Fehlende Pluralität

DW-Forum: Enttäuschung im Osten – Hoffnungen in Nordafrika

„Viele Journalisten sind eine Art Prostituierte der Medien im Auftrag weniger reicher Leute“. Ernüchternd beschreibt Roman Gonscharenko auf dem „Deutsche Welle Global Media Forum 2009“ im Juni in Bonn die Situation der Medien und ihrer professionellen Mitarbeiter in der Ukraine heute. Wenige Jahre nach der sogenannten Orangenen Revolution, die auch in diesem osteuropäischen Land die staatliche Mediensteuerung ablösen und der Presse- und Rundfunkfreiheit Bahn brechen wollte.

Gonscharenko war viele Jahre Journalist in Kiew. Heute arbeitet er für das ukrainische Rundfunkprogramm der Deutschen Welle (DW). Mit seinen unerfüllten Hoffnungen steht Gonscharenko nicht allein. Tief enttäuscht von der Entwicklung der vergangenen Jahre ist auch George Targamadze, Sprecher der größten Oppositionspartei in Georgien. Er sieht sogar Rückschritte in der Entwicklung der Medien – vor allem der Öffentlich-Rechtlichen – und ihrer erhofften Rolle als unabhängige Moderatoren des politischen Diskurses. Auf dem gleichen von der Konrad-Adenauer-Stiftung betreuten Teil des DW-Forums bilanziert Targamadze: „Zu Zeiten der Vorgängerregierung Schewardnadse waren die Medien plural und freier als gegenwärtig. Die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen ist derzeit schwach“. Kritik an der Regierung habe – wenn überhaupt – nur in privaten Medien eine Chance. „Präsident Saakaschwili hat die Kontrolle über alle Fernsehstationen im Land übernommen. Aus dem Fernsehen beziehen aber 95 von 100 Georgiern ihre politischen Informationen“, untermauert Targamadze die Sehnsucht der Opposition nach einem funktionsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Radio und Zeitungen spielten nur Nebenrollen. Das gelte auch noch für das Internet, für das der Zugang „derzeit praktisch nicht verfügbar ist“, berichtet Targamadze. Zwar seien die Mediengesetze in Georgien die „liberalsten in der gesamten Region“. Doch das Parlament sei zu schwach, sie auch durchzusetzen. Neben Pluralität fehle es vor allem an Professionalität im Journalismus. Hier könnten die georgischen Medien Unterstützung aus der Europäischen Union gut gebrauchen.
Weite Spielräume für die Hoffnung auf entfaltete Presse- und Meinungsfreiheit gibt es nach den Berichten von Beobachtern auch in Nordafrika und Arabien. Unterschiedlich fallen dabei die Urteile über die jüngst von den arabischen Staaten vereinbarte Charta für das Satellitenfernsehen aus. Die einen hören mit der Charta das Sterbeglöckchen für die bisher unzensiert vor allem über den Nahost-Konflikt berichtenden Sender Al Jazeera und Al Arabija läuten. Andere, wie der Professor für Journalistik an der amerikanischen Universität Kairo, Hussein Amin, verteidigen die Regulierung als notwendigen Schritt zu einer „verantwortlichen Freiheit“. Damit sei eine Medienfreiheit gemeint, die keine „digitale Fatwa“ oder sonstige Aufrufe zu Gewalt zulasse. „Lizensierte Kulturkanäle sind in den vergangenen fünf Jahren zu religiösen Kanälen mutiert“, erläutert Amin die Beweggründe der arabischen Regierungen.
Zwar sei das ursprüngliche Ziel der Charta-Akteure die Unterdrückung von Pressefreiheit gewesen, meint Amin. Dazu sei es jedoch nicht gekommen. Der Unterschied zwischen Zensur und Regulierung sei beachtet worden. Auch in den Printmedien seien Lockerungen sichtbar. „Es gibt viele Zeitungen in Ägypten, die ständig die Regierung kritisieren“, sagt Amin.
Aus derselben Region, aber aus einer scheinbar ganz anderen Medienwelt berichten dagegen Journalisten auf dem DW-Forum. „Ägypten ist ein Polizeistaat ohne ausreichende Freiheit für Meinungen, vor allem für oppositionelle. Kritiker des Präsidenten wurden festgenommen und gefoltert. Das ist Tatsache“, sagt der freie Nahost-Journalist Philip Riszk. Wie Zensur auch ohne Gesetz in einem Polizeistaat funktioniere, zeige das Schicksal eines Bloggers. Er sei verschleppt und 40 Tage an einem unbekannten Ort festgehalten und gefoltert worden. „Und das ist kein ungewöhnlicher Vorgang“, fügt Riszk hinzu. Zum Instrumentarium staatlicher Einschüchterung gehörten außerdem Aussetzen in der Wüste, Prügel oder die Zerstörung von Ausrüstung. Martina Sabra, die für verschiedene Medien aus Nordafrika berichtet, sagt: „Journalisten wurden immer eingesperrt, wenn sie kritisch berichteten. Geändert hat sich seit 1989 nur nach außen etwas. Aber nicht in den Ländern selbst“. Bei der Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt herrsche selbst jenseits der arabischen Welt nicht nur Pressefreiheit, sagt Sabra. „Da gibt es Zensur und Bedrohungen auch von Seiten Israels und sogar in Deutschland – auch wenn man nur Tatsachen berichtet.“
Die Hoffnung der jüngeren Generation und der politischen Opposition richten sich unter diesen Umständen auf das Internet. „Online kann ein Mittel gegen die Offline-Verfolgung sein: Es kann wegen der Vielzahl der Nutzer faktisch nicht zensiert werden“, glaubt die Sprecherin des ägyptischen Komitees für den Schutz von Journalisten (CPJ), Noha Atef. Zudem sei Kapitalmangel kein Zugangshindernis: Internet sei ein kostengünstiges Publikationsmittel. Einzige Schwäche derzeit: Nur zwei von hundert Ägyptern haben derzeit Zugang zum Netz.
„Es gibt eine Zensurkultur in arabischen Ländern“, räumt nach den Berichten und Einschätzungen der Journalistik-Professor Amin ein. Sie werde gefördert von einer „Tradition der Selbstzensur und einer Kultur der Angst – produziert vom System. „Aber wir haben heute mehr Freiheit als früher.“

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