Ganz wie bei Orwell

Nach Ungarn und Österreich ist die Verlagsgruppe WAZ nun auch in Bulgarien auf dem Vormarsch

Etwas Merkwürdiges ist passiert. Bulgarische Journalisten begrüßen sich seit kurzem mit einem knackigen, deutschen „Guten Abend“. Die Tageszeitung „Kontinent“ erscheint mit einem Kästchen auf der ersten Seite. Darin steht in großen Lettern: „Dies ist eine bulgarische Tageszeitung.“

Was auf den ersten Blick wie ein schlechter Scherz anmutet, hat einen durchaus ernsten Hintergrund. Die Journalisten reagieren damit auf die neue Macht am bulgarischen Pressemarkt. Und die heißt, kurz und knapp: WAZ. Denn nach Zeitungskäufen in Österreich und Ungarn hat sich die westdeutsche Verlagsgruppe mittlerweile auch in Bulgarien breitgemacht.

Der Siegeszug der WAZ auf dem Balkan begann im September vergangenen Jahres, als die Essener die Verlagsgruppe „168 Stunden“ kaufte. Der Verlag, der der WAZ zunächst zu 70, seit drei Wochen aber zu 100 Prozent gehört, gibt neben der gleichnamigen Wochenzeitung mit „24 Stunden“ auch die größte bulgarische Tageszeitung heraus (die Auflage liegt heute bei knapp 300000 Exemplaren). Als die WAZ einstieg, sei zu „168 Stunden“ schon seit einem Jahr bankrott gewesen.

Das jedenfalls behauptete Valeri Naidenow, der bis 1995 als Chefredakteur die Geschicke von „24 Stunden“ leitete. Der Verlag habe sich mit dem Kauf moderner Drucktechnik finanziell völlig übernommen, und Schulden von umgerechnet 40 Millionen Mark angehäuft. Die Schulden wurden von der damaligen sozialistischen Regierung unter Premierminister Shan Widenow übernommen. Doch Widenow beließ es nicht bei der dringend benötigten Finanzspritze für das angeschlagenen Pressehaus. Zusätzlich wurde der Verkaufspreis für das Blatt gesenkt, um den Sinkflug der Auflage zu stoppen.

Diese Dumpingstrategie setzte die WAZ fort. Mit Erfolg. Nur wenige Monate später konnte die zweitgrößte Tageszeitung des Landes, „Trud“ (Auflage derzeit rund 240000 Exemplare) dem Druck nicht mehr standhalten und bot sich dem deutschen Konzern im Februar dieses Jahres zum Verkauf an. Mit diesem Coup kontrolliert die WAZ, gemessen an der Auflage, 80 Prozent der bulgarischen Tagespresse. Doch das ist der WAZ anscheinend noch nicht genug. Derzeit laufen Verhandlungen mit den „Plovdivskie Noviny“ (Plovdiver Nachrichten), der führenden Tageszeitung in der zweitgrößten Stadt Bulgariens.

„Das Verhalten der WAZ ist alles andere als europäisch und zivilisiert. Es ist brutal und heimtückisch. Jedem ist klar, daß dieses Dumping nur den Zweck haben kann, wieder ein Monopol herzustellen, ähnlich dem, das unter dem Kommunismus bestand“, sagt Valeri Naidenow, mittlerweile Chefredakteur der Tageszeitung „Kontinent“. Sein Blatt dümpelt mit einer Auflage von 15000 Exemplaren vor sich hin. Nun sollen durch einen verringerten Seitenumfang die Produktionskosten gesenkt werden – vielleicht die letzte Möglichkeit, dem Preiskrieg noch standzuhalten. Derzeit belaufen sich die monatlichen Verluste von „Kontinent“ auf 10000 Dollar – für bulgarische Verhältnisse eine gewaltige Summe. Wie lange das noch gut geht, weiß Naidenow nicht. Und was dann kommt, wagt er sich gar nicht auszumalen.

Kürzlich trat Naidenow, der auch noch Vorsitzender der bulgarischen Vereinigung der Zeitungsverleger ist, die Flucht nach vorn an. Gemeinsam mit einigen aufgebrachten Kollegen brachte er ein zweiseitiges Papier unter dem Titel „Deutscher Blitzkrieg ruiniert die bulgarische Presse“ in Umlauf. Darin erheben die Verfasser massive Anschuldigungen gegen die WAZ, die in dem Vorwurf gipfeln, die Deutschen wollten über „ihre“ Zeitungen dem Ex-Kommunisten Widenow zunächst zum Vorsitz der Sozialistischen Partei und später zur erneuten Machtübernahme im Lande verhelfen.

Erich Schumann, geschäftsführender Gesellschafter der WAZ hält die Vorwürfe für völlig aus der Luft gegriffen. Insbesondere von Preisdumping könne keine Rede sein. „Wir haben unsere Preise in den vergangenen drei Monaten viermal angehoben und liegen jetzt sogar über denen der Konkurrenz.“ Kostendeckend produzieren könne wegen der Papierpreise in Bulgarien derzeit sowieso niemand. Die Alternative sei, die Preise so zu erhöhen, daß sich in Bulgarien kein Mensch mehr eine Zeitung leisten könnte. Außerdem hätte die WAZ bislang 50 Millionen Mark in Bulgarien investiert, und das zu einem Zeitpunkt, als sich alle anderen deutschen Firmen zurückgezogen hätten. „Wenn die WAZ sich damals nicht engagiert hätte, würde es ,Trud’ und ,24 Stunden‘ heute wahrscheinlich nicht mehr geben.“ Und schließlich: Wenn die kleineren Zeitungen eingingen, hätte das nichts mit der Präsenz der WAZ zu tun.

Unterdessen wartet die noch WAZ-unabhängige Presse mit düsteren Zukunftsprognosen auf. Unter dem Titel „WAZ – die vierte Macht in Bulgarien“ stimmte die Tageszeitung „Novinar“ schon den Abgesang auf das gesamte Vertriebssystem an: „Der Kampf gegen den Vertrieb wird kurz sein und der Ausgang ist wohl klar. Und dann, armer Bulgare, wirst du dir vorkommen wie in Baden-Baden, allerdings nicht ganz so. Du wirst denken, wie es dir die deutschen Zeitungen befehlen. Und du wirst leben, wie es dir die bulgarischen Bedingungen erlauben. Die WAZ ist dann das Wahrheitsministerium. Ganz wie bei Orwell.“

Der Vorsitzende der staatlichen Druckerei IPK Rudina, Rumen Spasow, zeichnet ein ähnlich düsteres Bild. Seit dem Ausstieg von „24 Stunden“ und „Trud“ sei die Produktion um das Fünffache gesunken, 140 Mitarbeiter wurden auf die Straße gesetzt. Sollte die WAZ erst einmal den ganzen Medienmarkt kontrollieren, inklusive der Werbung, werde sie auch die Wirtschaftspolitik vieler Firmen maßgeblich mitbestimmen. Gänzlich unwahrscheinlich ist dieses Szenario nicht. Denn in Bulgarien gibt es bislang keine einschlägigen Medien-Gesetze, die eine solche Monopolbildung unterbinden könnten. Es ist lediglich vorgeschrieben, daß niemand mehr als 35 Prozent der Anteile innerhalb einer Branche besitzen darf.

Doch jetzt, wohl nicht zuletzt wegen der wachsenden Proteste, beschleicht auch die Verantwortlichen in Bulgarien leichtes Unbehagen angesichts ob des Vormarsches der WAZ, und sie versuchen, die Notbremse zu ziehen. „Die WAZ hat den bulgarischen Print-Medien-Markt monopolisiert“, heißt es in einer Stellungnahme, die die bulgarische Anti-Trust-Kommission kürzlich vorlegte. Deren Vorsitzender, Vitali Tadscher, teilte überdies mit, daß die Kommission bei dem zuständigen Gericht in Sofia darauf hinwirken wollte, daß der Vertrag zwischen der WAZ und „Trud“ für ungültig erklärt werde. Außerdem, so Tadscher, solle die WAZ ein Bußgeld zahlen, da sie den Vertragsabschluß mit „Trud“ nicht vorher angekündigt habe. Aus informierten Kreisen hieß es dazu, daß die WAZ die Entscheidung der Kommission anfechten wolle.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »