Notimex, Mexikos staatliche Presseagentur, verletze systematisch die Rechte der eigenen Belegschaft. 245 Journalist*innen wurden entlassen, der Tarifvertrag werde missachtet. So die Vorwürfe der Gewerkschaft SutNotimex, die seit dem 21. Februar 2020 im Unternehmen Streik führt. Doch obwohl der Streik von Gerichten als legal eingestuft wurde, scheiterten die Verhandlungen zwischen Agentur und Gewerkschaft. Nun soll ein Arbeitsgericht in letzter Instanz entscheiden.
Für Adriana Urrea ist der 10. Februar vor der Schlichtungs- und Schiedsgerichtsbehörde (JFCA) ein Hoffnungsschimmer. „Das ist der letzte Termin zur Beweisaufnahme. Danach muss endlich ein Urteil ergehen“, meint die Generalsekretärin von SutNotimex. Die Notimex-Betriebsgewerkschaft befindet sich seit fast einem Jahr im Ausstand. Zelte stehen vor der Zentrale der Nachrichtenagentur in der Avenida Baja California im Zentrum von Mexiko-Stadt.
Die Eingangstür ist mit einer schweren Kette versperrt, vergilbte Fahnen flattern im lauen Wind. Die letzte Notiz auf der Homepage der 1968 gegründeten Nachrichtenagentur ist auf den 26. Juni 2020 datiert. – Dass es die Gewerkschaft geschafft hat, den Agenturbetrieb lahmzulegen, ist für Adriana Urrea ein wichtiger Erfolg. „Notimex hat nach unserem Rausschmiss über Monate in einem angemieteten Bürohaus mit neuem Personal weiter produziert. Dagegen haben wir erfolgreich geklagt“, sagt die Generalsekretärin von SutNotimex, die selbst 17 Jahre lang für die staatliche Nachrichtenagentur gearbeitet hat. Dann lag die Kündigung auf ihrem Schreibtisch, wie bei vielen Kolleg*innen auch. „Insgesamt wurden 245 Mitarbeiter*innen bei Notimex im Laufe eines halben Jahres fristlos entlassen. Dabei wurden Arbeitsrechte verletzt und deshalb sind wir ganz legal im Streik“, sagt die auf Wirtschaftsthemen spezialisierte Journalistin. Das hätten auch die Gerichte bestätigt, die den Streik der entlassenen Notimex-Mitarbeiter*innen – überwiegend Frauen – für rechtmäßig erklärt haben.
Zudem weigere sich die verantwortliche Direktorin der Agentur Sanjuana Martínez, den geltenden Tarifvertrag erneut zu verlängern. Seit Langem sei alle zwei Jahre einvernehmlich so verfahren worden. „Nun hat Sanjuana Martínez von uns verlangt, einen neuen Tarifvertrag zu Mindestkonditionen und ohne alle bis dahin erkämpften Zuschläge zu akzeptieren“, wirft Urrea der im Juli 2019 von Mexikos Präsident Andrés Manual López Obrador berufenen Direktorin vor.
Längst ist der Arbeitskampf ein Politikum. Im Dezember 2020 mahnte Mexikos Präsident, den Arbeitskonflikt endlich beizulegen. Im Januar traf er sich dann mit Notimex-Direktorin Martínez. Passiert ist trotzdem nichts. Deshalb ist für Adriana Urrea und die 80 ehemaligen Notimex-Mitarbeiter*innen, die den Streik noch unterstützen, das Arbeitsgericht die letzte Hoffnung.
Am 10. Februar endet dort die Beweisaufnahme. Danach müsste das Gericht ein Urteil fällen. Nach Urrea könne es nur zu Gunsten von SutNotimex ausfallen. „Wir hoffen, dass die Notimex-Gremien dann endlich einlenken werden.“
Schlammschlacht auf Kosten der Glaubwürdigkeit
Zwischenzeitlich wurden alle Register gezogen, um SutNotimex zu zerschlagen. Eine neue Gewerkschaft mit dem bezeichnenden Namen „SiNotimex“, die der Geschäftsführung nahesteht, ist gegründet worden. SutNotimex dagegen, speziell Generalsekretärin Urrea, wurden als korrupt diffamiert. „Richtig ist, dass gegen meinen Vorgänger, den ehemaligen Generalsekretär Conrado García, wegen Korruption ermittelt wird. Ich persönlich muss mich wegen eines strittigen Betrages von 100 Euro in einer Reiseabrechnung verantworten – das ist alles, was vorliegt“, erklärt Urrea. Sie wirft Direktorin Martínez vor, eine Verleumdungskampagne zu führen, in der es immer wieder heiße, die Journalist*innen hätten zu hohe Löhne bezogen. Laut Urrea liegen die Entgelte jedoch im Schnitt bei umgerechnet 600 Euro – alles andere als fürstlich.
Mexikos Medien sind gespalten – ein Teil hängt der Notimex-Darstellung an, andere halten zur Gewerkschaft. Unstrittig sei aber, so Jorge Bravo, dass die Agentur an Glaubwürdigkeit verloren habe. Dazu hätten auch die von Notimex koordinierten Angriffe auf ehemalige Mitarbeiter*innen auf Twitter, Facebook und Co. beigetragen, so der Medienwissenschaftler, der an Mexikos größter Universität, der unabhängigen UNAM, arbeitet. Längst sei der Konflikt zu einer Schlammschlacht mutiert, was auch die Frage aufwerfe, warum die verantwortlichen staatlichen Stellen nicht schneller und entschiedener agierten und nationales Arbeitsrecht verteidigten.
Das sei überfällig, sagt der Arbeitsrechtler Héctor Barba: „Hier wurde das Recht auf Streik von einer staatlichen Einrichtung autoritär und engstirnig angegriffen“, zitiert ihn das Magazin „Proceso“. Es gehört zu den mexikanischen Medien, die den Konflikt kritisch begleiten.
Das sei wichtig für die ausdauernd Streikenden, die sich seit gut elf Monaten dank der Solidarität von Gewerkschaftern und der eigenen Familien über Wasser halten, so Adriana Urrea. Viele andere hätten das Handtuch geworfen und aufgegeben. Sie selbst lebt bei ihrer Mutter, wenn sie nicht in einem der Zelte vor der Notimex-Zentrale Streikwache hält. Das, so hofft die Journalistin, die fast jeden Abend einen Streik-Podcast ins Netz stellt, werde nun bald vorbei sein. „Den Jahrestag des Streikbeginns werden wir hier zwar noch begehen – aber hoffentlich ohne Zelte“, so die hartnäckige Gewerkschafterin.