Erste Entlassung in Österreich

Kommentare Gerhard Marschalls plötzlich „nicht mehr vertretbar“

Als „erstes Opfer der neuen Ära in Österreich“ bezeichnete die britische Zeitung „The Independent“ in ihrer Ausgabe vom 7. Februar die Entlassung des Wiener Redakteurs der „Oberösterreichischen Nachrichten (OÖN)“.

Der für seine pointierten und kritischen Kommentare gegenüber den neuen Machthabern der FPÖ und ÖVP bekannte Redakteur der Innenpolitik, Gerhard Marschall, musste am 4. Februar auf Anweisung des Herausgebers Rudolf Cuturi und des Chefredakteurs Hans Köppl seinen Hut nehmen. Dabei hatte man ihm zuvor „excellente Arbeit bescheinigt“, so die „Salzburger Nachrichten“.

Die Kommentare Marschalls seien „nicht mehr vertretbar gewesen“, erklärt der Chefredakteur lapidar gegenüber dem „Standard“. „Die Sache ist nicht politisch motiviert“, so Köppl weiter, die Beiträge des Redakteurs hätten vielmehr „Überparteilichkeit, Aquidistanz und Objektivität vermissen“ lassen. Anlass für die Kündigung sei darüber hinaus nicht der Regierungswechsel, sondern der Unmut von Lesern und angeblich 500 Abbestellungen gewesen.

Das sehen zahlreiche Kollegen und Gewerkschaftsmitglieder anders. Sie demonstrierten vor dem OÖN-Verlagshaus und der Landesparteizentrale der FPÖ in Linz, wo sie symbolisch die Pressefreiheit zu Grabe trugen. Auch der Betriebsrat hat auf einer Redaktionsversammlung eine Resolution verabschiedet, die „schärfstens gegen das erzwungene und politisch motivierte Ausscheiden des Kollegen Gerhard Marschall“ protestiert und seine Wiedereinstellung fordert. Fred Turnheim, Präsident des Österreichischen Journalistenclubs ÖJC, fordert ebenfalls eine Rücknahme der Kündigung. „Dieses Signal, das sich gegen einen kritischen, unabhängigen und freien Journalismus richtet, betrachten wir mit großer Sorge: Es hat Auswirkungen auf das Bewusstsein wohl der meisten Journalisten im Land. Angst um den Job verhindert objektive Berichterstattung“, erklärt die Redaktion der renommierten Tageszeitung „Standard“ zur Entlassung Marschalls. „Ganz offensichtlich ist am Tag der Angelobung der neuen blauschwarzen Regierung jemand vor den Freiheitlichen in die Knie gegangen“, kommentieren die „Salzburger Nachrichten“. Unterdessen beklagt sich Köppl nun über die „große Empörung“ im Hause und die „massive Abbestellungskampagne“, die „in Gang gekommen“ sei. Leser- und Beschwerdebriefe, stapeln sich auch auf der Homepage des „Standard“.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »