe, der von der Nachrichtenagentur AFP zum Fall eines von der Polizei verprügelten Journalisten befragt wurde. „Wir billigen keine Übergriffe auf Menschen, die legitimer Arbeit nachgehen, aber wir hatten Fälle von Menschen, die Vergehen begehen und dann sagen, sie wären verhaftet worden, als sie ihrer Pflicht nachgingen“, erklärte der Mann Anfang April. Seitdem wurden unzählige weitere Journalisten wegen angeblich abgelaufener Akkreditierungskarten von der Polizei angegangen und an ihrer Arbeit gehindert, obwohl die Regierung die 2019er Ausweise weiter für gültig erklärt hat, da der staatliche Medienregulator aktuellen Bescheinigungen noch nicht hat drucken lassen. Erst am Dienstag kamen zwei Journalisten auf Kaution frei, die in der Vorwoche bei einem Interview mit zusammengeschlagenen Oppositionspolitikern im Krankenhaus festgenommen worden waren. Der Vorwurf hier: Verstoß gegen das Kontaktverbot.
Informationen zurückgehalten
Doch es sind nicht nur die Sicherheitskräfte, die den Medien das Leben schwer machen. Tansania hat seit Ende April keine offiziellen Infiziertenzahlen mehr herausgegeben, Südafrikas Regierung enthielt der Öffentlichkeit lange Zeit die Modelle zum Pandemieverlauf vor, mit denen sie einen der weltweit striktesten Lockdowns begründete. Stattdessen kanzelte Gesundheitsminister Zweli Mkhize in der vergangenen Woche die Präsidentin des Medizinischen Wissenschaftsrats ab. Glenda Gray hatte es gewagt, Teile der Lockdownregeln – darunter die Beschränkung von Jogging und Radfahren auf die Zeit von 6 bis 9 Uhr morgens sowie ein Verbot des Verkaufs von offenen Schuhen bei der Wiederöffnung von Schuhgeschäften – in einem Interview mit News24 als „unsinnig und unwissenschaftlich“ zu kritisieren. Der zentrale Vorwurf: Die Professorin, Spezialistin für Infektionskrankheiten, hätte ihre Kritik lediglich intern und nicht gegenüber der Presse äußern sollen. Mkizes Generaldirektor im Gesundheitsministerium, Anban Pillay, verlangte gar ein Disziplinarverfahren gegen Gray, das der Medizinische Wissenschaftsrat inzwischen wieder eingestellt hat.
Die Posse passt ins Muster. News24-Chefredakteur Adriaan Basson schrieb in einem Editorial bereits im April, Informationen würden „wie Zigaretten und Alkohol“ behandelt – der Verkauf von beidem ist während des Lockdowns verboten. In ernsten Worten bemängelt er „auf allen Regierungsebenen ein bedrohliches Versagen bei der Weitergabe von Informationen und der Kommunikation über das Virus“. Letztendlich wird so nicht nur die Arbeit der Presse behindert, sondern auch die Akzeptanz der Regierungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie gefährdet. Die Welt befinde sich „im Krieg gegen einen unsichtbaren Feind“, hatte Südafrikas Staatschef Ramaphosa im März erklärt. So martialisch das auch klingen mag, eine Parallele gibt es: Auch im Kampf gegen das Corona-Virus scheint die Wahrheit zuerst zu sterben.