Giftspinnen im Äther

Über geheimdienstlichen Missbrauch mit Rundfunksendern

„Giftspinne im Äther“, so hieß eine Sendereihe des DDR-Senders Schwerin. Sie hatte den Norddeutschen Rundfunk in Hamburg auf dem Kieker. Das SED-Politbüro betrachtete ihn als feindlichen Propagandasender und mobilisierte seinen Staatssicherheitsdienst dagegen. Heute, dreizehn Jahre nach dem Ende der DDR und ganz im Einklang mit dem Zeitgeist, lässt NDR-Intendant Jobst Plog von zwei Wissenschaftlerinnen erforschen, wie und mit welcher Wirkung die Stasi von 1950 bis 1989 Einfluss auf Mitarbeiter und Programme des Norddeutschen Rundfunks nahm.

Nachforschen ließ Plog auch in meinen Erinnerungen. Und, empirisch gründlich, in meiner Vergangenheit. Offenbar hält er mich, den pensionierten Tagesschau-Redakteur, Gewerkschafter und DKP-Aktivisten, für eine reichhaltige Quelle. Ob Einsicht in meine Stasi-Akte bei der Gauck-Behörde genommen werden dürfe?

Wenn’s der Wahrheitsfindung dient. Ich heiße nicht Helmut Kohl. Mich ärgert nicht, dass zuviel, sondern dass zuwenig gefragt wird, und zwar unter Verzicht auf selbstkritische Ansätze. Es bleibt bei der seit 1990 typischen Art von „Aufarbeitung“. Plog verzichtet nämlich darauf, zu untersuchen, ob der NDR die Bezeichnung „Giftspinne im Äther“ nicht tatsächlich verdient hatte. Der Intendant verschwendet öffentliche Mittel für Viertelwahrheiten.

Im Visier von Ost und West

Versuchten denn nicht auch westliche Geheimdienste wie der BND, der MAD, das BfV und die CIA in weit größerem Umfang als die Stasi, Einfluss auf Mitarbeiter und Programme des NDR zu nehmen? Und auf seine Zulieferer, die Nachrichtenagenturen? Gab es etwa keine NDR-Programme mit platt antikommunistischem Inhalt? Voller Fehldeutungen und Desinformation? Man kann ignorieren, dass die westlichen Geheimdienste mittels Funk und Fernsehen die DDR destabilisierten und zugleich bornierten Antikommunismus in der BRD schürten. Leugnen kann man es nicht.

Stasi-Umtriebe zu recherchieren fällt heutzutage leicht. Die Gauckbehörde und viele andere Einrichtungen helfen. Aber welche Behörde gibt Auskunft über die Drecksarbeit der westlichen Spionage- und Sabotagedienste? Wer außer den Günter Wallraffs und Rolf Gössners wollte sich an solch heißen Eisen die Finger verbrennen? Intendanten und Professoren offenbar nicht.

Deshalb habe ich Professor Plog einen Neujahrsgruß geschickt. Der Erkenntniswert seines Projekts „Giftspinne im Äther“ sei selbst für ein Bad im publizistischen Mainstream zu dürftig. Thematische Erweiterung sei anzuraten. Vielleicht so: „Der NDR im Visier der Geheimdienste von Ost und West“.

Es liegt schließlich im öffentlichen Interesse, aufzuklären, welcher geheimdienstliche Missbrauch mit dem Öffentlich-rechtlichen Rundfunk getrieben wurde. Und noch immer wird. Eine Projekt-Beschränkung auf das vorige Jahrhundert, wie von Plog verordnet, ist durch nichts gerechtfertigt. Spätestens bei der Berichterstattung über den kommenden Krieg gegen Irak wird sich das wieder zeigen. Außerdem ist noch erinnerlich, welche verlogenen Nachrichten die Fernsehsender über den ersten Golfkrieg brachten. Und über den NATO-Überfall auf Jugoslawien.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Renaissance einer Redaktion in Guatemala

Am 15. Mai 2023 stellte Guatemalas investigative Tageszeitung „elPeriódico“ ihr Erscheinen ein. Rund ein Jahr später sind die Köpfe hinter dem linken Leitmedium mit dem Online-Portal „eP Investiga“ wieder da. Die beiden Buchstaben eP erinnern an den alten Titel des Blattes, das sich dem Kampf gegen die Korruption verschrieben hatte. Offiziell gibt es keine Verbindung zur Familie Zamora und dem nach wie vor in Haft sitzenden Zeitungsgründer José Rubén Zamora. Allerdings tritt das investigative Portal für sein journalistisches Credo ein. 
mehr »

Fußball-EM: Eine Halbzeitbilanz

Spätestens seit dem Gruppensieg der deutschen Nationalelf wechselte die Stimmung im Lande von Skepsis zu Optimismus. Ausgedrückt in Zahlen: Vor dem Start des Turniers trauten gerade mal sieben Prozent der Mannschaft den Titelgewinn zu, nach drei Partien stieg dieser Wert auf 36 Prozent. Entsprechend wuchs auch das Interesse an den TV-Übertragungen.
mehr »

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »