Einzige Alternative Exil

Medien auf der Krim – „gesetzloser Zustand“ ein Jahr nach der Annexion

Seit dem Anschluss der Krim an Russland vor einem Jahr haben sich die Bedingungen für eine unabhängige Berichterstattung auf der Halbinsel massiv verschlechtert. Medien, die den neuen Machthabern kritisch gegenüberstehen, werden laut Reporter ohne Grenzen (ROG) bedroht und verfolgt. Oppositionellen Journalisten bleibt meist keine Alternative als das Exil.

Die „Pressefreiheit auf der Krim ein Jahr nach der Annexion“ war Thema einer Märzveranstaltung von Reporter ohne Grenzen in Berlin: Alexander Jankowski, Jutta Sommerbauer und Silke Ballweg von ROG (v.l.n.r.) Foto: ROG
Die „Pressefreiheit auf der Krim ein Jahr nach der Annexion“ war Thema einer Märzveranstaltung von Reporter ohne Grenzen in Berlin: Alexander Jankowski, Jutta Sommerbauer und Silke Ballweg von ROG (v.l.n.r.)
Foto: ROG

Am 5. März 2014 stürmten bewaffnete prorussische Milizen die Räume von Chernomorskaya TV, damals der größte unabhängige Fernsehsender der Krim. Das passierte 11 Tage vor dem umstrittenen Referendum zur Angliederung der Halbinsel an die Russische Föderation. „Die Redaktion wollte anfangs weiterarbeiten, um eine Abspaltung der Krim zu verhindern, aber als die Redaktionsräume und das Zentrum für journalistische Recherchen besetzt wurden, war klar, dass dieser Plan nicht aufgehen konnte“, berichtet Alexander Jankowski, Chefredakteur von Chernomorskaya TV, in einer ROG-Veranstaltung in Berlin. Auf der terrestrischen Frequenz von Chernomorskaya TV sendet seitdem der russische Sender Rossiya 24. Auch die anderen zentralukrainischen Sender auf der Krim – etwa die Sender Inter, Briz, STV und 5. Kanal – wurden in der Folge aus dem Kabelnetz genommen und durch das russische Staatsfernsehen ersetzt. Am 1. August 2014 wurde schließlich das Eigentum von Chernomorskaya TV beschlagnahmt. Jankowski spricht von einem „gesetzlosen Zustand“.
Nicht viel besser erging es den Printmedien. Zeitungen in ukrainischer Sprache werden nicht mehr auf die Krim geliefert. Unabhängige Radiosender verloren ihre Lizenz. Jankowski ging ins Exil, nach Kiew. Immerhin 40 Prozent der Krim-Bevölkerung können Chernomorskaya TV von dort noch über Satellit empfangen. Seine drei auf der Krim verbliebenen Mitarbeiter recherchierten unter geradezu klandestinen Bedingungen, berichtet Jankowski. Ihre Mikrofone und kleinen Kameras hielten sie unter der Kleidung versteckt: „Am besten, man geht eng untergehakt spazieren und tut so, als wäre man ein Liebespaar.“ Er selbst produziert seit Juli 2014 wöchentliche Reportagen über das Leben auf der Krim – für Krym.Realii, die Ukrainer Dependance von Radio Free Europe/Radio Liberty.

Lediglich mehr Bürokratie

Reporter ohne Grenzen kritisiert den Druck und die massiven Einschüchterungen, denen die auf der Krim verbliebenen Journalisten ausgesetzt sind. So sei das Haus der russlandkritischen Bloggerin Elizaveta Bogutskaya im vergangenen Herbst von Ermittlern der Anti-Extremismus-Abteilung der Krim durchsucht worden – auch wegen ihrer Kooperation mit Krym.Realii. Wie andere Oppositionelle habe sie inzwischen die Krim verlassen.
Mit solchen negativen Erfahrungen kann Jutta Sommerbauer nicht aufwarten. Die Osteuropa-Reporterin der Wiener Tageszeitung Die Presse klagt allenfalls über ein Mehr an Bürokratie. So benötige man jetzt ein Visum für die Einreise auf die Krim, müsse sich zudem beim Außenministerium in Moskau eine Akkreditierungskarte besorgen, sagte sie in Berlin. „Ansonsten muss ich sagen, dass ich in Ruhe gearbeitet habe und da jetzt keine Hürden zu überwinden hatte“, sagt die Journalistin, die erst kürzlich von einer Recherchereise von der Krim zurückkehrte.
Auf der anderen Seite erschwere auch die Ukraine die Kommunikation, bedauert Sommerbauer. Seit September vergangenen Jahres hätten die Behörden den Zugverkehr und den Linienbusbetrieb auf die Krim eingestellt. Als westliche Journalistin werde sie von der Bevölkerung gelegentlich misstrauisch als potentielle Konfliktpartei beäugt. Zwar hätten die Menschen nach wie vor „sehr hohe Erwartungen an Russland“, was die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen angehe. Die Euphorie, die nach dem Anschluss zunächst herrschte, sei aber inzwischen „schon ein bisschen verflogen“.

Vom Netz genommen

Zur Verwunderung mancher westlicher Beobachter sendete der krimtatarische Sender ATR auch nach der Annexion weiter. Für Alexander Jankowski von Chernomorskaya TV ist das nicht weiter erstaunlich. „Seit dem 18. Mai 2014 hat dieser Sender Begriffe wie Besatzung, Annexion und selbsteingesetzte Macht aus dem Vokabular verbannt“, sagt er. Politische Berichterstattung finde seitdem kaum noch statt. Aber auch die weitgehende Anpassung an die Wünsche der neuen Machthaber schützten den Sender nicht vor Repressalien. Ende Januar dieses Jahres erlebte ATR eine großangelegte Razzia russischer Polizisten. Die Uniformierten unterbrachen den Sendebetrieb, beschlagnahmten Server und behinderten die Redaktion stundenlang bei der Arbeit. Begründung: der Sender schüre „Misstrauen gegen die Staatsmacht“. Letztlich verweigerten die russischen Behörden dem einzigen unabhängigen Sender der Krim-Minderheit Ende März die Lizenz. Laut Berichten in verschiedenen Medien wurde er auf der Krim vom Netz genommen, sende aber in der Ukraine weiter.
Alexsander Jankowski appelliert an die westlichen Medien, „mehr Mitarbeiter auf die Krim zu schicken“, um eine unabhängige Berichterstattung über solche Vorgänge zu sichern. Die österreichische Reporterin Jutta Sommerbauer kann ihm da nur wenig Hoffnung machen. „Was ständige Korrespondenten auf der Krim angeht, da sehe ich leider schwarz“, bedauert sie. Leider seien auch viele deutschsprachige Medien in einer prekären finanziellen Situation. „Oft haben wir nicht einmal einen ständigen Korrespondenten in Moskau, geschweige denn in Kiew.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nachrichten gegen Desinformation

Über 800 Medien wie Reuters, die Washington Post, Zeit Online und AFP unterstützten den diesjährigen World News Day, der zeitgleich mit dem UN-Tag für den universellen Zugang zu Information, am 28. September gefeiert wird.  „Journalismus ist das Sicherheitsnetz unserer Gesellschaft, sagte David Walmsley, Gründer des Weltnachrichtentages und Chefredakteur der kanadischen Zeitung Globe and Mail. Dieses Sicherheitsnetz hat Risse und hängt fast überall in der Welt am seidenen Faden - und mit ihm alle freien Gesellschaften. Deshalb schlägt Walmsley Alarm. Unterstützt wird er vom Weltverband der Nachrichtenmedien (WAN-IFRA), dem World Editors Forum, der Canadian Journalism…
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten

Für Journalist*innen im Exil ist es schwer, in ihrem Beruf zu arbeiten. Gerade wenn sie aus Ländern kommen, die wenig im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. „Ich gehöre zu den Privilegierten“, sagt Omid Rezaee im Gespräch mit M. Der heute 34-jährige ist 2012 aus dem Iran geflohen, weil er dort wegen seiner Berichterstattung verfolgt wurde.Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, floh er zuerst in den Irak und dann nach Deutschland. Hier lebt er seit neun Jahren und arbeitet als Journalist.
mehr »