Journalist in Serbien verschwunden

Stefan Cvetkovic bei einer Pressekonferenz im Februar 2018
Foto: Media Center Belgrade

Erneut könnte in Südosteuropa ein Journalist seine Arbeit mit dem Leben bezahlt haben: Der serbische Enthüllungsjournlist Stefan Cvetkovic hatte sich viele Feinde gemacht – und seit Jahren Todesdrohungen erhalten: Zuletzt hat er über den unaufgeklärten Mord an dem serbischen Kosovo-Politiker Oliver Ivanovic recherchiert. Nun ist er seit der Nacht zum Donnerstag verschwunden. Gefunden hat man nur sein Auto. Die polizeiliche Suche nach dem Journalisten blieb bisher erfolglos.

Mitten in seiner serbischen Heimatstadt Bela Crkva ist Stefan Cvetkovic verschwunden. Eine Nacht stand das Auto des bärtigen Enthüllungsjournalisten mit aufgerissenen Türen und angeschalteten Scheinwerfern auf der Belgrader Straße, bevor Anwohner schließlich am Donnerstagmorgen die Polizei alarmierten. Unablässig knattern seitdem Polizei-Helikopter über die Flußauen der Donaustadt, Taucher suchen nahgelegene Seen und die Ufer des Donau-Theiss-Kanals ab. Er lasse sich vom Geheimdienst und der Polizei „alle 15 Minuten“ über den Stand der Ermittlungen informieren, versichert Serbiens allgewaltiger Staatschef Aleksandar Vucic.

Doch bis auf seine neben dem Auto liegende Uhr mit zerrissenem Armband haben die Ermittler noch keine Spur des unbequemen Chronisten gefunden. Nicht nur serbische Kollegen und internationale Journalistenverbände, sondern auch die OSZE zeigt sich besorgt: Erneut könnte in Südosteuropa ein Journalist seine Arbeit mit dem Leben bezahlt haben.

Ob er über die illegale Lagerung giftiger Abfälle berichtete, den Drogenkonsum von Polizisten entlarvte, über den Missbrauch von Geldern bei einem staatlichen Investitionsfonds recherchierte oder im rund 90 Kilometer entfernten Belgrad bei Pressekonferenzen den Mächtigen des Landes unbotmäßige Fragen stellte: Unzählige Todesdrohungen hatte der als freier Journalist arbeitende Cvetkovic nach Angaben des serbischen Journalistenverbands NUNS wegen seiner lästigen Recherchen schon seit über einem Jahrzehnt erhalten.

„Sie drohen, mich zu erschlagen, mir das Kreuz zu brechen, die Zunge rauszuschneiden, die Kinder zu töten, die Finger zu brechen“, berichtete Cvetkovic 2016 über die anonymen Drohungen, die ihn seit Jahren erreichen. Mehrmals wurde der Journalist auch von aufgebrachten Lokalpolitikern der regierenden SNS von Präsident Vucic nicht nur physisch attackiert, sondern auch als Auslands- oder Soros-Söldner beschimpft – und verklagt. Wegen unzulässiger Verletzung der Persönlichkeitsrechte und Beleidigung von drei lokalen SNS-Funktionären wurde Cvetkovic vergangenes Jahr von dem zuständigen Gericht in Vrsac in erster Instanz gar zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Zuletzt hatte Cvetkovic zu Jahresbeginn mit Recherchen über den Mitte Januar in Nord-Mitrovica ermordeten serbischen Kosovo-Politiker Oliver Ivanovic für Aufsehen gesorgt. Auf einer Pressekonferenz Anfang Februar hatte der Journalist erklärt, dass hinter dem bis heute noch immer nicht aufgeklärten Attentat auf den liberalen Oppositionspolitiker ein kriminelles Netzwerk stehe – und auch drei Fotos von seinen Erkenntnissen nach in den Mord verwickelte Personen präsentiert: Für den Auftragsmord an Ivanovic seien 40 000 Euro bezahlt worden.

Der Risiken seiner Arbeit in einem Land wie Serbien zeigte sich Cvetkovic in den letzten Jahren stets bewusst, aber einschüchtern ließ er sich nie. Er sei „nicht bereit, vor der systematisch ausgebreiteten Korruption und Kriminalität zurückzuweichen“, erklärte Cvetkovic 2016: „Es ist möglich, Journalisten zu töten – aber nicht die Wahrheit.“

***Update 18.06.2018***

Wie Serbiens Präsident Vucic am Freitagnachmittag (15.06.) auf einer Pressekonferenz mitteilte, sei Cvetkovic unversehrt aufgefunden worden und werde nun auf einer Polizeistation befragt. Der unabhängige Fernsehsender N1 zitierte zudem den Staatsanwalt Tihomir Knezevic, der am Freitagabend mitteilte, Cvetkovic habe von einer Entführung berichtet und werde nach bisherigem Stand als Opfer behandelt. Details wolle man zu einem späteren Zeitpunkt bekanntgeben, wann das sein soll, ließ Knezevic allerdings offen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Türkische Presse im Visier der Justiz

Der Journalist Nedim Türfent berichtet über die Situation von Medienschaffenden in der Türkei. Sein Film "Ihr werdet die Macht der Türken spüren!" über die schikanöse Behandlung kurdischer Bauarbeiter erregte große Aufmerksamkeit und brachte ihm 2015 einen Journalistenpreis ein - und 2016 seine Verhaftung. Er wurde gefoltert und zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die meiste Zeit davon verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis in der östlichen Stadt Van. Türfent wurde am 29. November 2022 nach sechs Jahren und sieben Monaten Haft entlassen. Schon wenige Monate später arbeitete er wieder als Journalist. Zurzeit nimmt er an einem Stipendium für bedrohte…
mehr »

Media Hub Riga: Ein sicherer Ort

Wer den Media Hub Riga besuchen will, bekommt vorab von Leiterin Sabīne Sīle die Anweisung, die Adresse nicht weiterzugeben und keine Fotos zu machen, die seine Lage preisgeben. Drinnen wartet die alltägliche Atmosphäre eines Büros. Der Media Hub wirkt wie ein gewöhnlicher Co Working-Space – nur freundlicher. An den Wänden hängen Fotos von lächelnden Menschen am Strand, eine Girlande aus Orangenscheiben schmückt den Flur. Luftballons, auf denen „Happy Birthday“ steht, zeugen von einer Geburtstagsparty.
mehr »

Spanien: Politiker bedroht Journalisten

Die Recherche des Onlinemagazins elDiario schlägt hohe Wellen. Der Lebenspartner der Präsidentin der Region Madrid soll Steuerbetrug begangen haben. Nun werden die Journalist*innen bedroht. „Wir werden euch zermalmen“, droht der  konservative Politiker Miguel Ángel Rodríguez (Partido Popular) und kündigt dem Magazin an: „Ihr werdet dichtmachen müssen“.
mehr »

Wichtiger Schritt gegen Einschüchterungsklagen

Die Europäische Union will Journalist*innen, Menschenrechtler*innen und Nichtregierungsorganisationen besser vor strategischen Einschüchterungsklagen (SLAPPs) schützen. Die Mitgliedstaaten gaben einer entsprechenden Richtlinie am Dienstag grünes Licht, das EU-Parlament hatte bereits Ende Februar zugestimmt. Die Regierungen haben nun zwei Jahre Zeit, sie in nationales Gesetze zu übertragen.
mehr »