Eine Stimme für afghanische Mädchen

Mädchen im Boxring

Maydegol ist ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 2024 von Sarvnaz Alambeigi

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.

In ihrem Kinofilm „1001 Nights Apart“ aus dem Jahr 2021 folgte Regisseurin Sarvnaz Alambeigi einer Gruppe Tänzer*innen, die dem Tanzverbot in Iran trotzen und heimlich ihrer Leidenschaft nachgehen. Mit „Maydegol“ geht es nun in den Boxring. Der Film, der bereits vor den „Frauen, Leben, Freiheit“-Protesten abgedreht war, zeigt die junge Frau aus Afghanistan in ihrem Alltag in Iran, der geprägt ist von harter körperlicher Arbeit und einem gewalttätigen Elternhaus. Einzig das Boxtraining und die Zeit mit ihren Freundinnen geben ihr Hoffnung auf ein anderes Leben. Die Existenz dieses Films an sich sei schon ein politischer Akt, schrieb die Jury der diesjährigen Berlinale über „Maydegol“, zuletzt war der Film beim Internationalen Dokumentarfilmfestival in Leipzig zu sehen.

In Maydegols Heimat Afghanistan dürfen Frauen wegen eines Gesetzes der Taliban in der Öffentlichkeit nicht mal mehr ihre Stimme erheben. Aber auch im Iran ist die Situation der Frauen höchst problematisch, wie sich an den massiven Protesten zeigt.

Wie war es möglich, diesen Film zu machen?

Man muss wissen, dass die Frauen in meinem Film das Kopftuch tragen. Fast alle der Protagonistinnen sind Immigrantinnen im Iran, sie wollen nicht gegen die Regeln verstoßen, weil sie sonst abgeschoben werden. Deshalb habe ich versucht, mich an die Vorgaben zu halten, die es mir erlaubt haben, eine Drehgenehmigung zu bekommen. Aber nicht alle Regisseurinnen und Regisseure im Iran machen das so. Manche lehnen das Kopftuch in ihren Filmen ab, weil es dazu führen kann, dass Szenen unrealistisch werden: Man kann zum Beispiel eine Schlafende nicht mit Kopftuch zeigen, das wäre ja lächerlich.

Die Protagonistin ist als Kind mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Teheran geflohen. Damit gehören sie zu einer großen Gruppe, laut Schätzungen des UNHCR leben etwa 3,7 Millionen vertriebene Afghan*innen in Iran. Wie ist ihre Situation?

Die Menschen aus Afghanistan sind allgegenwärtig im Iran. Schon als ich klein war, lebten viele von ihnen im Land. Ich kenne es nicht anders. Es sind sehr freundliche und fleißige Menschen und ich finde, dass wir Iraner die Afghanen besser kennenlernen und uns mit ihrer Situation beschäftigen sollten. Maydegol ist dafür ein gutes Beispiel. Sie ist Muay-Thai-Boxerin und wäre gern Mitglied der Nationalmannschaft geworden, aber als Afghanin war das nicht möglich für sie, was ihre Situation sehr kompliziert macht. Maydegol lebt zwischen zwei Ländern, und keinem von beiden fühlt sie sich richtig zugehörig.

Warum wollten Sie ihre Geschichte erzählen?

Ich wollte mehr über die junge Generation in Iran erfahren und herausfinden, wie sie die Welt sieht. Ich glaube, dass die Jugend auf unserem Planeten viel bewirken kann. In meinem Film ist häusliche Gewalt ein großes Thema. Was ich von diesen jungen Menschen gelernt habe, ist, dass sie Persönliches nicht verstecken, sondern sehr offen darüber sprechen, auch wenn es um schwierige Dinge geht. Als ich Maydegol kennenlernte, wusste ich sofort, dass es eine Geschichte gibt, aber keine Plattform für sie.

Maydegols Vater ist gewalttätig, er verprügelt nicht nur sie, sondern auch ihre Mutter. Sie haben einen besonderen Weg gefunden, diese Gewalt im Film zu thematisieren.

Es war Maydegols Idee. Sie hat mir sehr schnell erzählt, wie die Situation bei ihr zu Hause ist, und hat vorgeschlagen, die Stimme ihres Vaters aufzunehmen, während es passiert. Ich habe mir Sorgen um sie gemacht und wollte nicht, dass sie sich in Gefahr bringt. Aber dann kam sie eines Tages zu mir und brachte mir die Aufnahme. Ich habe lange überlegt, mit welchen Bildern ich diese Momente unterlegen kann, und dann wurde mir klar: Das Bild muss schwarz bleiben, während man diesen Taten zuhört.

Warum war Maydegol bereit, in dem Film mitzuwirken?

Sie will eine Stimme für afghanische Mädchen sein. Ich habe sie während des Drehs oft gefragt: Das ist kein Spielfilm, du wirst nicht berühmt damit, es gibt auch kein Geld, also was willst du von diesem Film? Sie hat immer wieder diesen Satz gesagt: Dass sie die Stimme der anderen Mädchen sein will.

Was macht Maydegol jetzt?

Sie ist nicht mehr im Iran. Im Film sieht man, wie sie darum kämpft, einen Pass zu bekommen, damit sie an einem internationalen Boxkampf teilnehmen kann. Doch die Taliban wollen ihr keinen geben. Was man im Film nicht sieht: Sie ist schließlich tatsächlich nach Afghanistan gereist und es ist ihr gelungen, an ihren Pass zu kommen. Das einzige Land, das ihr ein Visum geben wollte, war Kenia. Und da ist sie jetzt. Sie wartet auf ihre Anerkennung als Geflüchtete, sie lernt Englisch, trainiert, und möchte so schnell es geht an internationalen Wettkämpfen teilnehmen.

Warum sieht man das im Film nicht?

Ich werde oft gefragt, warum ich Maydegol nicht weiterhin begleite. Aber mir ging es darum, ihre Lebenssituation zu zeigen. Was sie durchgemacht hat, erleben so viele afghanische Mädchen in Iran. Nicht alle haben die Möglichkeit und den Mut, zu reisen, oder den Wunsch, in ein anderes Land zu gehen. Deswegen habe ich mich dazu entschieden, nicht zu zeigen, wie sie das Visum bekommt, wie sie ausreist. Ich wollte sie nicht als Heldin zeigen. Ich wollte ihr eine Stimme geben und deutlich machen: Schaut her, das ist ihre Situation.

Ihr Film lief bei einigen Filmfestivals in Deutschland und Europa, zuletzt bei Dok Leipzig. Wird er auch in Iran zu sehen sein?

Ich würde ihn gerne dort zeigen, aber ich weiß nicht, ob das möglich ist. Ich will nicht pessimistisch sein, aber für mich ist auch klar, dass ich den Film nicht zensieren möchte.


Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

KI: Menschen wollen Regeln

Rund drei Viertel der Menschen in Deutschland sorgen sich einer Umfrage zufolge um die Glaubwürdigkeit der Medien, wenn Künstliche Intelligenz (KI) im Spiel ist. 90 Prozent der Befragten fordern dazu klare Regeln und Kennzeichnungen. Dies ergab eine am Mittwoch in Berlin veröffentlichte Studie der Medienanstalten. Für die repräsentative Erhebung "Transparenz-Check. Wahrnehmung von KI-Journalismus" wurden online 3.013 Internetnutzer*innen befragt.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »

Buchtipp: Das Prinzip Trotzdem

Wie könnte ein selbstbewusster Journalismus aussehen, der sich gegen die aktuelle Medienkrise zu behaupten weiß und sich auf seine zentrale Rolle für funktionierende demokratischen Gesellschaften besinnt? Roger de Weck war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie Mitglied des Zukunftsrats für Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In seinem jüngst erschienenen Essay „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ beschäftigt er sich mit genau diesen Fragen.
mehr »