Im Griff des Präsidenten

Unabhängige Medien in Belorussland politisch und ökonomisch geknebelt

Wenn ein Chefredakteur einer Regionalzeitung als Pförtner in einem Sägewerk arbeitet, könnte man Recherche an der Basis vermuten. Zumindest in Ländern mit demokratischen Standards wie Presse- und Meinungsfreiheit. In Belorussland aber ist alles anders: Da ist der Chefredakteur ein Ex, weil seine Zeitung geschlossen wurde, hat de facto Berufsverbot und ist 400 Kilometer von seiner Familie entfernt in einer Art offenem Vollzug mit Arbeitstherapie untergebracht.

Nikolai Markewitsch war bis November letzten Jahres Chef der Regionalzeitung „Pahonja“ in der west-belorussischen Stadt Grodno. Doch dann erdreistete er sich, einen Artikel zu veröffentlichen, in dem Präsident Lukaschenko in Verbindung mit dem Verschwinden von Oppositionellen gebracht wurde. Bereits mehrmals durch das Informationsministerium in Minsk verwarnt, ordnete nun das Oberste Gericht die Schließung des Blattes an. Markewitsch wurde trotz aller Proteste und Berufungsverfahren zu zweieinhalb Jahren „Chimija“ verurteilt, was so viel wie Arbeitserziehung oder inneres Exil bedeutet. „Majestätsbeleidigung ist eben bei uns riskant wie in einer Monarchie“, sagte er sarkastisch bei unserem Besuch in der Kleinstadt Asipowitschi. Was ihn am meisten wurmt, ist das Verbot seiner Zeitung – nicht mal eine Online-Ausgabe, erstellt von der verbliebenen Mannschaft, wollen die Behörden dulden.

Markewitsch und „Pahonja“ sind laut „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) ein „Symbol für den Kampf um Pressefreiheit“ in dieser früheren Sowjetrepublik. Doch sie sind kein Einzelfall. So ermittelt der Generalstaatsanwalt weiter gegen die Minsker „Narodnaja Wolja“ und auch der Ex-Chefredakteur von „Rabochi“ muss bald seine „Chimija“ absitzen. Sie alle haben sich nur eines Vergehens schuldig gemacht, das gemäß dreier neuer Strafgesetzparagraphen in Belorussland hart geahndet wird: Sie beleidigten angeblich den Präsidenten bzw. staatliche Organe. Tatsächlich haben sie nur öffentlich Kritik geübt. „Nasha Svaboda“ wurde deshalb im August zu 54.000 Dollar Strafe verurteilt und musste Konkurs anmelden. Noch schlimmer erging es anderen: Ex-Innenminister Zakharenko, der frühere Parlamentsabgeordnete Gontschar und der Unternehmer Krassowsky sind seit 1999 verschwunden, ebenso wie der Kameramann Zawadsky. Kein Wunder, dass Belorussland nur auf Platz 124 des 134 Länder umfassenden Welt- Index der Pressefreiheit auftaucht – als schlechtestes Land Europas, wie „Reporter ohne Grenzen“ vor einigen Wochen betonte.

Unterstützung durch internationale Organisationen

Gegen die wachsende Zahl staatlicher Übergriffe hat die Belorussische Journalistenvereinigung BAJ im September eine Kampagne gestartet. Neben einer Unterschriftenaktion fand Ende Oktober in Minsk auch eine internationale Konferenz zur „Förderung unabhängiger Medien“ statt. Auf ihr informierte die resolute BAJ-Präsidentin Zhanna Litwina über die bislang im geheimen vorbereitete Novellierung des Mediengesetzes durch die Lukaschenko-Regierung. Es enthält weitere Verschärfungen wie etwa eine Registrierungspflicht für Online-Angebote. Um die Vormachtstellung der staatlichen Medien zu festigen, dürfen künftig neue Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr als 25 Prozent der jeweiligen Gesamtauflage in einem Printbereich überschreiten. Zudem soll bald jede staatliche Behörde beliebig viele Presseorgane herausgeben.

Dabei wurden in mehreren Änderungen seit 1995 bereits etliche Fallstricke in das einst liberale Mediengesetz eingebaut. So braucht jedes Blatt bzw. jeder Sender nicht nur eine Lizenz des Minsker Informationsministeriums, sondern auch eine Zulassung der jeweiligen Regionalbehörde. Neben Verwarnungen ist auch das Verbot von Publikationen möglich, die Amtsträger oder staatliche Organe beleidigen. An zahlreichen Beispielen schilderten auf der jüngsten Konferenz Chefredakteure, wie ihre Blätter ebenso ökonomisch benachteiligt werden. So nutzen staatliche Druckereien und der Postvertrieb ihr Monopol, um die Regierungspresse mit deutlich geringeren Tarifen zu bevorzugen. Staatsbetriebe dürfen nicht in den unabhängigen Medien werben, überhöhte Steuern tun ihr übriges.

Wie der Teufelskreis aus politischem Druck, staatlicher Repression und ökonomischer Knebelung durchbrochen werden kann, war eines der meist diskutierten Themen bei der internationalen Konferenz in Minsk. Vor allem von Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen“ und der Internationalen Journalistenföderation IJF, aber auch dem Europa-Rat, erwarten die belorussischen Journalisten nun Unterstützung. Sie selbst wollen durch die bessere Vernetzung der unabhängigen Medien und regionale Kooperation – etwa mit russischen, ukrainischen und polnischen Redaktionen – ihr Ringen um Presse- und Meinungsfreiheit verstärkt fortsetzen.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »