Ein Picasso der Karikatur

Turhan Selcuk aus der Türkei leider nicht auf der Buchmesse

Gibt es etwas Schöneres, als einen „Picasso der Karikatur“ vorstellen zu können – nämlich den Künstler Turhan Selcuk aus Istanbul? Zum Erfreulichen gesellt sich aber die schlechte Nachricht, dass der Vorschlag eines Auftritts des großen türkischen Meisters des Cartoons im unmittelbaren Kontext der diesjährigen Frankfurter Buchmesse mit der Türkei als Gastland seitens der dafür zuständigen türkischen Stellen keine Akzeptanz gefunden hat. Zur Buchmesse 2006 mit Indien als Gast hatte die Präsentation indischer Karikaturen dagegen großen Erfolg, stellte – originell-innovativ inszeniert – eine Bereicherung der Buchmesse dar.

Turhan Selcuk ist ein Jahr nach der 1921 erfolgten Gründung der Türkischen Republik geboren und machte bereits 1941 publizistisch auf sich aufmerksam, als der blutige Kampf zwischen Demokratie und Hitler-Faschismus tobte. Seither ist die Demokratie zu seiner größten Passion geworden. Dies beflügelte ihn zu einer Kunst der Zeichnung, die diesem Genre ein neues Profil und dem öffentlichen Diskurs in der Türkei ein neues Gesicht gegeben hat.
Auch die Türkei erlebt eine Zeit voller Widersprüche, die Menschen schwanken zwischen Bangen und Hoffen. Dabei spielte die Karikatur mit ihrer Dynamik und Kraft bis heute immer eine bedeutende Rolle bei der gesellschaftlichen Aufklärung. Turhan Selcuk kann mit seiner genial einfachen und doch äußerst eindrucksvollen Linienführung der „geometrischen Ästhetik“ zu Recht als Erfinder moderner türkischer Karikatur bezeichnet werden – mit weltkritischem Blick und beeindruckend weltweiter Ausstrahlung.
Turhan Selcuks Werke wurden bereits 1951 erstmalig ausgestellt. Er gründete gleich darauf die Satirezeitschrift 41 Bucuk, dem er weitere Gründungen und eigene Buchpublikationen folgen ließ. 1955 begann er als Chefkarikaturist der Tageszeitung Milliyet, wechselte später zu anderen Zeitungen auch im Ausland und immer wieder mal zu Cumhuriyet, für die er bis heute regelmäßig zeichnet. Seine Ausstellung „Menschenrechte“ stieß in ganz Europa auf großes Interesse. Inzwischen finden sich seine Werke in Museen der Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und Ländern Europas. Publizistisch vorgestellt in Deutschland wurde Turhan Selcuk in der Zeitschrift Entwicklungspolitik (21/ 22/2004) – nach einem Besuch des Künstlers in Istanbul.

Zensur und Folter

Der ebenso bescheidene wie heldenhafte Reiter der Gesellschaftskritik musste leider immer wieder massive Unterdrückung und Zensur erdulden, die auch vor Inhaftierung und Folter nicht Halt machten. Auch derzeit laufen noch mehrere Strafprozesse gegen Selcuk, der aufgrund seiner Zermürbung und seines schlechten Gesundheitszustande die Gerichtstermine gar nicht mehr persönlich wahrnehmen kann.
Dank bürgergesellschaftlicher Initiative hier in Deutschland werden Turhan Selcuks Arbeiten trotz seiner Zurückweisung in Bezug auf die Buchmesse in diesem Jahr zu sehen sein, und zwar vom 09.06. bis 28.06. in der Zentralbibliothek der Stadt Frankfurt/Main und vom 08.07. bis voraussichtlich Ende August im Goethe-Institut in Schwäbisch-Hall.

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