Guatemala: Freie Presse unter Druck

Investigative journalistische Arbeit soll unterbunden werden, sagen Sonny Figueroa und Marvin Del Cid. Jetzt wird ein Gesetz zur Verteidigung der Frauenrechte genutzt, um Druck auf Journalisten auszuüben. Foto Privat

In Guatemala drohen die Gerichte ein Instrument der Zensur für die Presse zu werden. Jüngstes Beispiel ist die Klage von Dina Alejandra Bosch Ochoa gegen die kritische Tageszeitung „El Periódico“. Bosch Ochoa ist nicht irgendwer, sondern die Tochter der Vorsitzenden Richterin des Verfassungsgerichts und selbst Beraterin einer Richterin am Obersten Wahlgericht. „El Periódico“ hatte in einem Artikel zur um sich greifenden Vetternwirtschaft das Beispiel der auf der Gehaltsliste der Regierung stehenden Bosch Ochoa genannt. Für ihre letztlich erfolgreiche Klage dagegen nutze Bosch Ochoa das Gesetz gegen Femizide.

Per einstweiliger Verfügung ist es „El Periódico“ seit Mitte Mai untersagt, über Dina Alejandra Bosch Ochoa zu berichten. „Ziel erreicht“, urteilt der deutsche Jurist Michael Mörth sarkastisch, der seit mehr als dreißig Jahren in Guatemala lebt und dort lange eine Menschenrechtskanzlei beraten hat. „Ein Skandal, der die Pressefreiheit einschränkt“, meint Mörth.

Diese Einschätzung teilt auch die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP). Deren Präsident Jorge Canahuatí bezeichnete die Unterlassungsklage gegen den Herausgeber der Tageszeitung, José Rubén Zamora, den Redaktionsleiter Gerson Ortíz und den Journalisten Cristian Velix als „Vorzensur“. Zudem verurteilte die SIP in einer Stellungnahme vom 18. Mai die Nutzung des „Gesetzes gegen Femizide und andere Formen der Gewalt gegen Frauen“ als unangemessen. Diese Einschätzung teilt auch Mörth. Er zeigt sich weder überrascht, dass die Klägerin beziehungsweise ihr Anwalt auf das Gesetz zurückgreift, noch dass die zuständige Richterin Anaelsee Ramírez Pérez die Unterlassungsklage unterzeichnet habe. „In Guatemala wird Druck auf allen Ebenen gegen die kritische Zivilgesellschaft ausgeübt. Die Justiz ist dabei zum Handlager politischer Interessen geworden. Unabhängige Richter*innen stehen dabei genauso im Visier wie unabhängige Medien“.

Schlüsselfigur: die Generalstaatsanwältin 

Dabei hat die erst am 17. Mai für die zweite Amtszeit vereidigte Generalstaatsanwältin Consuelo Porras eine Schlüsselfunktion inne. Sie sorgt dafür, dass unabhängige Richter und Richterinnen unter Druck geraten und ins Ausland flüchten wie Erika Aifán. Sie war seit sechs Jahren Vorsitzende vom so genannten Höchstrisikogericht, das sich mit wichtigen Kriminal- und Korruptionsfällen befasst. Aifán ging im März in die USA. Miguel Ángel Gálvez könnte der nächste sein, „denn er steht der Übernahme der Justiz durch die Regierung im Weg und unter enormen Druck“, so Jorge Santos, Koordinator der Menschenrechtsorganisation Udefegua. Die begleitet auch bedrohte Journalisten. 

Derzeit seien es vor allem die Regierung und die staatlichen  Institutionen, die die Pressefreiheit in Frage stellen. „Relativ neu dabei ist allerdings die Strategie, ein Gesetz zur Verteidigung der Frauenrechte zu instrumentalisieren, um Berichterstattung zu unterbinden. Bislang wurde es gegen drei Medien – ‚El Periódico‘, ‚La Hora‘ und ‚Vox Populi‘ angewandt – ein perverser Schachzug der Klägerinnen“, meint Santos. Die stünden alle im Dienst des Staates. Sie wehrten sich gegen kritische Berichte, die hinterfragen, wofür sie auf dem  Lohnzettel der Regierung stehen, was sie leisten oder woher ihr privates Vermögen kommt. „Investigative journalistische Arbeit, die unliebsame Details zu Tage fördert, soll unterbunden werden“, meint Sonny Figueroa, Journalist des Online-Mediums „Vox Populi“. So war es in seinem Fall, als er mit seinem Kollegen Marvin Del Cid die Arbeit der Direktorin für Kommunikation des Parlaments, Joselin Mérida, unter die Lupe nahm und nachhakte,, weshalb sie eine Kampagne gegen den Ombudsmann für Menschenrechte, Jordán Rodas, in Auftrag gegeben habe. Daraufhin wurden die beiden Männer vom Gericht wegen psychologischer Gewalt gegen eine Frau und Belästigung dazu verurteilt, nicht mehr zu Mérida zu publizieren. 

Ähnlich liegt der Fall bei der Klage gegen „El Periódico“. Der strittige Artikel, erschienen am 22. April, beruhte auf der Befragung von Mitarbeitern des Gerichts.  Sie konnten nicht erklären, welche Funktion die Klägerin am Gericht wahrnehme, wo sie arbeite und wofür sie umgerechnet 2.500 US-Dollar monatlich erhalte. Unbequeme Fragen, die die Redaktion nicht mehr stellen darf. Sie darf außerdem nicht mehr über die Familie berichten. Das betrifft auch die Mutter der Klägerin, die Vorsitzende Richterin am Verfassungsgericht, Dina Ochoa. Ein gravierender Einschnitt in die Pressefreiheit, auf die auch die guatemaltekische Journalisten-Vereinigung (APG) hinwies. Die Berichterstattung liege im öffentlichen Interesse und die Tatsache, dass das Justizministerium unter der Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras die Klage forciert habe, sei alarmierend. „Für die APG ist der Befehl zur Zensur Teil von Aktionen zur Knebelung und Kriminalisierung kritischer Stimmen. Aktionen, die keinen Platz in demokratischen Systemen haben, sondern Teil autoritärer Staaten sind“. Ein Indiz dafür ist auch das Absinken Guatemalas auf der alljährlich publizierten Rangliste der Pressefreiheit. Acht Plätze büßte das Land von 2021 auf 2022 ein und landete auf Platz 124. 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »