Internationale Verbände warnen vor Unterdrückung der Pressefreiheit
Unter dem Eindruck der Anschläge von 2001 wurden weltweit Gesetze und Verordnungen zur präventiven Bekämpfung des Terrors verabschiedet. In der Abwägung von Sicherheitsbedürfnissen und Bürgerrechten blieb vielfach die Pressefreiheit auf der Strecke.
Zu diesem Resümee kam die Konferenz „Journalismus im Schatten der Terrorgesetze“, die die Internationale Journalistenvereinigung (IFJ) gemeinsam mit der Europäischen Journalistenvereinigung (EFJ) am 10./11. September in Brüssel organisierte.
Die staatliche Politik des „war on terror“ hatte in vielen Ländern einen einschüchternden Effekt auf Journalisten. „Die Rolle der Medien als Wächter der Demokratie wurde teilweise selbst in entwickelten Demokratien beiseite gedrängt“, sagte IFJ-Präsident Jim Boumelha. „Unter dem Deckmantel nationaler Sicherheit wurde die Pressefreiheit vielfach eingeschränkt.“
Kritische Stimmen entmutigt
Das Arbeitsumfeld von Journalisten ist rauer geworden in den letzten zehn Jahren. „Redaktionen wurden schikaniert, Journalisten unterdrückt und inhaftiert, alles unter dem Vorwand, den Terrorismus zu bekämpfen“, berichtete Dunja Mijatovic, seit März 2010 OSZE-Beauftragte für die Medienfreiheit. In vielen Fällen erlebte sie „Menschen hinter Gittern, deren einziger Fehler war, dass sie offen berichtet hatten, möglicherweise zu provokativ, zu kritisch, auch über Fehlhandlungen der Regierungen“. Natürlich bestreite niemand das Recht der Regierungen, antiterroristische Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung zu ergreifen. Anstelle einer „rule of laws“ sei aber vielerorts eher eine „rule of fears“ eingeführt worden.
„Die Sprache des ‚war on terror’ erleichterte es den Regierungen, Maßnahmen durchzusetzen, die Medienfreiheit und elementare Bürgerrechte unterdrückten“, klagte Mary Robinson, die frühere Präsidentin Irlands und Ex-UN-Hochkommissarin für Menschenrechte. Die Antiterrorgesetzgebung habe vielfach die „journalistische Integrität unterminiert und kritische Stimmen entmutigt“.
Besonders in den USA hatten die Terroranschläge äußerst negative Auswirkungen auf die Arbeit der Medien. Selbst ansonsten eher regierungskritische Publikationen und Sender leisteten in der Stunde des patriotischen Schulterschlusses kaum Widerstand gegen die Einschränkung von Bürgerrechten. John Nichols von The Nation, einer vor 150 Jahren gegründeten politisch linksorientierten US-Wochenzeitschrift, bezeichnete die Berichterstattung nach den Anschlägen als „disaster loop“, also „Unglücksschleife“. Gemeint ist eine Tendenz speziell in den elektronischen Medien, im Kontext eines 24-Stunden-Programms ständig die immer gleichen Bilder und Geschichten um den 9.11. zu wiederholen, ohne neue Erkenntnisse zu liefern. Eine Tendenz, die man um den 10. Jahrestag der Terroranschläge auch in deutschen Medien beobachten konnte. Die nachfragende, weitertreibende journalistische Recherche werde in den US-Medien immer mehr zurückgedrängt; stattdessen folgten unmittelbar auf die Rohnachrichten „talking heads“, also Kommentatoren und Spin Doctors, meist aus dem Umfeld der Regierung. Der dabei erzielte Erkenntniswert sei meist gering. „Was kommt dabei heraus, wenn Sie sich nur auf offizielle Quellen verlassen, auf Regierungsmitglieder und ihre Verbündeten, die ständig auf Sendung sind und erzählen, was man denken soll und welche Antworten nötig sind?“ kritisierte Nichols. Mögliche Alternativen seien gar nicht erst diskutiert worden, am Ende schien es nur eine Lösung zu geben: „Krieg, Repression und Abbau bürgerlicher Freiheiten“.
Auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten ließen sich viele Journalisten einschüchtern. Nur wenige hatten den Mut, kritische Fragen zu stellen. Selbst der damalige „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert sah sich heftigen Angriffen ausgesetzt, nachdem er in der Zeitschrift „Max“ eine Bush-kritische Formulierung der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy zustimmend zitierte (vgl. M 8–9/11). Die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel forderte seinerzeit faktisch ein Berufsverbot für Wickert.
EU-Richtlinie in drei Monaten durchgepeitscht
„Angst ist nach wie vor ein sehr wichtiges Moment“, beklagt Arne König, Präsident der Europäischen Journalistenvereinigung EFJ, die Folgen der Terrorhysterie. Außerdem gebe es in den meisten Staaten Überwachungsgesetze, die Journalisten beruflich einschränken. Zum Beispiel die Überwachung von Telefon- und Computerkommunikation. „Wir können unsere Quellen nicht mehr so sicher bewahren wie wir möchten, und das ist ein großes Hindernis für freien Journalismus.“
Innerhalb von nur drei Monaten wurde 2005 vom Europaparlament eine EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten durchgepeitscht. Eine Richtlinie, deren Umsetzung in Deutschland das Bundesverfassungsgericht zwei Jahre später wegen verfassungsrechtlicher Bedenken abschmetterte. In Großbritannien, so berichtete Ben Hayes von der Bürgerrechtsorganisation Statewatch, seien von den Behörden in Folge der Anschläge in der Londoner U-Bahn rund 700.000 Anträge auf Telefonüberwachung gestellt worden. Wo früher staatsanwaltliche Genehmigungen bei so weitreichenden Interventionen in die Privatsphäre einzelner Personen erforderlich gewesen seien, genüge heute meist das Weiterreichen von Telefonnummern. Angesicht eines allgemeinen Klimas des Misstrauens sei es kaum verwunderlich, dass bestimmte gesellschaftliche Minderheiten pauschal unter Terrorverdacht gestellt würden. Beleg: die verbreitete Islamismus-Phobie, die zuletzt beim Massaker eines Wahnsinnigen in Norwegen entsprechende Reflexe ausgelöst habe: „Alles andere als ein Attentat von Al Qaida erschien den ‚Terrorologen’ schlechterdings unvorstellbar.“
Derzeit werde im House of Commons bereits das 9. Antiterrorgesetzpaket seit 2001 verhandelt, berichtete Hayes. Faktisch habe sich im Schatten des Terrors ein paralleles Justizsystem entwickelt. Angesichts einer solchen Obsession in Sachen Sicherheit fürchtet Hayes Schlimmes, falls künftig vielleicht einmal bei einer erfolgreichen Cyberattacke in Europa oder Nordamerika das Kommunikationsnetz oder die Stromversorgung lahmgelegt werden sollte. „Wird es dann eine rationale Neubewertung der Sicherheit geben oder wird es auf einen neuen Krieg gegen Hacker und Cyberaktivisten hinauslaufen?“, gab sich der Statewatch-Experte besorgt. So wie das öffentliche Klima beschaffen sei, werde wohl eher letzteres passieren. „Falls es so kommt, könnte das alle Debatten unterminieren, die wir derzeit über Internetfreiheit oder Netzneutralität führen“, warnt Hayes.
Nicht zuletzt wuchs im Zeichen des Antiterrorkrieges auch das berufliche Risiko von Journalisten, die über bewaffnete Konflikte in Afghanistan und im Irak berichten. Hervé Ghesquière, der französische Reporter von France 3 TV war zeitweilig Geisel in Afghanistan. Die journalistische Arbeit in solchen kriegerischen Auseinandersetzungen sei besonders kompliziert, da die Reporter häufig als Kriegspartei angesehen würden. Vor allem Journalisten, die „embedded“ auf dem Ticket von Kampftruppen mitreisten, würden ihre Unabhängigkeit aufs Spiel setzen.
Der gemeinsame Kongress von IFJ und EFJ fordert die Regierungen auf, alle vor zehn Jahren überhastet getroffenen Antiterrorismusgesetze zu überprüfen. Es müsse sichergestellt werden, dass keines dieser Gesetze internationale Menschenrechte und die Meinungsfreiheit einschränkten, heißt es in einer Resolution. Neue Sicherheitstechnologien dürften nicht dazu missbraucht werden, die Medien zu überwachen und die Privatsphäre der Bürger zu zerstören. An die Journalisten appellierte der Kongress, ihre Unabhängigkeit zu wahren und jede Selbstzensur zu vermeiden. „Die Medien sind mehr denn je gefordert, die Handlungen der Regierungen einer genauen Prüfung zu unterziehen.“