Die doppelte Doku

WDR-Reportage zu Verwicklungen von Mercedes-Benz in Diktatur-Verbrechen in Argentinien

Eines der dunkelsten Kapitel deutscher Industriegeschichte nach 1945 fand in Südamerika statt. Während der Militärdiktatur in Argentinien (1976–1983) wurden 14 Gewerkschaftsfunktionäre des dortigen Mercedes-Benz-Werks verschleppt und wahrscheinlich ermordet. Die Verantwortung der Firmenleitung beschäftigt bis heute Menschenrechtsgruppen und Gerichte. Anfang Dezember nun strahlte die ARD eine WDR-Produktion zum Thema aus – und provozierte damit Protest.

Gaby Weber Foto: Screenshot Gaby Weber
Gaby Weber
Foto: Screenshot Gaby Weber

Dass die blutige Geschichte von „Mercedes-Benz-Argentina“ nun endlich im deutschen Fernsehen thematisiert wird, ist positiv. Dennoch sorgt der Beitrag, der am 2. Dezember im späten Abendprogramm lief, für Kritik von Fachjournalisten und Aktivisten, die sich seit Jahren für eine Aufklärung der mutmaßlichen Verbrechen des Automobilunternehmens in dem südamerikanischen Land einsetzen. Es geht dabei um die Frage, ob die Unternehmensleitung die Namen der verschwundenen Gewerkschafter an das Militär weitergegeben hat. Ob der Konzern Arbeitervertreter in Komplizenschaft mit der Junta ermorden lies.
Recherchiert hatte das Thema die deutsche Journalistin Gaby Weber bereits 1999 für den WDR-Hörfunk. Anders als die Radio-Redaktion lehnten die Kollegen des WDR-Fernsehens die Dokumentation Webers jedoch wiederholt ab. Dass die TV-Programmplaner des WDR das Thema nun an eine Produktionsfirma vergeben haben, die Webers aufwändige Recherchen quasi nachgedreht hat, sorgte nicht nur bei der Journalistin für Empörung. Mehrere Aktivisten lehnten Interviewanfragen des neuen Produzenten ab, das linksgerichtete Gewerkschaftsportal Labournet publizierte den Film Webers im Internet und beteiligte sich an einer Spendenkampagne. Die Journalistin hatte ihre Produktion 2003 und die folgenden Aktualisierungen schließlich fast komplett selbst finanziert. Lediglich die „Stiftung Umverteilen“ gab einen Zuschuss.

Inhaltliche Schwächen

Ein Politikum ist der Fall aus zwei Gründen. Zum einen hat der WDR das Thema nach jahrelanger Ablehnung der bekannten Arbeit Webers offenbar schlichtweg nachproduzieren lassen. Zum anderen stellt der neue Streifen die Frage der Schuld des Konzerns an den Gewerkschaftermorden ohne juristischen oder journalistischen Zwang weit weniger heraus, als dies im Original der Fall war. Im Exposé des umstrittenen neuen Streifens hatten die Autoren sogar noch angegeben, dass „kommunistische Guerillagruppen“ zur Gefahr für Mercedes-Benz geworden seien. Musste der Konzern also sogar mit der Junta zusammenarbeiten? Mitnichten, diese These ist historisch schlichtweg falsch.
Dass in Argentinien keine Anklage erhoben wurde, weil keine persönliche Verantwortung ermittelt werden konnte, wie es nach der 35. Minute des WDR-Streifens heißt, stimmt nur bedingt. Das entsprechende Verfahren ist in Argentinien noch anhängig. Pikanterweise soll eben das Argument, es sei in Argentinien ja nie Anklage erhoben worden, von Fürsprechern des Konzern in einem „Amicus-Curiae-Brief“ angeführt werden, einem Gutachtenverfahren zugunsten des Konzerns in laufenden Prozessen. Zufall oder Absicht?
Auch die Verwicklung von Mercedes-Managern in den systematischen Babyraub wird nicht einmal am Rande erwähnt: Das Regime hatte Widerstandskämpfern Säuglinge gestohlen, um sie von Anhängern aufziehen zu lassen. Im Fall des Polizisten und Sicherheitschefs von Mercedes-Benz-Argentina, Ruben Lavallén, wurde dieser Babyraub bereits nachgewiesen. Seine angebliche Tochter war tatsächlich der 1978 aus der Haft verschwundenen Tochter der späteren Menschenrechtsaktivistin Elsa Pavón entwendet worden. Pavón machte ihre Enkeltochter 1983 nach jahrelanger Suche ausfindig. Weitere Fälle im Mercedes-Werk harren der Aufklärung.

Sender und Produzenten wehren sich

Der öffentliche Protest Webers und weiterer Experten gegen den neuen Streifen und die Senderpolitik hat die Verantwortlichen erreicht. Auf Nachfrage verteidigte der WDR die Entscheidung, den Fall an den ursprünglichen Recherchen vorbei neu verfilmen zu lassen. Man habe die neue Dokumentation 2012 und in diesem Jahr vor dem Hintergrund aktueller Klagen in den USA erstellen lassen, hieß es aus Köln. Auch Holger Hillesheim von der Produktionsfirma tvschoenfilm, die den Auftrag für den neuen Streifen bekommen hat, wies Kritik zurück. Weber hätte als „Expertin und Zeitzeugin eine bedeutende Rolle in unserer Dokumentation einnehmen“ können, so Hillesheim. Dies habe sie jedoch abgelehnt. Das Thema gehöre nicht einer Journalistin, sondern „der Öffentlichkeit und insbesondere den Betroffenen und Überlebenden“. Familienangehörige der Ermordeten treten vor der Kamera freilich nicht auf. Zwar wehrt sich Hillesheim gegen den Vorwurf, das Thema nachgedreht zu haben. Doch neue Zeugen kann seine Produktion nicht aufweisen. Alle seine Interviewpartner hatte Weber ausfindig gemacht.
Die Journalistin ist daher überzeugt: Hier soll „eine bestimmte Art des Journalismus abgestraft werden“. Tatsächlich haben ja ihre Recherchen den mächtigen und staatsnahen deutschen Autokonzern in die Enge getrieben und gezwungen, eine Untersuchungskommission einzurichten. Ob sie ihren Plagiats-Vorwurf aufrechterhält, will sie nun nach der Ausstrahlung der Dokumentation von tvschoenfilm entscheiden. Die wurde mehrfach verschoben. An der Kritik liege das nicht, heißt es bei der ARD. Dass die neuen Produzenten zuvor ausgerechnet für die Daimler AG Werbefilme produziert haben, macht es für Auftraggeber und Produktionsfirma nicht einfacher.

Der Film von Gaby Weber auf Youtube:
http://www.youtube.com/watch?v=oMAzTQzfXfk

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Problem mit der Leidenschaft“

Lena Hipp ist Professorin für Soziologie an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe „Arbeit und Fürsorge“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit M sprach sie über „Gute Arbeit“, Stressoren im Journalismus und weshalb die Trennung von Arbeit und Privatleben für Medienschaffende so wichtig ist.
mehr »

Türkische Presse im Visier der Justiz

Der Journalist Nedim Türfent berichtet über die Situation von Medienschaffenden in der Türkei. Sein Film "Ihr werdet die Macht der Türken spüren!" über die schikanöse Behandlung kurdischer Bauarbeiter erregte große Aufmerksamkeit und brachte ihm 2015 einen Journalistenpreis ein - und 2016 seine Verhaftung. Er wurde gefoltert und zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die meiste Zeit davon verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis in der östlichen Stadt Van. Türfent wurde am 29. November 2022 nach sechs Jahren und sieben Monaten Haft entlassen. Schon wenige Monate später arbeitete er wieder als Journalist. Zurzeit nimmt er an einem Stipendium für bedrohte…
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »

Gewalterfahrung im Lokaljournalismus

In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalist*innen deutlich erhöht. Viele der Übergriffe finden am Rande von Demonstrationen statt. Der Thüringer Journalist Fabian Klaus recherchiert zu Rechtsextremismus und wird deshalb bedroht. Mit M sprach er über zunehmende Bedrohungslagen im Lokaljournalismus und die Unterstützung aus den Redaktionen.
mehr »