Diffamiert und verfolgt

WAZ-Blätter beteiligen sich an monatelanger Hetzkampagne

Im Grunde hätte das alles in diesem Jahr nicht passieren können. Bereits im Juli 2003 unterschrieb Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ Mediengruppe, zusammen mit dem OSZE-Beauftragten für die Freiheit der Medien die Grundsätze zur Garantie redaktioneller Unabhängigkeit. Darin wird klar festgeschrieben, dass vor allem die Eigentümer journalistischer Medien eine besondere Verantwortung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben. Dazu zählt unter anderem das Einstehen für Menschenrechte, internationale Verständigung und die Verteidigung gegen jedwede nationalistische oder rassistische Diskriminierung. Zudem hat die WAZ im Juli 2007 mit der Internationalen Journalistenvereinigung IFJ, zu der unter anderem die dju in ver.di gehört, ein Rahmenabkommen zur Förderung der Pressefreiheit und des Qualitätsjournalismus in Südosteuropa unterzeichnet.


Die WAZ-Mediengruppe verlegt fast 40 Tageszeitungen mit einer täglichen Auflage von rund 4 Millionen Exemplaren, nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in Ost- und Südosteuropa. In Bulgarien gehören ihr zwei Zeitungen. Hätten sich auch diese WAZ-Blätter an die hausinternen Maßstäbe für seriösen Journalismus gehalten, hätte es nicht dazu kommen dürfen, worüber die deutschen Feuilletons schon seit Monaten berichten. „Ich habe von diesen Vorgängen erst durch eine Recherche Mitte der letzten Woche erfahren. Wir hatten keinerlei Rückmeldung“, beteuert aber WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach im Telefon-Interview. Seit Ende April 2007 läuft in Bulgarien eine beispiellose und lebensbedrohliche Medienkampagne gegen die junge deutsch-bulgarische Historikerin Martina Baleva, gerade auch in den beiden WAZ-Zeitungen „Trud“ und „24tschasa“ (24Stunden).
Anlass dafür bot eine wissenschaftliche Konferenz in Sofia, die auf öffentlichen Druck abgesagt werden musste. Martina Baleva wollte dort ihre Arbeitsergebnisse zum so genannten Massaker von Batak aus dem Jahr 1876 vorstellen. Osmanische Truppen massakrierten damals ein ganzes Dorf. Daraufhin intervenierten russische Truppen. Im Zuge der Befreiung gründete sich erst die junge bulgarische Nation. Das Gemälde von Antoni Piotrowski „Das Massaker von Batak“ wurde zu einer der nationalen Gründungs-Ikonen. Genauso wie die millionenfach verbreiteten Schwarz-Weiß-Photographien der vermeintlichen Opfer und Täter von Batak. Generationen von Bulgaren kennen sie aus ihren Schulbüchern oder von Postkarten. Baleva fand heraus, dass nicht nur die offizielle Opferzahl von angeblich über 12.000 toten Bulgaren weit übertrieben war, da Batak 1876 gerade einmal ein Drittel so viele Einwohner hatte. Zudem sind die bis heute im Umlauf befindlichen „historischen“ Photos nachträglich inszeniert. Der Historienmaler Piotrowski fuhr erst 1888, also zwölf Jahre nach dem Massaker, nach Batak und ließ die dortige Dorfbevölkerung in Kostümen posieren, um die gestellten Photos als Detailstudien und Vorlagen für sein späteres Nationalgemälde zu benutzen. Interessante Entdeckungen, die Baleva bis heute nicht einmal als Thesen in Bulgarien vortragen darf. Im Gegenteil Baleva wurde mit allerlei Fäkal- und Schmähvokabular als Pseudowissenschaftlerin im Dienste der Türken herabgewürdigt auch in „Trud“ und „24 Taschsa“. „Einige Ausgaben mussten sogar am selben Tag nachgedruckt werden, so groß war die Entrüstung über die nationale Schmach“, berichtet die Historikerin, die fluchtartig ihr Land verlassen musste und sich bis heute mit Morddrohungen nicht nur durch die bulgarisch-nationalistische Partei Ataka und ihrem TV-Sender „Skat“ konfrontiert sieht.

Fehlverhalten wird untersucht

Also hätte man zumindest auf die plötzlichen Auflagensteigerung der hauseigenen bulgarischen Blätter seit Ende April 2007 in der Essener Konzernzentrale registrieren müssen. Aber man sei innerhalb des eigenen Hauses erst ganz am Anfang der Aufklärungsarbeit, beteuert WAZ-Chef Hombach. Natürlich grenze man sich ganz klar von den Hasstiraden ab und fordere auch von den eigenen bulgarischen Redaktionen die journalistischen Standards auf OSZE-Niveau ein. Wieso es zu solchen Fehlhaltungen gekommen sei, werde jetzt untersucht. „Immerhin sind ja auch unsere eigenen Redakteure in Sofia öfters Ziel von Angriffen der radikal-nationalistischen Partei Ataka geworden. Man muss aber wissen, dass die Gepflogenheiten der Medien Südosteuropas nicht mit unseren vergleichbar sind. Wir haben hier noch viele Formen von Fehlverhalten, die durch Schulung und ein Verständnis für Wahrhaftigkeit noch beseitigt werden müssen, die bei uns ganz undenkbar sind“, sagt Hombach. Man müsse jetzt auch bei der WAZ-Gruppe umdenken, denn bisher habe man viel Wert darauf gelegt, dass die Redaktionen frei vom Verlagseinfluss agieren konnten.
„Die Chefredakteure müssen die inhaltliche Verantwortung für das Blatt tragen. Dafür habe ich sie vor dem Verlag auch immer beschützt. Wir müssen uns aber in Südosteuropa um mehr kümmern. Aber gemachte Fehler wie jetzt im Fall Baleva kann man nicht mehr weg diskutieren, zu denen muss man jetzt stehen“, beteuert Hombach. Peinlich, erst nach direkter Nachfrage im Interview kam Bodo Hombach im Nachhinein auf die Idee, die geschädigte Historikerin Martina Baleva nun unverzüglich zu einem Gespräch in die Essener WAZ-Zentrale einzuladen. Auch will Hombach nun bei seinen Redakteuren in Sofia vorstellig werden, damit sie sich bei Frau Baleva für den Stil und die Form der Berichterstattung entschuldigen. Die Frage nach einer angemessenen Entschädigung an die Historikerin, wurde bis jetzt noch nicht beantwortet.

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