Gradmesser Pressefreiheit

Staatliche Kontrolle, Erscheinungsverbote, Gefängnis, Mordaufträge gehören in vielen Ländern noch zum Medienalltag – eine Übersicht zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai.

„Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich.“ So heißt es im berühmten Urteil des Bundesverfassungsgerichts Mitte der 60er Jahre zur Spiegel-Affäre. Heribert Prantl, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, zieht daraus seine Motivation zum Einsatz für Pressefreiheit weltweit. Denn sei diese nur Dekoration, weiß Prantl: „In vielen Staaten ist die Pressefreiheit nur zwei mal drei Meter groß, so groß wie eine Gefängniszelle“.

Um die Medienfreiheit in Deutschland könnte es besser gestellt sein. Die Pressekonzentration nimmt zu, die Schere im Kopf existiert fast überall. Politiker und Werbekunden nehmen Einfluss auf Veröffentlichungen, indem sie mit Liebesentzug und Anzeigenstornierungen drohen.

Und doch leben Journalisten hier zu Lande im internationalen Vergleich wie in paradiesischen Zuständen. Sie sind finanziell recht gut ausgestattet, können weitgehend ungehindert auch heikle Dinge recherchieren und müssen weder mit Morddrohungen noch mit Inhaftierungen rechnen, wenn sie mal wieder „die Falschen“ kritisiert haben. Auch hier gibt es das eine oder andere Gegenbeispiel, beunruhigende Vorstöße im Windschatten des so genannten Anti-Terror-Kampfes beispielsweise beim Informantenschutz. Doch von einer systematischen Bedrohung der journalistischen Arbeit durch den Staat kann nicht die Rede sein. Der Verlust an journalistischer Qualität in Deutschland entsteht eher dadurch, dass viele Journalisten offenbar gar nicht mehr wissen, was Recherche eigentlich bedeutet. Sie kommen nicht auf die Idee, öffentliche Verlautbarungen zu hinterfragen oder befassen sich ohnehin fast nur noch mit gefälligen Lifestyle-Themen.

Fragliche Strafgesetze

Interessante Links

Reporter ohne Grenzen: www.rsf.org oder www.Reporter-ohne-Grenzen.de

Komitee zum Schutz von Journalisten: www.cpj.org

Internationale Journalistenförderation: www.ifj.org

Internationales Presse-Institut: www.freemedia.at

Internationales Institut für Nachrichtensicherheit: www.newssafety.com

Amnesty International: www.amnesty.de oder www.amnesty.org

Knallhart geht es hingegen in anderen Teilen der Welt zu. Und so weit muss man da gar nicht schauen, um auf die ersten Feinde der Pressefreiheit zu stoßen. Minsk etwa ist von Berlin ungefähr genauso weit entfernt wie Paris, London oder Rom. Doch in Weißrussland sind alle Fernsehsender unter staatlicher Kontrolle. Die Zahl der unabhängigen Zeitungen und Zeitschriften nimmt Monat für Monat ab. Zeitlich befristete Erscheinungsverbote sollen Redaktionen abschrecken oder finanziell zerstören. Selbst Internet-Foren, in denen kontrovers über politische Themen diskutiert wird, müssen mit einer Schließung rechnen – so wie das „Grodnensky Forum“, das Mitte März dicht gemacht wurde, weil es den Behörden zu „subversiv“ war. Wer gegen die Regeln der Mannen um den autokratischen Staatschef Alexander Lukaschenko verstößt, kann auch schon mal im Gefängnis landen. Am 4. März traf es Andrei Pochobut, der nach einer Demonstration, über die er berichten wollte, festgenommen worden war. Die Journalistin Veronika Tscherkasowa wurde am 20. Oktober vergangenen Jahres tot in ihrer Wohnung in Minsk gefunden. Ihre Ermordung ist bis heute nicht unabhängig untersucht worden. Doch hat die Redakteurin der Gewerkschaftszeitung „Solidarnost“ kurz vorher eine Artikelserie veröffentlicht unter der Überschrift „Der KGB beobachtet euch immer noch“. Vielleicht erklärt das, warum die Behörden die Hintergründe dieses Mordes nicht aufgeklärt wissen wollen.

In Russland ist Präsident Putin alles andere als ein Verfechter der Pressefreiheit. Kreml-kritische Medien bekommen den Druck der Behörden regelmäßig zu spüren, und wer es als Journalist wagt, Korruption bei regionalen Behörden zu benennen oder die Rolle der Armee im Tschetschenien-Krieg kritisch zu hinterfragen, muss mit beinahe allem rechnen.

In rund fünf Flugstunden ist man von Ankara aus in Brüssel. Die Türkei drängt mit Macht nach Europa, und dabei ist die Achtung der Pressefreiheit ein wichtiger Gradmesser geworden. Unbestreitbar hat die Türkei dabei in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht. Doch nicht alles, was auf diesem Wege an positiven Veränderungen zu Papier gebracht wurde, ist schon in der Praxis angekommen. Auf der anderen Seite sind auch die neuen Vorschriften nicht ausreichend. So gingen am 17. März etwa 250 Journalisten in Istanbul auf die Straße, um gegen das neue türkische Strafgesetzbuch zu protestieren. Dies sieht hohe Geldbußen und sogar Haftstrafen bei Beleidigungen vor. Das Strafmaß kann ausdrücklich höher ausfallen, wenn das „Vergehen“ in den Medien erfolgt. Das Gleiche gilt für unpassende Anmerkungen, die über den Völkermord an den Armeniern oder die türkischen Truppen auf Zypern gemacht werden. Der Gesetzestext in Artikel 305 ist so vage gehalten, dass es bei Bedarf jederzeit möglich erscheint, einen Widerspruch zum „grundlegenden nationalen Interesse“ zu konstruieren (s. S.30).

Die Organisation hat für das vergangene Jahr dramatische Zahlen vorgelegt: Für ihre Berichterstattung riskieren viele Journalistinnen und Journalisten ihre Freiheit oder sogar ihr Leben: Mindestens 53 Journalisten und 15 Mitarbeiter wurden 2004 weltweit bei der Ausübung ihres Berufs getötet. Das ist die höchste Zahl seit neun Jahren. Mehr als 900 Journalisten wurden vorübergehend festgenommen, weit über tausend bedroht oder angegriffen. Die Initiative zählte im vergangenen Jahr außerdem 622 Medien auf allen Kontinenten, die zensiert oder verboten wurden. Andere Organisationen veröffentlichen noch höhere Zahlen: So ermittelte das Komitee zum Schutz von Journalisten 56 tote Journalisten. Das Internationale Presse-Institut IPI in Wien spricht von 78 getöteten Reportern, das Internationale Institut für Nachrichtensicherheit in Brüssel von 117, die Internationale Journalistenvereinigung sogar von 129 Kollegen. Die Abweichungen sind mit unterschiedlichen Definitionen zu erklären. Zwei Beispiele machen das deutlich: Ist der ermordete Dolmetscher eines Journalisten ein getöteter Journalist? Und ist ein Kollege, der nach der Haftentlassung einen Herzinfarkt erleidet, bei der Ausübung seines Berufs gestorben?

Am gefährlichsten leben Journalisten im Irak. Dort starben 2004 auch nach vorsichtiger Zählung mehr als 30 Reporter und Medien-Mitarbeiter. In den meisten Fällen waren Aufständische die Täter, die auch für die Entführungen von 12 Kolleginnen und Kollegen verantwortlich sind. Auf der anderen Seite hat die Pressevielfalt im Land seit dem Sturz von Saddam Hussein zugenommen. Mehrere Rundfunksender entstanden, und auch am Kiosk präsentieren sich neue Blätter.

Staatliche Willkür

Problematisch ist auch die Situation in vielen Nachbarländern. In Bewegung gerät die Entwicklung im Libanon, wo der Ruf nach Demokratie gerade lauter wird. Auch in den palästinensischen Gebieten erfahren Journalisten einen neuen Aufwind. Vielleicht erfasst diese Entwicklung auch einmal Syrien, ein Land, in dem die Pressefreiheit bisher kaum geachtet wird und sich Korrespondenten nicht frei bewegen können. Der seit 1963 herrschende Ausnahmezustand öffnet staatlicher Willkür Tür und Tor. Das gilt auch für Saudi-Arabien oder den Iran: Dort sind Journalisten beinahe täglich Repressionen ausgesetzt und unabhängige Medien – sofern sie überhaupt existieren – leiden ständig unter Maßregelungen.

Neben dem Nahen und Mittleren Osten ist Ostasien eine besonders problematische Region. Die schlechtesten Noten der „Reporter ohne Grenzen“ erhält Nordkorea. In dem weitgehend abgeschotteten kommunistisch regierten Land sind alle Medien staatlich gelenkt. Andersdenkende haben keine Chance, ihre Meinung zu publizieren. Ausländischen Journalisten bleibt der Zugang ins Land verwehrt. In Birma, Laos und Vietnam ist die Situation kaum besser. Und auch China unterdrückt trotz der wirtschaftlichen Öffnung des Landes alle Meinungen, die der Staatsführung nicht genehm sind. Mit mindestens 26 inhaftierten Journalisten bezeichnen die „Reporter ohne Grenzen“ China als das „größte Journalisten-Gefängnis der Welt“. Ein falsches Wort über die Niederschlagung der Demokratie-Bewegung auf dem Tiananmen-Platz reicht auch heute, 16 Jahre danach, für eine lange Haftstrafe. Sogar das Internet versucht die Regierung in Peking zu kontrollieren: Unliebsame Seiten werden gesperrt, User in Internet-Cafés streng überprüft, allzu diskussionsfreudige Chatter zu Haftstrafen verurteilt. Um kritische Berichterstatter mundtot zu machen, wird auch schon mal die Folter eingesetzt. Das gilt auch für Länder wie Pakistan oder Nepal. Journalisten im Himalaya-Staat geraten zudem im Bürgerkrieg zwischen Regierung und maoistischen Rebellen immer wieder zwischen die Fronten. Seitdem der nepalesische König Anfang Februar den Ausnahmezustand verhängte wurde die Meinungs- und Pressefreiheit außer Kraft gesetzt. Die Zensur verhindert jede unabhängige Berichterstattung: Zeitungen und Rundfunksender wurden geschlossen, die Ausstrahlung ausländischer Kanäle behindert; zahlreiche Journalisten wurden inhaftiert.

Nichtstaatliche Medien verboten

Der Bürgerkrieg prägt auch die Situation in Kolumbien. Wer in den Verdacht gerät, mit dem Militär oder den bewaffneten Rebellen zusammenzuarbeiten, muss mit Einschüchterungen oder der Ermordung rechnen. Das gleiche gilt für Journalisten, die es riskieren, über heikle Themen wie Menschenrechtsverstöße paramilitärischer Gruppen oder den Drogenanbau im Land zu publizieren.

In vielen afrikanischen Staaten ist es um die Pressefreiheit nicht besser bestellt. Als besonders problematisch ist die Lage in Eritrea anzusehen, wo mindestens 14 Journalisten wegen ihrer Veröffentlichungen inhaftiert sind und alle nichtstaatlichen Medien geschlossen wurden. In Simbabwe mussten in den vergangenen Jahren fast alle unabhängigen Zeitungen nach behördlichem Druck aufgeben. Ausländische Korrespondenten wurden von Präsident Robert Mugabe gezwungen, das Land zu verlassen.

Die Urlaubsländer rücken die „Reporter ohne Grenzen“ in einer Kampagne zur Zeit besonders ins Licht der Öffentlichkeit. Wer in Tunesien, auf den Malediven oder auch auf Kuba – dort gibt es 21 inhaftierte Journalisten – am Sandstrand unter Palmen liege, solle nicht vergessen, dass wenige Kilometer weiter die Freiheit der Medien und die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

 

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