Jineth Bedoya Lima gegen Kolumbien: Mehr als ein Urteil für die Pressefreiheit
Die kolumbianische Journalistin Jineth Bedoya Lima hat 21 Jahre für Aufklärung und Gerechtigkeit in eigener Sache gestritten. Endlich erfolgreich. Am 18. Oktober verurteilte der Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte den kolumbianischen Staat zu umfassenden Reparationsleistungen und zur lückenlosen Aufklärung der Straftat. Für die Stiftung für Pressefreiheit (FLIP) ist das Urteil historisch, weil es sexuelle Gewalt als Instrument des Zum-Schweigen-Bringens gegen Medienvertreter*innen definiert.
Eindeutiger hätte das Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Costa-Ricanischen San José kaum ausfallen können. Die Richter*innen attestieren den kolumbianischen Institutionen in allen Punkten eine Mitverantwortung für die Entführung, Vergewaltigung und Folter der heute 47-jährigen Journalistin Jineht Bedoya sowie elementare Versäumnisse bei der juristischen Aufarbeitung des Falles. „Das ist ein Sieg für die Pressefreiheit und ein Sieg für die Frauen“, meint Jorge Cardona. Der Redaktionsleiter vom „El Espectador“, einer der beiden international bekannten Tageszeitungen des Landes, hat als Zeuge vor Gericht ausgesagt und Jineth Bedoya immer wieder ermuntert, bis vor die höchste juristische Instanz der Region zu ziehen.
Die hat mit dem Urteil vom 18. Oktober für neue juristische Maßstäbe gesorgt. Sexuelle Gewalt sei, so die höchste juristische Instanz der Region, als Instrument des Zum-Schweigen-Bringens zum Einsatz gekommen. „Das hat historischen Charakter“, meint die Anwältin Viviana Krsticevic, Direktorin des Zentrums für Gerechtigkeit und Internationales Recht (CEJIL). Sie vertrat Bedoya und dokumentierte den Fall gemeinsam mit den Experten der Stiftung für die Pressefreiheit (FLIP) aus Bogotá. Die Medienorganisation hatte Bedoya mehr als zehn Jahre bei ihrem Marsch durch alle Instanzen der kolumbianischen Justiz Kolumbiens begleitet und schließlich Klage vor dem Interamerikanischen Gericht für Menschenrechte eingereicht.
Jineth Bedoya war am 26. Mai 2000 unter den Augen von Gefängniswärtern des „La Modelo“ und mehrerer Polizisten von Paramilitärs entführt worden. Die 26-jährige Journalistin des „El Espectador“ sollte in der Haftanstalt einen ranghohen Paramilitär interviewen. Doch der Termin entpuppte sich als Falle. 16 Stunden wurde sie festgehalten, beschimpft, vergewaltigt und gefoltert. Ziel war es, so die Richter in ihrem 92-seitigen Urteil, die damals 26-jährige Reporterin mundtot zu machen.
Doch genau das gelang nicht, weil Bedoya sich wehrte. 2009 entschied sie sich, ihre Vergewaltigung öffentlich zu machen und Gerechtigkeit einzuklagen. Das hat die zierliche Frau zur Symbolfigur für die Opfer sexueller Gewalt in Kolumbien gemacht. Deshalb, aber vor allem weil ihr Fall en detail dokumentiert wurde, hat Flip-Direktor Jonathan Bock mit einem positiven Urteil gerechnet – nicht aber mit einem derart weitreichenden. „Das Urteil gibt uns Instrumente in die Hand, denn es verpflichtet den kolumbianischen Staat, Journalist*innen besser zu schützen, Straftaten gegen sie zu ermitteln und zu sanktionieren“, so FLIP-Direktor Jonathan Bock. So muss ein Online-System, in dem alle Daten zu geschlechtsspezifischen Gewaltdelikten zusammenfließen sowie eines, in dem jede Bedrohung und jede Gewalttat gegen Pressevertreter*innen registriert und öffentlich zugänglich gemacht wird, eingerichtet werden.
Wichtige Neuerungen in einem Land, in dem Gewalt gegen Frauen genauso wie Angriffe auf die Presse eine lange Geschichte haben und nur selten geahndet werden, meint Bock. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit liegt die Aufklärungsquote bei ein bis fünf Prozent – je nach Delikt, so die Statistiken. Das haben auch die Richter in San José registriert. Sie werteten die Untätigkeit von Ermittlungsbehörden und Justiz, die de facto Straflosigkeit zur Folge hatte, obendrein als Folter für die Opfer. Dazu zählt neben Jineth Bedoya auch ihre Mutter. Beide mussten immer wieder medizinische Hilfe gegen den posttraumatischen Stress in Anspruch nehmen. Für die Kosten muss die kolumbianische Regierung nun aufkommen und zudem eine Gedenkstätte für die Opfer sexueller Gewalt einrichten.
Ein Urteil, dass nicht nur Symbolcharakter hat, sondern auch neue Rechtstandards setzt, die für die gesamte Region relevant sind.