„Deutsche Kurz-Schlüsse“

Der alte und vermutlich neue östereichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
Foto: APA/Hans Klaus Techt

Über den Umgang der österreichischen Regierung mit den Medien

Die deutschen Medien haben den Wahlerfolg des alten und vermutlich auch neuen öster-reichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über Gebühr gefeiert. Bild fragte noch am Wahlabend erwartungsvoll: „Kann die CDU den Erfolg von Sebastian Kurz kopieren?“ Der Münchner Merkur machte auf mit „Lektion aus Wien: Wahlsieger Kurz blamiert CDU und CSU“ und der Cicero sah „Ein Signal – auch für Deutschland“. Sogar der ARD-Presseclub stimmte in den Chor ein. Anfang Oktober fragte Jörg Schönenborn: „Kann die deutsche Politik möglicherweise von Sebastian Kurz lernen?“

Kritische Stimmen wie in der Süddeutschen Zeitung, die in dem 33-Jährigen ein „Falsches Vorbild“ sieht, sind eher die Ausnahmen. Nicht selten wird Kritik an Kurz als „unanständig“ empfunden, wie etwa im Interview mit dem heute journal: „An Peinlichkeit mangelte es von Seiten Klebers jedenfalls nicht“ machte sich der Merkur den Shitstorm der Zuschauer zu eigen, die sich darüber beschwert hatten, dass Claus Kleber sich zu sehr auf die gescheiterte Koalition mit der rechts-populistischen FPÖ versteift hätte. Die Welt nannte die Kritik am ÖVP-Chef: „Deutsche Kurz-Schlüsse“. Sebastian Kurz gilt vielen als Vorbild für Deutschland und hier vor allem für die Union. Kurz verkörpere den „neuen Politikertyp des ,Politikunternehmers‘ derzeit am erfolgreichsten, auch weil er nach allen Richtungen offen ist“, schreibt der Leiter des Berliner Büros des „Zukunftsinstituts“, Daniel Dettling, in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. Ulrich Reitz beklagt in seiner Kolumne für den Focus, dass in Deutschland „Popula-rität allzu oft als Populismus“ verunglimpft werde. „Politiker, die auf die Stimmungen in der Bevölkerung achten und deren Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung bedienen, gelten schnell als rechtsradikal“. Um diese These zu untermauern, holt er den Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Eric Gujer, als neutralen Kronzeugen mit ins Boot, der schließlich den „anderen Blick“ auf Deutschland hat. „Konservativ sein ist in Deutschland eine -Vorstufe von Extremismus geworden“, wird Gujer zitiert. Kritik? Fehlanzeige.

Verstöße gegen Pressefreiheit

In allen Artikeln wird vor allem ein Aspekt ausgespart: Der Umgang der Regierung Kurz mit den Medien. Laut „Reporter ohne Grenzen“ ist Österreich im Ranking der Presse-freiheit während der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz um mehrere Plätze abgerutscht. Die Verstöße sind dabei zahlreich. So wurde der Redakteurin der Wiener Wochenzeitung Falter, Barbara Tóth, im Wahlkampf der Zutritt zum einem Hintergrund-gespräch mit Parteichef Sebastian verweigert. Die Partei gab sich keine Mühe, ihre Vorgehensweise zu verschleiern. Falter-Chefredakteur Florian Klenk schrieb auf Twitter, sein Medium sei „gezielt nicht eingeladen“ gewesen. Dies habe ein ÖVP-Mitarbeiter Tóth gegenüber bestätigt. ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer -erklärte daraufhin: „Wir kriminalisieren nicht den Falter, sondern jene, die uns professionell von außen gehackt und angegriffen haben und somit auch unsere Demokratie angreifen!“. Ein bisschen Trump muss sein.

Anlass für das Hintergrundgespräch waren Recherchen des Falter. Das Blatt hatte darüber berichtet, dass die ÖVP hoch verschuldet sei und eine geheime Buchhaltung führe, durch die über der Wahlkampfkostenobergrenze liegende Wahlwerbeausgaben verschleiert worden seien. „Die Belege der Buchhaltung wurden uns von einem Whistleblower anonym zugeschickt und wir haben sie überprüft und das, was im Interesse der Öffentlichkeit ist, auch öffentlich gemacht“, sagt Falter–Redakteurin Nina Horaczek, Mitautorin des Dossiers. Die ÖVP wies diese Darstellung als falsch zurück und erklärte, dass das Falter–Dossier zwar echte aber auch verfälschte -Unterlagen enthalte. „Bis jetzt hat die ÖVP keine Beweise für ihre Behauptung geliefert“, sagt Nina Horaczek.

Der Falter war allerdings nicht das einzige Medium, das nicht erwünscht war. Auch Fernsehsender wie „Puls 4“ und andere Wochenzeitungen oder Magazine mussten draußen bleiben. „Die Tendenz hat sich unter der türkis-blauen Regierung verstärkt“, erkärt Eva Linsinger, Ressortleiterin Politik beim Magazin Profil. So wurden etwa zu den Hintergrundgesprächen zur umstrittenen Reform der Krankenkassen ebenfalls nur ausgewählte Tageszeitungen eingeladen. Unter anderem wurde der Standard ausgeschlossen, weil er kritisch über die Reform berichtet hatte.

Kontrolle von Inhalten

Linsinger erlebt, dass Blätter wie die Neue Kronen-Zeitung oder auflagenstarke Gratis-Zeitungen wie heute oder oe24 von der türkis-blauen Regierung massiv bevorzugt würden. Oe24 betreibt sogar einen eigenen TV-Kanal, wo es regelmäßig lockere Gesprächsrunden mit Regierungsvertretern gibt, bei denen sie sicher vor kritischen Nachfragen sein können. „Regierungsmitglieder sind dort fast mehrmals wöchentlich zu Wort gekommen, während Qualitätsmedien oder der ORF lange warten mussten oder einfach ignoriert wurden.“ Der Politikwissenschaftler Fritz Plasser bezeichnete Österreich in einem Zeit-Interview entsprechend als „Boulevard-Demokratie“.

„Kurz und seine Partei versuchen, die Art und Inhalte der medialen Berichterstattung durch Message Control zu kontrollieren“, sagt Falter-Redakteurin Horaczek. Direkte Anfragen seitens der Medien an Fachpolitiker oder Minister seien unter Kurz nur schwer möglich gewesen. Und Sebastian Kurz schwebt eh über Allem. „Seit seinem Amtsantritt 2017 haben wir mehrfach versucht, ein Interview mit ihm zu bekommen, vergeblich. Die Begründung hieß immer: Aus Termingründen sei das derzeit nicht machbar“, sagt Horaczek.

Auch finanziell hat die Regierung Kurz versucht, Einfluss zu nehmen. Eine Vorgehensweise, die sich zwar bereits unter der Regierung von Werner Faymann (SPÖ) etabliert hatte und von Kurz aber perfektioniert wurde. „In Österreich spielen Regierungsinserate eine größere Rolle als in anderen Ländern. Es ist ein Tauschgeschäft: freundliche Berichterstattung gegen Inserate“, sagt Eva Linsinger. Ein Grund sei die niedrige Presseförderung, deren Gesamtetat bei etwa neun Millionen Euro liegt, wodurch die Abhängigkeit von anderen Einnahmequellen steige.

Das ganze Ausmaß von PR- und Inserate-Ausgaben der schwarzblauen Regierung wurde durch eine parlamentarische Anfrage öffentlich. Die Ministerien der Regierung haben im Jahr 2018 für Werbe- und PR-Ausgaben rund 45 Millionen Euro ausgegeben. Das ist doppelt so viel wie die Vorgänger-Regierung. Nimmt man Inserate der staatlichen Bahn und der staatlichen Strassengesellschaft, die vom Infrastrukturministerium vergeben werden, sind es sogar 200 Millionen. Aber: Kritischen Medien wurden die Inserate massiv gestrichen, dem Falter zum Beispiel um 79 Prozent – dafür profitierten rechte Magazine wie der Wochenblick, ein Blatt, das der FPÖ und auch der „Identitären Bewegung“ nahesteht.

Die Regierung Kurz beschäftigte zudem eine Rekordzahl an Presse-, Social-Media- und PR-Leuten – ein Stab, größer als jede Redaktion. Den Medien wurden immer häufiger Informationspakete angeboten, die teils ungeprüft veröffentlicht wurden. „Den Redaktionen sollte dadurch nur vordergründig die Arbeit erleichtert werden. Ziel ist es, die Berichterstattung zu steuern”, so Linsinger. Im Fall der bereits erwähnten Reform der Krankenkassen führte diese zu einer Rüge des Presserats. Das Selbstkontrollorgan der österreichischen Presse, sah sich zu einer ungewöhnlichen „Grundsatzerklärung“ genötigt und mahnte Ende August 2018 die Medien zum „sorgfältigen Re-Check von Informationen, die von Regierungsseite kommen“.

„Die türkis-blaue Regierung hat das Prinzip Message Control etabliert. Das ging auch deshalb, weil die FPÖ seit einem Jahrzehnt sehr erfolgreich ein eigenes Medienimperium betreibt, FPÖ und Sebastian Kurz auf Social Media, Facebook, Whatsapp direkt kommunizieren, ohne auf lästige Fragen von lästigen Journalistinnen und Journalisten antworten zu müssen“, sagt Eva Linsinger. Dies wirkte sich auch auf die Inszenierung aus. Während Kurz im Wahlkampf 2017 vor allem durch sein “hartes Durchgreifen” in der Migrationspolitik gepunktet hat, spielten Inhalte in der jüngsten Kampagne keine entscheidende Rolle mehr. Es passte nicht mehr zu seiner Inszenierung als Polit Pop-Star, der auf Insta-gram und Co setzt.

Um sich ins rechte Bild zu setzen, ließ sich Kurz im Wahlkampf dabei ablichten, wie er ein Segensgebet des evangelikalen Predigers Ben Fitzgerald in der ausverkauften Wiener Stadthalle entgegennahm und teilte die Bilder anschließend auf seinem Profil. Am Flughafen ließ sich der 1,90-Meter große Politiker dabei fotografieren, wie er seinen Körper in die engen Sitze der Economy-Class zwängt, um nach Ende der Fotosession in einen Privatjet zu steigen und davon zu fliegen. Die Geschichte wurde vom Falter aufgedeckt, dem Wahlvolk war es egal.

Die Bilder auf Instagram kommen dabei meist ohne Textbotschaften aus, die wenigen Worte, die er wählt, sind wohlüberlegt. „Kurz hat bestimmte Satzbausteine, die er er wiederholt und die auch von den Menschen wiedererkannt werden. Er inszeniert sich als volks-naher Kämpfer gegen das Wiener Establishment“, erklärt Eva Linsinger. Nach dem Ende der Minderheitsregierung im Frühjahr postete Kurz auf „facebook“ pathetisch: „Das Parlament hat bestimmt. Das Volk wird im September entscheiden. Kann ich auf deine -Unterstützung zählen?“

Auch der ehemalige Koalitionspartner FPÖ profitierte von der Medienpolitik: So hat Kurz während seiner Amtszeit das Vorgehen des Innenministeriums unter Heribert Kickl (FPÖ) billigend in Kauf genommen. Dessen Mitarbeiter hatte die Polizeidienststellen angewiesen, die Kommunikation mit missliebigen Medien wie Standard, Kurier oder Falter „auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken und ihnen nicht noch Zuckerln wie beispielsweise Exklusivbegleitungen zu ermöglichen“, außer es sei eine „neutrale oder gar positive Berichterstattung im Vorhinein garantiert“. Kurz sagte darauf zwar, dass die „Einschränkung von Pressefreiheit nicht akzeptabel“ sei, Kickl durfte dennoch im Amt bleiben. Eine strategische Entscheidung.

Den „Kurier“ auf Linie bringen

Der ehemalige Chef des Kurier, Helmut Brandstätter, beschreibt Sebastian Kurz in seinem Buch „Kurz & Kickl – Ihr Spiel mit Macht und Angst“ als Machtmenschen. Der Versuch, kritische Medien von Informationen abzuschneiden, sei für Kurz nicht ungelegen gekommen. „Ein klares Ziel war die Schaffung einer der ÖVP noch freundlicheren Medienlandschaft. So hörte ich bald aus der Umgebung von Kurz, jetzt müsse ‚der Kurier auf Linie gebracht werden‘.“

Dazu passt, dass der Immobilien-Spekulant René Benko sich beim Kurier eingekauft hat. Benko gilt als Vertrauter von Kurz. Sein Signa Konzern übernahm 24,22 Prozent am Kurier und 24,5 Prozent an der Kronen-Zeitung. Letztere hat, anders als der Kurier, Sebastian Kurz im Wahlkampf massiv unterstützt. Und schon vor zwei Jahren titelte das Boulevard-Blatt schlicht und einfach in fetten Lettern: „KURZ“. Bild, Merkur und Co hätten es nicht besser formulieren können.


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