Humorlose Generäle

Algerische Justiz ermittelt gegen Karikaturisten

Algeriens Generäle verstehen keinen Spaß. Dies mussten die beiden Karikaturisten Ali Dilem von der Tageszeitung „Liberté“ und Hicham Babahmed (Hic) von „Le Matin“ erfahren. Sie wurden Ende Januar vom Verteidigungsministerium angezeigt.

Die Justiz reagierte prompt und vernahm Dilem und den Herausgeber von „Le Matin“, Mohamed Benchicou. Den beiden Zeichnern wird zur Last gelegt, mit ihren Karikaturen „hohe Repräsentanten der militärischen Hierarchie diffamiert und einen Anschlag auf deren Ansehen verübt“ zu haben. Doch auch an ernsthafter Auseinandersetzung sind die Uniformierten nicht interessiert. Salima Tlemcani, Redakteurin der Tageszeitung „El Watan“, wurde Ende Januar ebenfalls vorgeladen. Sie hatte im Mitte Dezember einen Text über den militärischen Geheimdienst veröffentlicht. „Brauchen Sie eineinhalb Monate, um die Zeitung zu lesen“, fragte Dilem am Tag darauf in einer seiner Karikaturen einen General.

„Die Ermittlungen dienen der Einschüchterung“, ist sich der Anwalt von Dilem, Khaled Bourayou, sicher. Im Falle der drei betroffenen Pressemitarbeiter kommt erstmals das neue Strafgesetzbuch zur Anwendung. Dank des im Mai 2001 reformierten Paragraphen 144 werden unliebsame Journalisten mit den Vorbetern auf eine Stufe gestellt, die in den Moscheen „subversive Predigten“ halten. „Diffamierung hoher Repräsentanten des Staates“ heißt das neu eingeführte Delikt. Es kann bis zu zwölf Monaten Haft und Geldstrafen von bis zu 4.000 Euro kosten. Ein Journalist verdient zwischen 150 und 400 Euro monatlich. Um zu ermitteln, bedarf es nicht einmal – wie jetzt geschehen – einer Anzeige. Die Staatsanwaltschaft kann auch automatisch einschreiten.

„Wir befürchten, dass die Anzeige gegen die drei der Auftakt einer breit angelegten Kampagne gegen die Presse im Vorfeld der Parlamentswahlen im Sommer ist“, protestiert Robert Menard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen (ROG). Für ROG haben die Anzeigen das Ziel, die Zeitungen finanziell zu schädigen. Denn die Kriterien, mit denen gegen Dilem, Hic und Tlemcani ermittelt wird, können auf unzählige Artikel und Karikaturen angewandt werden. Zu gut erinnern sich Menard und die algerischen Journalisten an eine Ansprache des Oberbefehlshabers der Volksarmee, Mohamed Lamari. „Ihr habt mit ansehen müssen, und ihr werdet auch in der Zukunft nicht umhinkommen festzustellen, wie eure Armee durch unverschämte Schriften und Karikaturen, Exzessen und dem Wahnsinn ausgesetzt ist. Wir sind verpflichtet, uns zurückzuhalten, aber das darf nicht dazu führen, dass wir nicht den verachtenswerten Missbrauch der Freiheiten bedauern, die unser Volk so teuer kämpfen musste“, drohte er unmissverständlich.

„Wo sollen wir jungen Leute uns denn ausdrücken? Etwa in der Politik? Das ist verboten. Uns bleibt doch nur die Presse, auch wenn das nicht ganz einfach ist“, verteidigt sich Ali Dilem. Selbst in den dunkelsten Jahren des Terrors brachte der heute 34-jährige die Algerier Tag für Tag zum Lachen. Mehrere Jahre arbeitete er wie viele andere Kollegen auch aus Angst vor der islamistischen Gewalt von Frankreich aus. Dilem ist der meistgelesene Karikaturist Algeriens. Seine Bücher sind meist schon wenige Tage nach dem Erscheinen vergriffen. Er diente vielen als Vorbild. Auch Hic inspirierte sich an ihm.

„Erniedrigen? Klar doch, möchte ich sie erniedrigen, die ganzen Arroganten da oben“, gibt Dilem unumwunden zu. Neben dem Präsidenten Abdelaziz Bouteflika und seinen Apparatschiks zielt er mit seiner spitzen Feder auch auf die Islamisten, die mit ihren Attentaten das Land ins Chaos gestürzt haben. Doch am liebsten zeichnet Dilem, wie viele seiner Kollegen auch, Generäle, dick und mit Schnurrbart gleichen sie alle Oberbefehlshaber Lamari. Die Armeeführung gilt in Algerien als die eigentliche – völlig korrupte – Macht im Hintergrund. „Ich bin auf dem richtigen Weg. Denn 30 Millionen Algerier denken wie ich. Wenn ich eines Tages einen lieben, armen General treffen sollte, dann werde ich ihn auch so zeichnen“, meinte Dilem nach seinem Verhör bei der Polizei.


Reporter ohne Grenzen:
http://www.rsf.fr

Le Matin:
http://www.lematin-dz.com

La Liberté:
http://www.liberte-algerie.com

El Watan:
http://www.elwatan.com

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Nachrichten gegen Desinformation

Über 800 Medien wie Reuters, die Washington Post, Zeit Online und AFP unterstützten den diesjährigen World News Day, der zeitgleich mit dem UN-Tag für den universellen Zugang zu Information, am 28. September gefeiert wird.  „Journalismus ist das Sicherheitsnetz unserer Gesellschaft, sagte David Walmsley, Gründer des Weltnachrichtentages und Chefredakteur der kanadischen Zeitung Globe and Mail. Dieses Sicherheitsnetz hat Risse und hängt fast überall in der Welt am seidenen Faden - und mit ihm alle freien Gesellschaften.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »