Die Schweiz, da schau her!

Berichterstatter vor Demonstrationen ohne Erklärung verhaftet

Im Januar und Februar dieses Jahres geschahen in der Schweiz merkwürdige Dinge: Journalisten wurden verhaftet, auf Redakteure Druck ausgeübt und Gewerkschaftsinserate boykottiert. Die Schweizer Mediengewerkschaft comedia spricht gar von „polizeistaatlichen Methoden“.

Es geschah am helllichten Tag. Der Journalist der WochenZeitung (WoZ) Dinu Gautier verlässt am 19. Januar gegen Mittag die Redaktionsräume in Bern um zur Demonstration gegen das WEF (World Economic Forum in Davos) zu gehen. In der Tasche hat er einen Berichterstatterauftrag der WoZ. In seiner Begleitung befinden sich ein Kollege der Redaktion Courrier aus Genf sowie eine weitere Kollegin. Direkt nach dem Verlassen des Gebäudes werden sie von einem Herrn angesprochen, der sich als Leiter der politischen Polizei des Kantons Bern entpuppt. Während er den Dreien eröffnet, dass sie festgenommen seien, stürzt sich ein Pulk von zehn SEK-Polizisten auf die Medienleute und fesselt sie. Die Hinweise auf vorhandene Presseausweise werden ignoriert, respektive mit dem Vermerk „mit dem Wisch kannst du dir den Hintern putzen“ quittiert. Auf der Polizeiwache wird der WoZ-Journalist einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen und in einer Art „Freiluftkäfig“ im Hof des Reviers zu etwa 50 anderen Personen gesperrt. Nach etwa vier Stunden wird Dinu Gautier ohne nähere Erklärung frei gelassen. Seine beiden Kollegen kamen schon etwas früher frei. Die Berichterstattung über den Ablauf der kurzfristig verbotenen Demo war nicht mehr möglich.
Genau eine Woche später, am 26. Januar findet wieder eine Anti-Globalisierungs-Kundgebung statt. Diesmal in Basel. Jetzt schlägt die Basler Polizei zu: Wieder werden drei Medienschaffende festgenommen. Dabei handelt es sich um einen Mitarbeiter der polnischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique, einen Redakteur der Gewerkschaftszeitung work sowie um eine weitere Journalistin. Die Ironie dabei ist, dass der polnische Kollege Kamil Majchrzak von seiner Redaktion in die Schweiz geschickt worden war, um zu beobachten, wie die Polizei mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit während des Weltwirtschaftsforums umgeht! Auch diese Journalisten werden während der gesamten Dauer der Kundgebung in Haft gehalten und erst nach über sechs Stunden frei gelassen.
Während beiden Kundgebungen wurden in Bern und Basel über 300 Personen vorübergehend festgenommen. Dabei ging die Polizei willkürlich und teilweise äußerst brutal vor, es wurden auch Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt obschon es laut Polizeiangaben kaum zu Sachbeschädigungen gekommen ist.
Fest steht, dass die sechs festgenommenen Medienschaffenden keinerlei Anlass für Ihre Festnahme geliefert hatten. Sie wurden ja auch nicht während der Manifestationen „in der Hitze des Gefechts“, sondern eben schon im Voraus, gewissermaßen vorsorglich, verhaftet. Da drängt sich der Verdacht auf, dass es den Behörden darum ging, eine kritische Berichterstattung elegant durch die Festnahme der als „links“ eingestuften Journalisten zu verhindern.
Dass die Kommentare in den Schweizer Medien über diese verfassungswidrigen Behörden-Angriffe auf die Pressefreiheit eher zurückhaltend ausgefallen sind, überrascht nicht wirklich. Der Züricher Tagesanzeiger beispielsweise schreibt, die Festnahme von Journalisten sei „unschön“. Die grossen Medienhäuser sind schließlich noch nie durch besonders behördenkritische Berichterstattung aufgefallen.
Man stelle sich doch vor, diese Staatsschutzaktion wäre in Russland, Ungarn, China oder gar in Kuba passiert. Die Medien hätten sich übertroffen in der kritischen Würdigung der Ereignisse. Diese Länder seien halt noch weit entfernt davon, die Pressefreiheit zu gewährleisten. Chefredakteure hätten in die Tasten gegriffen und ihre Solidarität mit den entfernten Kollegen bezeugt. Zu Recht.
Aber es ist ja in der Schweiz passiert. Dort geschieht aber so etwas nicht. Also schafft es das Ereignis einmal mehr nicht in die deutschen Medien, oder wie der ARD- Chefredakteur Thomas Hinrichs auf entsprechende Anfrage mitteilen lässt: „Der Respekt vor demokratischen Rechten dürfte in Russland doch noch sehr viel weniger ausgeprägt sein als in der Schweiz“. Alles klar?
Klaus Rózsa, Zürich

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »

Social Media: Mehr Moderation gewünscht

Wer trägt die Verantwortung, um etwas gegen zunehmenden Hass in den sozialen Medien zu unternehmen? Die Plattformen? Die Politik? Die Nutzer*innen? Alle drei Gruppen jeweils zu einem Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Sie zeigt auch: der Großteil der Menschen in den zehn untersuchten Ländern wünscht sich mehr Moderation bei Inhalten.
mehr »

Ecuador: Medien ohne Schutz

Mehr Schutz für Berichterstatter*innen, fordert Ecuadors Medienstiftung Fundamedios. Doch in der Regierung von Daniel Noboa, Sohn des Bananenmilliardärs Álvaro Noboa, stößt die Initiative auf Ablehnung. Dafür sei kein Geld da, lautet das Argument. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass Daniel Noboa eher auf TikTok, Instagram und andere soziale Netzwerke setzt und wenig von den traditionellen Medien hält. Erschwerend hinzu kommt, dass Kartelle, aber auch lokale Kaziken versuchen, Journalist*innen zu instrumentalisieren.
mehr »